Bargeldlose neue Welt
Tolerant sein und offen für Neues – das ist typisch holländisch. Da verwundert es auch nicht, dass es im Amsterdamer Bio-Supermarkt keine Kasse mit Geldschublade mehr gibt. Die Kassiererin lässt der Kundin die Wahl, ob sie mit Karte oder Smartphone zahlen will. An Bargeld ist sie nicht interessiert.
In Deutschland macht man sich eher unbeliebt, wenn man am Freitagnachmittag statt Bargeld die Karte zückt. Dann geht immer noch ein leises Murren durch die Schlange der Wartenden. Der Grund: Das Bezahlen mit dem Plastikstück dauert länger als mal eben Wechselgeld herauszugeben. Geht es nach den Ideen des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, wird das holländische Beispiel auch hier bald Schule machen. Denn wie seine amerikanischen Kollegen Kenneth Rogoff und Larry Summers, ehemaliger US-Finanzminister, fordert er die Abschaffung des Bargelds. Allerdings denkt er dabei nicht an die Kasse im Supermarkt. Er hat viel weitreichendere Gründe: Er will das Schwarzgeld unter Kontrolle bringen und den Finanzpolitikern das Leben erleichtern.
Der Gedanke dabei ist, dass sich die Wege elektronisch verschobenen Geldes wunderbar nachvollziehen lassen. Steuerfahnder hätten leichtes Spiel, Schwarzarbeit wäre kein Thema mehr und die Bankangestellten auf den Cayman-Islands arbeitslos.
Einen anderen gewichtigen Grund für die Abschaffung des Bargelds finden vor allem die Finanzpolitiker. Sie wollen die Konjunktur weiter ankurbeln und möchten die Menschen zum Geldausgeben zwingen. Damit diese ihr Geld nicht weiter zu Minizinsen auf ihren Konten halten, sollen sie mit Negativzinsen bestraft werden. Diese Maßnahme lässt sich natürlich einfacher durchsetzen, wenn die Kunden das Geld nicht einfach abheben können, um es vor dieser Entwertung zu schützen.
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Konsumkontrolle
Besonders in der Schweiz, die mit dem hohen Franken-Kurs und dem billigen Euro zu kämpfen hat, werden derzeit Maßnahmen diskutiert, ob man den negativen Leitzins von derzeit 0,75 Prozent weiter erhöhen soll oder nicht. Derzeit zahlen die eidgenössischen Banken ihrer Zentralbank diese Gebühr für die Lagerung des Geldes. Sie selbst reichen diese Belastung so weit wie möglich an ihre Kunden weiter. Vor allem Vermögensverwalter und andere professionelle Geldanleger denken darüber nach, wie sie dieser „Strafe“ entkommen können. Schweizerische Pensionskassen haben ausgerechnet, dass es nur 0,3 Prozent Gebühren kostet, Guthaben in Bargeld bei speziellen Lagerhäusern wie Swiss Gold Safe zu lagern – also eine Möglichkeit zum Sparen.
Jetzt steht laut eines Berichts der Neuen Zürcher Zeitung NZZ eine weitere Variante zur Lösung des Bargeldproblems zu Diskussion. Danach soll es zwei verschiedene Franken-Kurse geben: einen niedrigeren für Bargeld und einen höheren für Buchgeld auf dem Konto. In der Praxis hieße das: Dieser Wechselkurs würde sich nach dem jeweiligen Negativzins richten. Läge der beispielsweise bei drei Prozent, bekäme der Bargeldbesitzer in einem Jahr nur noch 97 Rappen, wenn er sein Geld aufs Konto einzahlte. Der Besitz von Frankenscheinen und Rappenmünzen würde also bestraft. Ob sich eine solche Vorgehensweise tatsächlich umsetzen lässt, bleibt fraglich.
Das gilt auch für Deutschland. Hierzulande hängen die Bürger nach wie vor besonders stark an den Scheinen in ihrer Geldbörse. Rund zwei Drittel von ihnen zahlen am liebsten bar. Laut einer Untersuchung des IT-Verbandes Bitkom glauben drei Viertel der Deutschen, dass sie damit ihre Finanzen besser unter Kontrolle haben.
Vor allem aber ermöglicht Bargeld ihnen, einen Rest Privatsphäre zu wahren. Niemand kann nachvollziehen, für was man dieses Geld ausgibt. Und ein weiterer wichtiger Vorzug ist, dass die Bundesbank das Bargeld kontrolliert und herausgibt. Das macht Bargeld sicherer als das Buchgeld, das die Bürger auf ihren Bankkonten halten. Denn die Notenbank kann nicht Pleite gehen. Es sei denn, der Staat wird zahlungsunfähig.
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"Zentralbankkonten für alle Bürger"
Diesen Vorteil betont auch Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank: „So ist Bargeld das liquideste Zahlungsmittel; außerdem sind Banknoten Zentralbankgeld. Dies ist insbesondere in Zeiten erhöhter Unsicherheit von Bedeutung, in denen die Bevölkerung physisch greifbares Geld einer Notenbank halten möchte, anstatt Forderungen gegenüber einer Geschäftsbank zu haben.“ Insgesamt beträgt das als Bargeld gehaltene Vermögen 115 Milliarden Euro. Das ist nur ein kleiner Teil des gesamten Geldvermögens der privaten Haushalte von rund fünf Billionen Euro.
Die von der Zentralbank garantierte Sicherheit von Bargeld ist auch für den Schweizer Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bern, Dirk Niepelt, ein wichtiges Argument. Deshalb fordert er im Falle einer Abschaffung von Münzen und Scheinen Zentralbankkonten für alle Bürger. Bislang halten nur Banken Konten bei den Zentralbanken. Deren Kunden führen ihre Giro- und Sparkonten bei den Geschäftsbanken, deren Sicherheit auf Dauer niemand garantieren kann. Ein Konto bei der Zentral- oder Notenbank würde die Einlagen sicherer machen. „Denn“, so Niepelt, „Sichteinlagen bei der Zentralbank stellen Notenbankgeld dar, dies im Gegensatz zu Einlagen bei Geschäftsbanken, die nur Ansprüche auf Notenbankgeld begründen.“
Auch Dr. Daniel Stelter, Makroökonom und Gründer des Forums „Beyond the obvious“, spricht ebenfalls von einem „erheblichen Unterschied zwischen Bargeld und dem Guthaben auf einem Bankkonto. Das Kontoguthaben ist ein Anspruch gegen die Bank und unterliegt, wie wir leidvoll gesehen haben, einem erheblichen Risiko. Bei Eigenkapitalquoten von rund drei Prozent bedarf es keine großen Ereignisse und die Bank ist pleite.“ Die Konsequenz daraus: „Gibt es kein Bargeld mehr, kann niemand mehr aus diesem System flüchten.“
Als Lösung sieht er die Schaffung von Vollgeld an. Das würde bedeuten, dass „Banken nur dann Kredite vergeben können, wenn sie zuvor entsprechende Einlagen von Kunden bekommen hätten, mit der expliziten Erlaubnis, dieses Geld als Kredite weiterzugeben.“ Geld auf dem Girokonto dürfte nicht ausgeliehen werden und die Bank müsste es in voller Höhe in ihrem Tresor vorhalten. „Dieses Geld wäre dann in der Tat genauso sicher und damit genauso soviel Wert wie Bargeld,“ so Stelter. „Neues Geld“ in Form von nicht mit Einlagen unterlegten Krediten dürfte dann nur noch die Zentralbank ausgeben. Diese Idee fand ihre Unterstützer schon in Benjamin Franklin oder Milton Friedman. Durchgesetzt hat sie sich allerdings bis heute nicht.
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Schweden zahlen nur noch Drogen bar
Stattdessen ist das Bezahlen mit Karte und Smartphone schon auf dem Vormarsch. Zwar geben die Deutschen sich noch zurückhaltend. 26 Prozent zahlen mit der GiroCard. Mobile Zahldienste oder die Kreditkarten spielen keine große Rolle. In den skandinavischen Ländern hingegen ist man da schon weiter. Die Dänen wollen den gesetzlichen Annahmezwang für Bargeld in kleinen Geschäften, Tankstellen und Restaurants aufheben. Begründet wird das mit den Kosten, die das Zählen und Bearbeiten des Bargelds mit sich bringt.
Einen anderen Weg bei der Zurückdrängung von Bargeld gehen die romanischen Länder. Sie wollen vor allem die Schattenwirtschaft und die Steuerhinterziehung eindämmen. Dort wird das Bezahlen größerer Summen mit Bargeld nach und nach verboten. So plant die französische Regierung für Inländer die Barzahlungsgrenze von 1.500 auf 1.000 Euro zu senken. In Italien gilt diese Obergrenze schon seit 2011. Die Griechen, die nur Rechnungen bis 500 Euro bar begleichen dürfen, müssen mit einer Absenkung auf 70 Euro rechnen.
Am weitesten gediehen ist der Verzicht auf Bargeld in Schweden. 95 Prozent der Käufe im Einzelhandel werden mit Karten bezahlt. Nur illegale Geschäfte wie Drogenkauf werden noch mit „Cash“ beglichen. In einer vielzitierten Studie „The Cashless Society“ heißt es: „2030 sind wir bargeldlos.“ Und die Bürger machen mit. Sie scheinen ihren Banken zu vertrauen. Die freuen sich über viele erhobene Abwicklungsgebühren.
In Deutschland wird es länger dauern. Doch aufhalten lässt sich dieser Trend wohl kaum. Die technischen Voraussetzungen werden immer besser. Die Plastikkarte soll bald Schnee von gestern sein, das mobile Bezahlen mit dem Smartphone dagegen angesagt. Mobile Payment heißt das Schlagwort. Handelsexperten sind sicher, dass diese Methode sich im Einzelhandel durchsetzen wird.
Abschreckend wirken allerdings die vielen Bezahlvarianten: via SMS, per App, durch Scannen eines QR-Codes oder mittels Near Field Communication (NFC). In einer Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH) in Köln und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG heißt es: „Momentan gibt es enorm viel Bewegung und Spekulationen darüber, welche Lösung sich durchsetzen wird.“
Viele Nutzer stören sich daran, dass sie beispielsweise für jeden Supermarkt wie zum Beispiel Rewe oder Edeka eine eigene App herunterladen müssen. Am Kassenterminal scannt der Kunde einen QR-Code (Quick Response). Der Code enthält den Rechnungsbetrag und der Kunde autorisiert die Zahlung mit der Eingabe einer PIN. Bei der NFC werden Chips in die Smartphones integriert.
Beim Bezahlen hält der Kunde sein Smartphone einfach an ein Lesegerät und mittels Funktechnik wird der Betrag vom Konto abgebucht. Apple bietet dieses System ebenfalls an. Das Unternehmen sorgte für Aufregung als es im vergangenen September mit Apple Pay einen eigenen Bezahldienst angekündigt hat. Derzeit ist er allerdings nur in den USA verfügbar. Doch Experten rechnen, dass Apple diesen Markt auch in Europa in Schwung bringen wird.
###more### ###title### Elektronisch die Bonität scoren ###title### ###more###
Elektronisch die Bonität scoren
So bequem und cool das Bezahlen mit dem Smartphone ist, die Nutzer sollten dabei nicht vergessen, wie viele Daten sie hinterlassen: Zeitpunkt und Ort des Einkaufs, gekaufte Waren und den Preis. Diese Informationen lassen sich wunderbar zu einem Nutzerprofil zusammenstellen. Datenschützer sehen diese Entwicklung sehr kritisch. Ulrich Lepper Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen, meint: „Über einen ausschließlich elektronischen Zahlungsverkehr würde der „gläserne“ Kunde noch durchsichtiger, noch kalkulierbarer. Nicht auszuschließen ist, dass elektronisches Zahlungsverhalten verstärkt genutzt würde, um die Bonität einer Person zu scoren.
Deshalb muss weiterhin die Möglichkeit bestehen, Einkäufe auch anonym zu erledigen. Vor diesem Hintergrund stehe ich dem Vorschlag eines ausschließlich elektronische Zahlungsverkehrs sehr skeptisch gegenüber.“ Und sein Kollege aus Rheinland-Pfalz, Edgar Wagner fordert: „Wir registrieren die Rufe aus berufenem Mund nach der Abschaffung des Bargelds. Es braut sich etwas zusammen. Deshalb verlangen wir, dass den Bürgern das Wahlrecht erhalten bleibt. Sie müssen weiterhin zwischen Bargeld und elektronischer Zahlung wählen können.“
Der Alltag in Deutschland würde sich ohne Bargeld schwierig gestalten. Dann kann die Oma ihrem Enkel nicht mal eben einen kleinen Schein zustecken, die Toilettenfrau benötigt ein Terminal fürs Trinkgeld, der Bettler auf der Straße bekäme nur noch Naturalien statt Cash. Und die Kollekte in der Kirche? Aber auch dafür haben die Schweden bereits Lösungen gefunden: Dort zahlt man seinen Obulus mit der Karte.
Den Umgang mit Elektronik lernen die Skandinavier von Kindesbeinen an: Schließlich erhält jedes Kind am ersten Schultag ein staatlich finanziertes IPad. Das Taschengeld überweisen die Eltern auf das Konto des Sprösslings und der gibt es mithilfe seiner Debitcard wieder aus. Was den Umgang mit Geld angeht, haben die Schweden die Nase vorn. Schließlich waren sie 1661 die Ersten in Europa, die die Banknoten eingeführt haben.
Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.e