Gender-Medizin

Sie. Er. Unterschiede.

Parodontitis, Herzinfarkt, Diabetes: Frauen erkranken anders als Männer. Ärzte sollten daher Patientinnen anders beraten und therapieren als Patienten mit der gleichen Diagnose, fordern Gender-Experten. Auch in der Forschung sollen geschlechtsspezifische Aspekte mehr berücksichtigt werden.

Frauen sind häufiger von Karies, Zahnverlust, Zahnlosigkeit und Kiefergelenkserkrankungen betroffen - während Männer öfter Wurzelkaries, erosive Zahnhartsubstanzdefekte, Parodontitis und orale Malignome entwickeln. Auch bei Diabetes, Schlaganfall, der Komplementärmedizin, in der Hirnforschung oder in der Psychiatrie gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Ähnlich wie in der Medizin stammen die meisten Berichte zu geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Mundgesundheit aus den Bereichen Epidemiologie und Klinik. Über geschlechtsspezischen Unterschiede in der zahnärztlichen Therapie und Diagnostik ist bisher nur wenig bekannt.

Das Problem: Vor allem in der Forschung werden geschlechtsspezifische Aspekte häufig vernachlässigt, erläutert Dr. Christiane Gleissner, Präsidentin der Fachgesellschaft Gender Dentistry International e.V. (GDI). Während Alter, Ethnie und soziale Ungleichheit hohe Beachtung erfahren, werde die Kategorie Geschlecht dagegen häufig als „potenzielle Störgröße“ betrachtet. Insgesamt 95 Studien zu keilförmigen Defekten hat Gleissner analysiert. Das Ergebnis: Nur 14 Arbeiten enthielten sowohl Angaben zum Geschlecht der Probanden als auch nach Geschlecht stratifizierte Datenauswertungen.

Rote Pillen – blaue Pillen

Werden geschlechtsspezische Aspekte nicht berücksichtigt, kann dies fatale Folgen haben, berichtet Dr. Martina Kloepfer, Veranstalterin des diesjährigen Bundeskongresses Gender-Gesundheit in Berlin: „Wir kritisieren seit Jahren, dass die meisten Arzneimittel, die bereits am Markt sind, nur an männlichen Versuchstieren und an männlichen Probanden getestet werden“, erläuterte die Kongresspräsidentin, „obwohl Studien gezeigt haben, dass Frauen auf Arzneimittel häufig anders reagieren als Männer.“ So baut eine weibliche Leber bestimmte Wirkstoffe zum Beispiel sehr viel langsamer ab als eine männliche.

Die Gender-Experten plädieren daher für eine „konsequente Berücksichtigung des Geschlechts als Determinante in Forschung und Lehre.“ Dazu gehört, dass bereits bei der Formulierung von Hypothesen die Kategorie Geschlecht als möglicher Einflussfaktor berücksichtigt wird, und dass bei der Analyse von Daten geeignete statistische Verfahren angewendet werden. Klinische Studien müssten dann mit größerer Patientenzahl durchgeführt werden - mit höherem Aufwand und höheren Kosten.

Der Mehraufwand lohne sich dennoch, bekräftigt Gleissner - für beide Geschlechter: „Gerade bei multifaktoriellen Erkrankungen wie Parodontitis, Karies, Zahnverlust und Zahnlosigkeit wirken geschlechtsspezifische Unterschiede auf mehreren Ebenen, so dass präventive Konzepte dementsprechend auf die Geschlechter zugeschnitten sein müssten.“

###more### ###title### Lehrbücher „gendern“ ###title### ###more###

Lehrbücher „gendern“

Eine weitere Problematik, die sich aus der unzureichenden Datenlage ergibt: Die Lehre der Gender-Medizin ist sowohl für Zahnmedizinstudenten als auch für Medizinstudenten in der Regeln nicht Teil des Lehrplans. Geschlechtsspezifische Aspekte von Mundhöhlenerkrankungen werden im zahnmedizinischen Curriculum bisher nur wenig thematisiert. Ihre Umsetzung in der Lehre sei aber eine „wesentliche Voraussetzung für die Integration geschlechtsspezifischen Wissens in die tägliche Praxis“, erläutert GDI-Präsidentin Gleissner. Die GDI habe es sich zur Aufgabe gemacht, Vorschläge für das zahnmedizinische Curriculum und die postgraduale Ausbildung vorzulegen. „Ich halte die Geschlechterperspektive für eine evidenzbasierte, patientenzentrierte Zahnmedizin für unabdingbar. Diese Art der Betrachtungsweise wird fächerübergreifend das (zahn-)medizinische Wissen erweitern und bereichern“, bekräftigt Gleissner, „sie gehört zu einer interdisziplinären, präventionsorientierten Zahnheilkunde zwingend dazu.“ Möglicherweise bedarf es dazu auch einer Veränderung in den Köpfen der Forscher und Lehrenden. So scheinen, nach Aussage der GDI-Präsidentin, Frauen geschlechtsspezischen Fragestellungen gegenüber aufgeschlossener zu sein als Männer: „Die wachsende Zahl der Frauen in Medizin und Zahnmedizin könnte hier Veränderungen bewirken.“

Beim diesjährigen Bundeskongress Gender-Gesundheit nahmen auch Studenten der Hochschule für Gesundheit und Sport Berlin an der Abschlussdiskussion teil. Sie bestätigten mehrheitlich, dass geschlechtsspezifische Aspekte bislang kaum in Lehre, Diagnose und Prävention berücksichtigt werden: „Gender-Medizin - davon haben wir bis heute noch nie etwas gehört“, so der Tenor.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.