xentis EU-Charta für die Freien Berufe
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
vor dem Hintergrund der europäischen Wirtschaftskrise setzt die EU-Kommission derzeit auf mehr Wettbewerb im Dienstleistungsbereich. Sie will auch bei den regulierten Berufen eine Öffnung der Märkte erwirken. Das Mittel dazu ist die laufende Transparenzinitiative, mit der alle nationalen Reglementierungen des Berufszugangs unter dem Aspekt der Binnenmarkttauglichkeit auf den Prüfstand gestellt werden. Betroffen sind Regelungen zum Berufszugang wie auch zur Berufsausübung.
Nun klingt Deregulierung auf den ersten Blick zunächst einmal positiv. Doch was sich hinter diesem Vorhaben verbirgt, sollte aus Sicht der Heil- und Freiberufler die Alarmglocken schrillen lassen. Unklar ist etwa, ob durch einen sich selbst regulierenden Markt kostengünstigere Leistungen überhaupt generiert werden können. Freiberufliche Leistungen sind persönlich, eigenverantwortlich erbracht und geistigideeller Natur, sie sind geprägt durch die Qualität der Ausbildung, durch Professionalität und durch das ethische Verständnis des Leistungserbringers. Insofern ist es aus unserer Sicht völlig falsch, hier mit einem pauschalen deregulatorischen Ansatz zu kommen.
Freiberufler nehmen ferner eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe unter Einhaltung hoher fachlicher und ethischer Anforderungen wahr. Die besondere Bedeutung von Qualitäts- und Verbraucherschutzaspekten der freiberuflichen Dienstleistung mit Blick auf die Gemeinwohlverpflichtung wird auf europäischer Ebene nur unzureichend berücksichtigt – genauso wie die Tatsache, dass Freie Berufe einen wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Faktor darstellen.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass durch Deregulierungstendenzen die Systeme der freiberuflichen Selbstverwaltung leichtfertig zur Disposition gestellt werden. Letztlich steht das Kammerwesen auf dem Prüfstand. Dies hätte gravierende Folgen für die Qualität der freiberuflichen Dienstleistungen. Eine funktionierende Selbstverwaltung entlastet die staatliche Bürokratie und die Steuerzahler. Sachfremde Eingriffe mit Regeln, die aus Europa übergestülpt werden, sind hier kontra- produktiv. Erste Anzeichen dafür sind schon bemerkbar: So wird etwa derzeit die Existenz von Tierärztekammern kritisch hinterfragt.
Was tun? Angesichts der Bedeutung, die die Freien Berufe bei der Stabilisierung der Wirtschaft innehaben, sollte deren Rolle in Europa vielmehr gestärkt werden. So ist es sinnvoll, darauf hinzuwirken, dass die europäischen Institutionen eine EU-Charta der Freien Berufe verabschieden, die auf die speziellen Bedürfnisse von Freiberuflern eingeht. Denn bis heute gibt es kein einheit- liches Verständnis von Freiberuflichkeit in Europa. Dazu haben die europäischen Zahnärzte, basierend auf einer Initiative der Bundeszahnärztekammer, bereits intensive Vorarbeiten geleitstet. Im Council of European Dentists (CED) wurde eine solche Charta erarbeitet und europaweit mit den Zahnärzteverbänden der CED-Mitgliedsländer konsentiert. Weitere europäische freiberufliche Dachverbände, nämlich die der Ärzte, der Apotheker, der Veterinäre und der Ingenieure, haben die Charta angenommen. In dem Papier geht es darum, konkrete Forderungen aufzustellen, wie die EU-Gesetzgebung den Erfordernissen der Freien Berufe besser gerecht werden kann. Diese sollten nicht nach den Bedürfnissen rein marktwirtschaftlicher Kriterien beurteilt werden, sondern der Mehrwert der Dienstleistungen für die europäische Gesellschaft müsste im Vordergrund stehen. Es gibt bereits erste Anzeichen, dass die Belange der Freiberufler auf europäischer Ebene Gehör finden. So hat das EU-Parlament in seiner Resolution zum Aktionsplan Unternehmertum 2020 den Gedanken einer solchen Charta erstmals positiv aufgegriffen. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat in seiner Stellungnahme zur Zukunft der Freien Berufe die Verabschiedung einer europäischen Charta begrüßt und die vom CED erarbeitete Charta als mögliches Vorbild anerkannt.
Wir Zahnärzte bleiben jedenfalls am Ball, um die Freiberuflichkeit in Europa zu stärken.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Engel
Präsident der Bundeszahnärztekammer