Editorial

Bedenke das Ende

Denke ich

an Europa

in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, und meine heißen Tränen fließen.

Europa? Wenn man sich anschaut, worum sich die obersten Gestalter Europas (bitte nehmen Sie diese Bezeichnung wörtlich) – die EU-Kommission – so kümmern und worum nicht, entsteht schnell der Eindruck, dass es ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Brüsseler Aktivitäten und den tatsächlichen politischen Notwendigkeiten gibt. Nun, durch einen Tränenschleier ist es schwer, einen scharfen Blick zu behalten und genau das scheint Absicht zu sein. Nicht nur, dass gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren mit Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie gegen die Architekten und Steuerberater eingeleitet wurde. Mit wachem Auge auf die sogenannte aktuelle Transparenzinitiative geblickt, müssten die Angehörigen der Freien Berufe – also auch Zahnärzte und Ärzte – bereits auf den Barrikaden sein. Sind sie aber nicht …

Um was geht es? Die Transparenzinitiative ist so eine Aktivität, bei der man sich fragt, ob die in Brüssel nichts Besseres zu tun haben, als regulierte Berufe in den gegenseitigen europäischen Evaluationsprozess zu jagen, so auch die Dental Hygienists, kurz DH. Warum? Wegen der Deregulierung, sagen die Brüsseler Beamtenkreise. Deregulierung ist wichtig, um Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Wachstum entsteht durch die Freizügigkeit am Arbeitsmarkt. Und dafür braucht man eine Transparenzinitiative, um eventuell und vielleicht in den EU-Mitgliedsländern bestehende Hemmnisse am Arbeitsmarkt abzubauen.

Schwant Ihnen etwas? Jetzt wird es nämlich gefährlich, denn wir reden nicht mehr über Fakten, sondern über Glaubensbekenntnisse. Deregulierung erzeugt Wachstum ist so eins.

Jeder Freie Beruf hat klare Zugangsbedingungen und solche, die die Berufsausübung regeln. Wir geben einen Teil unseres Einkommens dafür, Teil eines Systems zu sein, das eine freie Berufsausübung ermöglicht. Ja, so paradox das klingt, erst das Kammersystem macht es möglich, einen Beruf auszuüben, der frei von den Interessen des (Fremd-)Kapitals ist. Sie entscheiden jeden Tag, was das Beste für den Patienten ist – nach den gegebenen Regeln. Und Sie tun es in freier Berufsausübung. Keiner kann Ihnen reinreden, solange Sie den wissenschaftlich validierten Regeln ihres Fachgebiets folgen. Aber eben nicht der Logik von Finanzinvestoren.

Meine Befürchtung ist, dass wir Heilberufler diese Freiheit für eine Selbstverständlichkeit halten. Schlimmer noch, wir uns von den Kammern und KZVen gegängelt (stimmt sogar hier und da) fühlen, und uns eher freuen, wenn „deren Einfluss“ gestutzt wird. Dabei sind diese das letzte Bollwerk. Was wird denn passieren, wenn die deutschen Gegebenheiten kraft Quaste den angelsächsischen angepasst werden? Was ist, wenn die DH nach englischem Muster auch in Deutschland selbstständig tätig sein darf? Das Abendland wird dadurch nicht untergehen, aber die Diskussion um Delegation und Substitution ist dann entschieden. Punkt. Und glauben Sie nicht, dass all dies ohne Auswirkungen auf Ihren Praxisumsatz bliebe.

Es geht ans Eingemachte für beide Berufsstände: Zahnärzte und Ärzte sitzen im gleichen Boot mit dem Namen „Freiberuflichkeit ade“. Deshalb sollten Sie auch keine Hilfe unserer Politiker erwarten, denn deren Agenda heißt Staatsmedizin, bestimmt nicht, die Leistungserbringer zu stärken. Denen ist entgegen den Lippenbekenntnissen jede Abrissbirne willkommen, egal ob diese sich Transparenzinitiative, Deregulierung oder Wachstum durch Freizügigkeit nennt. Hauptsache, jemand anders hat den Schwarzen Peter.

Deshalb sei es nochmals gesagt: Die Konsequenzen aus der aktuellen EU-Transparenzinitiative werden erhebliche Folgen für die Zahnärzteschaft haben. Das Mantra der Kommission, dass Deregulierung die Qualität erhöht und die Preise durch mehr Wettbewerb senkt – wurde nicht überprüft, nie evaluiert und Studien, die diese Ansicht belegen könnten, gibt es schon gar nicht. Und die (Behandlungs-)Qualität? Noch nie am Outcome gemessen, sondern immer nur an Qualitätsindikatoren. Die wiederum auch nicht immer messen, was sie sollen.

Deshalb, bleiben Sie wachsam. Und gehen Sie auf die Barrikaden wie weiland Jeanne d´Arc. Womit wir wieder bei Heinrich Heine und seinem 1844 verfassten Gedicht „Nachtgedanken“ sind:

Gottlob! Durch mein Fenster bricht Französisch heitres Tageslicht, es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, und lächelt fort die deutschen Sorgen.

Es muss wohl doch Jeanne d’Arc gewesen sein, die englische DH war´s definitiv nicht.

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