Europäische Medizinprodukteverordnung

Wie gefährlich sind Brücken?

Die EU will eine Verordnung „anpacken“, die den Arbeitsalltag von Zahnärzten massiv beeinflusst. Eine Vielzahl von Dentalmaterialien, wie Brücken, Abform-materialien und Ätzgele, sollen demnach als Hochrisikoprodukt eingestuft werden. Doch noch reden EU-Kommission, Rat und Parlament nicht mit einer Stimme.

Genauer gesagt handelt es sich um zwei Verordnungsentwürfe, mit denen die EU-Vorschriften für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika modernisiert werden sollen. Die beiden Medizinprodukteverordnungen decken ein breites Spektrum von Produkten ab, vom Heftpflaster bis zu Hüftprothesen, von Herzschrittmachern oder Labortests für die Bewertung medizinischer Eingriffe bis hin zu Brustimplantaten. Werden die Verordnungen so umgesetzt, sind auch bewährte Dentalmaterialien davon betroffen, in die Gruppe III einsortiert zu werden.

Der Einigung der EU-Gesundheitsminister ging ein bald dreijähriges Tauziehen voraus: Bisher gibt es auf EU-Ebene lediglich eine Richtlinie, die national im Medizinproduktegesetz umgesetzt wurde.

EU-Parlament und EU-Rat uneins

Mit den nun geplanten neuen Verordnungen will die EU direkte Verbindlichkeit auf nationaler Ebene schaffen. Dazu hatte die Kommission im September 2012 einen Entwurf für eine Medizinprodukteverordnung vorgelegt. Dieser wurde vom Europäischen Parlament mit vielen Änderungen versehen und im April 2014 in erster Lesung angenommen.

Jetzt hat sich der Rat festgelegt, und zwar mit einer Position, die näher an der ursprünglichen Fassung der Kommission liegt. Als einziges Land hat Deutschland diesem Kompromiss nicht zugestimmt. Die Bundesregierung sieht noch Änderungsbedarfe, vor allem im Hinblick auf die Patienten- und Versorgungssicherheit, die Praktikabilität und die Finanzierbarkeit.

Damit liegen nun zwei Positionen vor, nämlich die vom EU-Parlament und die vom EU-Rat. Ab Herbst werden die Trilogverhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission starten, um eine endgültige Einigung herbeizuführen.

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Der Knackpunkt ist Nanomaterial

Die BZÄK und der Verband der Deutschen Dentalindustrie begleiten den Gesamtprozess kritisch. Als problematisch sehen sie insbesondere die im Anhang der Verordnung aufgeführte Klassifizierungsregel 19.

Bewährt reicht nicht mehr aus

Wie der Verband der Deutschen Dentalindustrie (VDDI) vermeldet, sind rund 95 Prozent aller dentalen Medizinprodukte in die Klassifizierungsgruppen I, IIa oder IIb eingeordnet. Diese Produkte sind seit Jahren bestens bewährt, Risiken für die Gesundheit oder das Leben von Patienten wurden nicht bekannt.

Aber: Ein Großteil der heute verwendeten Dentalmaterialien würde der im Verordnungsentwurf aufgestellten Definition von Nanomaterialien entsprechen und somit unter die Klassifizierungsregel fallen. Es liegt in der Natur der Sache, so die BZÄK in ihrer Stellungnahme, dass langzeitig in die Zähne oder in die Mundhöhle eingebrachte Medizinprodukte wie Füllungs- oder Zahnersatzmaterialien durch die kaufunktionelle Beanspruchung der Abrasionen unterliegen. Die freigesetzten Materialmengen selbst seien verschwindend gering. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass dabei Nanopartikel frei werden beziehungsweise durch das "Zermahlen" entstehen.

Bei diesen Materialien handelt es sich jedoch überwiegend um seit Jahren eingeführte und bewährte Produkte, für die ein Gefährdungspotenzial für Patienten und Anwender nicht generell gegeben ist. Dennoch müssten durch die Einstufung in die (Risiko-)Klasse III gemäß Regel 19 eine große Anzahl von Produkten, vermutlich mehr als 100 000 Medizinprodukte, aus den Klassen I bis IIb in die Klasse III höhergestuft werden.

Weder die EU-Kommission noch der EU-Rat lieferten eine Begründung für die Höherstufung, bemängelt der VDDI. Bei Umsetzung dieses Vorhabens seien zukünftig rund 70 bis 75 Prozent aller dentalen Medizinprodukte Klasse-III-Produkte, rechnet der Verband vor. Dies beträfe unter anderem alle Zahnfüllungsmaterialien, Zahnkronen, Brücken, künstliche Zähne oder Abformmaterialien. Sogar das Okklusionspapier, das bei einer Zahnbehandlung zur Prüfung des Zusammenbisses der Zähne lediglich für Sekundenbruchteile im Mundraum der Patienten benötigt wird, sei betroffen.

Dies habe, so die BZÄK, kurzfristig kaum zu bewältigende Folgen. Die benannten Stellen könnten die Flut der zu prüfenden Produktdokumentationen in vertretbaren Zeiträumen kaum bewältigen. In vielen Fällen müssten für Medizinprodukte, die schon seit vielen Jahren im Markt sind, nachträglich klinische Prüfungen durchgeführt werden. Für die Hersteller entstünden dadurch zusätzliche Kosten, die dazu führen könnten, gerade Medizinprodukte kleiner und mittlerer Unternehmen von Markt zu drängen.

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BZÄK wirbt für Parlamentsposition

Vor diesem Hintergrund wirbt die BZÄK für die Position des Europäischen Parlaments in dieser Sachfrage. Denn dieses hatte im Oktober 2013 die Bedenken der deutschen und der europäischen Zahnärzteschaft sowie des VDDI aufgegriffen und die Klassifizierungsregel 19 wie folgt abgeändert: „Alle Produkte, die Nanomaterial enthalten oder daraus bestehen und bei denen die Abgabe des Nanomaterials in den menschlichen Körper beabsichtigt ist, werden der Klasse III zugeordnet.“ Diese Position wurde seinerzeit insbesondere von den Abgeordneten der Europäischen Volkspartei EVP mitgetragen.

Krankenkassen wollen schärfere Regeln

Hingegen betrachten die Krankenkassen den Beschluss des Rats als halbherzig – zumindest äußert sich so der AOK-Bundesverband. Die EU-Regeln blieben zu lasch, bei der Verpflichtung auf klinische Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit gebe es zahlreiche Ausnahmen und eine verpflichtende Haftpflichtversicherung für Medizinproduktehersteller sei vom Tisch. Und den Grünen im Bundestag zufolge geht der Prozess zugunsten der Hersteller und zulasten der Patienten. Sie fordern eine behördliche Zulassung von Hochrisiko-Medizinprodukten und von Implantaten.

Für die Zahnärzteschaft bleibt das Ganze erst einmal offen. Nach den Trilogverhandlungen im Herbst, wenn das Gesetzgebungsverfahren in die entscheidende Phase geht, wird sich zeigen, welche Konsequenzen die neuen Regeln aus Europa für den Praxisalltag haben werden.

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