Der besondere Fall

Überzähliger Zahnkeim direkt am Foramen mentale

Eine 50-jährige Patientin stellte sich mit seit etwa zwei bis drei Wochen bestehenden, nicht ausstrahlenden Schmerzen im Bereich des rechten Unterkiefers im Kiefer-Gesichtszentrum Frankfurt vor.

Die Schmerzen projizierten sich auf den Prämolarenbereich. Klinisch bestand keine Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet des Nervus alveolaris inferior.

Palpatorisch zeigte sich eine etwa zehn Millimeter im Durchmesser messende, leicht druckschmerzhafte, derbe, nicht verschiebliche Schwellung vestibulär der Zähne 44 und 45. Die linguale Palpation des Unterkiefers zeigte einen unauffälligen Befund. Die Mundöffnung war nicht eingeschränkt, der Mundboden war nicht angehoben und der Unterkieferrand war vollständig durchtastbar. Die Zähne 47, 45, 44, 43, 42 und 41 reagierten positiv auf Kältereiz und waren weder perkussionsempfindlich noch gelockert. Der Zahn 45 wies eine Rezession auf (Abbildung 2).

Auffällig war eine rundliche Aufhellung mit einer halbkreisförmigen Verschattung

Im angefertigten Orthopantomogramm fiel eine rundliche Aufhellung mit einer randständigen, halbkreisförmigen Verschattung apikal des Zahns 45 auf. Die Aufhellung projiziert sich in den Bereich des rechtsseitigen Foramen mentale (Abbildung 1). Zur genauen Identifikation der Lage und der radiologischen Dignität des Prozesses wurde eine dreidimensionale Bildgebung mittels einer Computertomografie ohne Kontrastmittelgabe durchgeführt. Hier zeigte sich ein rundliches Areal einer Osteolyse mit einem Durchmesser von etwa 1,5 cm lingual-kaudal des Foramen mentale. Die Osteolyse wies in der koronaren Schnittebene eine randständige, solitäre, röntgendichte Veränderung auf. Die Dichtewerte der Struktur waren am ehesten mit einer überzähligen Zahnanlage in Regio 44/45 vereinbar (Abbildungen 3 und 4).

Aufgrund des Beschwerdebildes der Patientin und des radiologischen Befunds sowie der komplexen anatomischen Lage des Zahnkeims zum Nervus mentalis wurde mit der Patientin eine Entfernung der überzähligen Zahnanlage in Allgemeinanästhesie vereinbart.

Es erfolgten eine vestibuläre Wechselschnittführung von Regio 42 bis Regio 46 und die Präparation eines Mukoperiostlappens. Des Weiteren erfolgte eine Darstellung und Neurolyse des Nervus mentalis. Der Verlauf des Nervus alveolaris wurde piezochirurgisch in seinem Verlauf dargestellt und der Nerv lateralisiert. Es zeigte sich eine dunkle, zystische Wandstruktur um den Zahnkeim (Abbildung 5).

Zahnsäckchen und Zahnkeim wurden eingeschickt

Nach Eröffnung des zystischen Hohlraums entleerte sich eine gallertartige Masse. Das Zahnsäckchen wurde vollständig entfernt und zur pathohistologischen Untersuchung eingeschickt. Der nun einsehbare Zahnkeim konnte mittels Luxation mit einem kleinen Hebel nach Beck ohne weitere Osteotomie entfernt werden (Abbildungen 6 und 7). Auch dieser wurde zur pathohistologischen Untersuchung eingeschickt. Die osteotomierten Knochenanteile wurden nach der Entfernung des Zahnkeims und der Rückverlagerung des Nervus mentalis zur Beschleunigung der Knochenheilung kompressionslos reponiert und im Knochen verkeilt. Der Wundverschluss erfolgte mit Vicryl 4–0.

Der pathohistologische Befund ergab einen überzähligen Zahnkeim sowie Bindegewebe mit chronisch fibrosierender Entzündung und fragmentierten Knochenanteilen. Die postoperativ bestehende Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet des N. alveolaris inferior rechtsseitig war im weiteren Verlauf von mehreren Wochen rückläufig. Das postoperativ durchgeführte Orthopantomogramm bestätigte die vollständige Entfernung des Zahnkeims. Die Patientin war abschließend – im Vergleich zur präoperativen Situation – völlig beschwerdefrei.

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Diskussion

Grundsätzlich kann eine morphologische und/oder eine nummerische Anomalie von Zähnen bestehen. Überzählige Zahnanlagen zählen zu den häufigsten dentogenen Anomalien und können zu einem verspäteten Zahndurchbruch, zu okklusalen Problemen, zu einem medianen Diastema, zu einer Schädigung/Verdrängung oder zu einer Rotation von benachbarten Zähnen sowie zu zystischen Veränderungen führen [Acharya S, Ghosh C, Mondal PK, 2014].

Überzählige Zähne und Zahnanlagen werden häufig schon im Kindes- oder Adoleszenzalter identifiziert und gegebenenfalls therapiert [Foley J, 2004; Rajab LD, Hamdan MA, 2002]. Insgesamt treten diese bei männlichen Individuen und bei der permanenten Dentition häufiger auf [Anthonappa RP, Omer RS, King NM, 2008; Foley J, 2004; Mossaz J et al., 2014; Rajab LD, Hamdan MA, 2002]. Mesiodentes sind die häufigsten überzähligen Zahnanlagen (48,52 Prozent), gefolgt von der Prämolarenregion (23,76 Prozent) [Mossaz J et al., 2014; Ratson T, 2013]. Mesiodentes treten bei 0,15 Prozent bis 1,9 Prozent der Bevölkerung auf [Ratson T, 2013].

Überzählige Zahnanlagen können grundsätzlich überall auftreten

Grundsätzlich können überzählige Zahnanlagen in verschiedenen Formen und in allen Kieferregionen auftreten. [Shah A, Gill DS, Tredwin C, Naini FB, 2008]. In nur 22,8 Prozent der Fälle liegen Resorptionen benachbarter Zahnwurzeln vor [Mossaz J et al., 2014]. Überzählige Zahnanlagen sind häufig ein radiologischer Zufallsbefund im Rahmen der OPG-Diagnostik [Ratson T, 2013]. Zur exakten morphologischen Identifikation von skelettalen, nervalen und dentalen Strukturen zueinander sollte präoperativ eine dreidimensionale Bildgebung durchgeführt werden.

Die dreidimensionale CT-Darstellung gewährleistet eine akkurate präoperative Einschätzung der überzähligen Zahnanlage in Bezug auf die genaue anatomische Lage sowie auf deren Zahnform und gibt Aufschluss über mögliche Wurzelresorptionen und deren Ausmaß an benachbarten Zähnen [Liu DG et al., 2007; Mossaz J et al., 2014; Wen C, Li G, Ren J, Zheng G, 2012]. Aufgrund der engen anatomischen Lage der Veränderung zum Verlauf des Nervus mentalis und der dadurch bestehenden erschwerten operativen Schwierigkeit sollten solche Eingriffe in Allgemein- anästhesie durchgeführt werden. Dies erleichtert eine Protektion des Nerven und vereinfacht das Vorgehen für den Operateur wie für den Patienten.

Die Technik der Piezochirurgie basiert auf piezoelektrischen Ultraschallmikrovibrationen und wird zur selektiven Chirurgie des Knochengewebes verwendet. Die Arbeitsfrequenz der Ultraschallmikrovibrationen zur Hartgewebspräparation liegt zwischen 25 und 30 kHz; die Arbeitsfrequenz zur Weichgewebspräparation bei etwa 50 kHz. Der Operateur kann mithilfe der Piezochirurgie (22 bis 35 kHz) knochenselektiv und weichgewebsschonend arbeiten und somit das Risiko einer ungewollten Schädigung von Nerven- und Weichgewebe reduzieren.

Die piezochirurgische Dekompression

Diese Methode gilt gegenüber herkömmlichen Osteotomieverfahren durch die Vermeidung von thermischen Gewebeläsionen als knochengewebsschonend. Dieser gewebeschonende Effekt wird durch die laminare Strömung des Kühlmediums (physiologische NaCl-Lösung) erreicht [Pavlikova G et al., 2011; Robiony M et al., 2014].

Ein weiterer klinischer Vorteil der Anwendung des piezochirurgischen Verfahrens besteht in einer verringerten intra- und postoperativen Blutung und in einer Verkürzung des ossären Heilungsprozesses aufgrund des Erhalts der Viabilität der Osteozyten [Pereira CC et al., 2014; Rahnama M et al., 2013].

Die piezochirurgische Dekompression des Nervus mentalis ist aufgrund der oben aufgeführten Eigenschaften – neben der Anwendung bei Sinus-Lift-Operationen, Bone Graft Harvesting, Zytektomien, der Osteotomie impaktierter Zähne, Dysgnathie-Operationen und der endodontischen Mikrochirurgie – eine der Hauptindikationen für die Verwendung eines Piezogeräts in der intraoralen Chirurgie [Pavlikova G et al., 2011].

Dr. Dr. Frank-Hendric KretschmerKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum MarburgBaldingerstraße, 35043 Marburginfo@kiefer-gesichtszentrum-frankfurt.de

Dr. Dr. Dominik LampKiefer-Gesichtszentrum FrankfurtRahmhofstr. 2-460313 Frankfurt

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