Interessengeleitete Wendungen
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
„Demokratie heißt: Die Probleme gemeinsam lösen.“ So hat es der deutsche Publizist Franz Schmidberger einmal formuliert. Doch angesichts aktueller (Fehl-)Entwicklungen in der Krankenkassenlandschaft stellt sich derzeit die Frage, inwieweit dieser wichtige Teil der Selbstverwaltung derzeit überhaupt lösungsorientiert aufgestellt ist. Denn bei den Kassen scheinen momentan zum Teil hausgemachte Probleme die tagespolitische Agenda zu bestimmen. Eine kürzlich veröffentlichte GKV-Bilanz zeigt, dass die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Quartal 2014 seit Jahren erstmals wieder ins Minus gerutscht sind. Möglicherweise waren die zuletzt vielfach gewährten Beitragsrückerstattungen doch ein Fehler. Gleichzeitig berichtet die Presse, dass einzelne Kassen die knappen Mittel der Solidargemeinschaft für Marketingzwecke ausgeben. So soll sich zum Beispiel die AOK Niedersachsen das Namensrecht am neuen Fußballstadion des VfL Wolfsburg im Allerpark für die nächsten fünf Jahre gesichert haben. Die Kasse argumentiert, damit Kinder, Jugendliche und deren Familien motivieren zu wollen, aktiv Gesundheitsvorsorge zu betreiben. Kritiker hingegen werten den Vorgang eher als verkappte Werbemaßnahme. Fragwürdige Vorgänge sind auch Presseartikeln aus Bayern zu entnehmen. Dort sollen Hausärzte einen Bonus bei der Betreuung von Patienten der AOK Bayern erhalten, wenn sie bei der Abrechnung einen Code mit dem „richtigen“ Krankheitsbild angeben – die Kasse profitiert dann mehr von den Geldströmen des Morbi-RSA. Sollte das Vorgehen der AOK den Tatsachen entsprechen, dann wäre auch das Kassenprofilierung auf dem Rücken der Versicherten.
Dabei gibt es für die Selbstverwaltung eine ganze Reihe von echten Herausforderungen. Dringender Handlungsbedarf besteht etwa im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem obersten Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung. Dort ist derzeit auf Kassenseite leider eine Blockadehaltung zu konstatieren. So gibt es den konkreten Handlungsauftrag der Gesundheitsministerkonferenz, die zahnprophylaktische Früherkennung bei Kleinkindern auszubauen.
Die Vertragszahnärzteschaft hat dazu ein eigenes Konzept zur Vermeidung frühkindlicher Karies (Early Childhood Caries, ECC-Konzept) vorgelegt. Im G-BA wurde bereits ein entsprechender Beratungsantrag der KZBV gestellt. Das Präventionsangebot soll in diesem Bereich flächendeckend für die gesamte GKV verbessert werden. Bislang haben aber lediglich einzelne Kassen angemessen reagiert. So hat die Barmer GEK mit etlichen KZVen entsprechende Kooperationen abgeschlossen, um Kleinkindern zwischen sechs und 30 Monaten zwei Früherkennungsuntersuchungen zu ermöglichen. Auch die AOK Nordrhein-Hamburg bietet ihren Versicherten solche Verträge an. Doch gleicht das nicht nur einem versorgungspolitischen Flickenteppich? Die Leistung ist derzeit nur für einige Versicherte verfügbar – und nicht, wie im zahnärztlichen ECC-Konzept gefordert, für alle Kleinkinder von null bis drei Jahren.
Frühkindliche Kariesprävention soll auch in das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ eingebracht werden. Zum vorliegenden Arbeitsgruppenergebnis, das gemeinsam von Kassen und Zahnärzten ausgehandelt wurde, gibt es vom GKV- Spitzenverband aber bislang keine Freigabe. Diese Haltung passt unter der Überschrift „Vereinheitlichung“ ins Gesamtbild. Erklärtes Ziel der Kassen scheint es im G-BA zu sein, in der Qualitätssicherung, aber auch in der Methodenbewertung eine Gleichbehandlung des stationären, des ambulanten und des zahnärztlichen Sektors zu erwirken – ohne dabei die besonderen und berechtigten Belange der Zahnmedizin zu berücksichtigen. Dazu zählt auch das Bestreben, die ICD-10 Diagnoseverschlüsselung aus dem statio- nären und dem ambulanten Bereich bei QS-Verfahren oder beim Krebsregistermeldeverfahren einfach auf die zahnmedizinische Versorgung zu übertragen.
Ich appelliere daher an die Kassen, anstelle von Partikularinteressen ihre Versicherten wieder stärker in den Fokus zu rücken. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die flächendeckende, wohnortnahe Versorgung weiter leidet. Diesem ureigenen Ziel der Sicherstellung ist die KZBV von jeher verpflichtet. Eine Selbstverwaltung, die auf einem demokratischen Selbstverständnis begründet ist, sollte nicht nur in solchen wichtigen Fragen wieder stärker an einem Strang ziehen. Die KZBV bietet den Kostenträgern dafür einen lösungsorientieren Dialog an.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang EßerVorstandsvorsitzender der KZBV