Die Entwicklung des Zahnarztberufs (3)

Die schwierige Akademisierung

Heftarchiv Gesellschaft
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Viele Zahnärzte betrachten die akademische Ausrichtung ihres Berufs heutzutage als Selbstverständlichkeit. Dabei ist die universitäre Ausbildung des Zahnarztes eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts und damit eine vergleichsweise neue Entwicklung. Dieser Teil der Reihe beleuchtet die Stationen auf dem Weg zu einer einheitlichen Regelung.

Anders als für den Arztberuf existierten für den Zahnarztberuf bis ins 19. Jahrhundert hinein keinerlei verbindliche Ausbildungsstandards. 1825 wurde dann in Preußen ein Medizinalreglement erlassen, das sich erstmals explizit mit dem Zahnarztberuf auseinandersetzte. Nach § 49 des preußischen Reglements oblag den Medizinalkollegien der preußischen Provinzen die Prüfung der Personen, „welche die Approbation [...] als Zahnärzte erlangen wollen“.

§ 51e legte die Prüfungsvoraussetzungen für Zahnärzte fest: „Ebenso darf zur Prüfung als Zahnarzt niemand mehr zugelassen werden, der nicht entweder schon Arzt oder Wundarzt ist, und zugleich den nöthigen Nachweis über die erlangten, einem Zahnarzt insbesondere nöthigen technischen und mechanischen Fertigkeiten beizubringen vermag, oder der, wenn er nicht Arzt oder Wundarzt ist, außer diesem Nachweis nicht wenigstens noch Zeugnisse über den fleißigen Besuch der Vorlesungen über Anatomie, allgemeine und spezielle Chirurgie, Operationslehre, Arzneimittellehre und chirurgische Klinik beibringen kann.“

Zirkularreskript legte Vorkenntnisse fest

Am 29. April 1835 wurde dann ein „Zirkularreskript“ erlassen, das die notwendigen Vorkenntnisse genau festlegte. Danach musste jeder Kandidat Zeugnisse über verschiedene im Rahmen eines zweijährigen Kurses zu besuchende Veranstaltungen vorlegen. Die erforderlichen Nachweise entsprachen lediglich denen eines Wundarztes zweiter Klasse – also eines handwerklich ausgebildeten Chirurgen der zweiten Qualifikationsstufe. Entsprechend niedrig waren auch die schulischen Voraussetzungen: Eine Instruktion für die Medizinalkollegien legte 1836 fest, dass die zahnärztlichen Kandidaten lediglich die Tertiareife als schulische Voraussetzung vorweisen mussten. Von der für das Medizinstudium vorgeschriebenen Hochschulreife waren die zeitgenössischen Zahnärzte folglich noch sehr weit entfernt.

1859: Central-Verein deutscher Zahnärzte

Die meisten Staaten des Deutschen Bundes erließen nach dem Vorbild Preußens in der Folgezeit ähnliche oder gleichlautende Bestimmungen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass der 1859 gegründete „Central-Verein deutscher Zahnärzte“ (CVdZ) – die Vorgängerinstitution der DGZMK – schon in den ersten Jahren seines Bestehens die Forderung nach einer Verbesserung der zahnärztlichen Ausbildung erhob. An eine Angleichung ans Medizinstudium – basierend auf der allgemeinen Hochschulreife, einem „ordentlichen“ Universitätsstudium und der Möglichkeit zur Promotion – war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht zu denken. Die Initiativen galten vielmehr der Etablierung geeigneter Ausbildungsstätten.

So stellte der Zahnarzt Adolf zur Nedden 1861 in der Vereinszeitschrift in Bezug auf die Staaten des Deutschen Bundes fest: „In keiner derselben finden wir auf die Nothwendigkeit einer medizinisch-chirurgischen Durchbildung für den rationellen Zahnarzt Rücksicht genommen; in keiner ist für die vollständige Befähigung des Zahnarztes Sorge getragen; in keiner ist ein solcher Prüfungsmodus angeordnet, dass aus der Prüfung die Überzeugung von der wirklichen Befähigung des Examinanden zur Ausübung der Zahnheilkunde in ihrer ganzen Ausdehnung gewonnen werden kann [...]

Die meisten Zahnärzte finden aber auch keine Gelegenheit zur Ausbildung in der Ausführung von Zahnoperationen und in den technischen Arbeiten. Während sie auf der einen Seite zum grössten Theil darauf angewiesen sind, ihre manuelle Fertigkeit von sich selbst aus auf Kosten ihrer Patienten zu gewinnen, während sie dabei häufig aus Mangel an praktischer Anleitung oder sogar bei falscher Anleitung in Missgriffe und Fehler verfallen und sich in diesen Fehlern üben, bis sie ihnen zur unausrottbaren Sicherheit und Gewohnheit geworden, resultirt daraus auf der anderen Seite die untergeordnete Stellung, welche viele unserer deutschen Zahnärzte in dieser Hinsicht, gegenüber den Engländern und Amerikanern einnehmen.“

Unterdessen bereitete Sachsen eine neue Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Zahnärzte vor, die in etwa den preußischen Bestimmungen gleichkam, jedoch statt der Tertiareife als schulische Voraussetzung immerhin die Sekundareife vorsah. Der Vorsitzende des CVdZ, Moritz Heider, zeigte sich mit dem Gesetzesentwurf 1862 jedoch unzufrieden und forderte für alle Zahnärzte eine ärztliche Ausbildung. Er selbst hatte – im Unterschied zur Mehrheit der Vereinsmitglieder – ein vollständiges Medizinstudium absolviert.

1869: Reglement für die Prüfung der Zahnärzte

Tatsächlich wurde 1869 im Norddeutschen Bund ein neues „Reglement für die Prüfung der Zahnärzte im Gebiet des Norddeutschen Bundes“ erlassen. Allerdings band es die Zulassung zur zahnärztlichen Prüfung lediglich an den Nachweis der Primareife eines Gymnasiums oder einer Realschule erster Ordnung, an einen zweijährigen Universitätsbesuch und an zusätzliche praktische Übungen. Die Prüfungsordnung wurde nach 1871 in allen Staaten des neu gegründeten Deutschen Reiches rechtswirksam. Zudem verfügte ein Erlass aus dem Jahr 1873 die Immatrikulation der Studenten der Zahnheilkunde, sprich ihren Zugang zu den deutschen Universitäten.

Immature – Studierende ohne Abitur mit Dr. phil.

Als „Immature“ – das heißt als Studierende ohne Abitur (Matura) – gehörten sie jedoch im Unterschied zu den Medizinstudierenden nicht der medizinischen, sondern der philosophischen Fakultät an. Damit blieb ihnen der erhoffte Erwerb eines medizinischen Doktortitels weiterhin verwehrt. Es gab nur die Möglichkeit, unter erheblichen Auflagen und Anstrengungen den fachfremden Dr. phil. zu erwerben, der allerdings in jener Zeit anders als heutzutage in geringerem Ansehen stand als der medizinische Doktorgrad.

Tatsächlich fristeten das Fach Zahnheilkunde und seine „immaturen“ Studierenden an den deutschen Hochschulen ein stiefmütterliches Dasein. Dementsprechend stellte Robert Baume, der Schriftleiter der „Vierteljahrsschrift“, 1874 fest: „Bei uns in Deutschland wird die Zahnheilkunde mit geringem Erfolg auf der Universität gelehrt, nicht weil sie auf der Universität gelehrt wird, sondern trotzdem sie dort gelehrt wird [...] Wir deutschen Zahnärzte dürfen mit Recht behaupten, daß wir unseren Lehrern in der Zahnheilkunde wenig verdanken.“

Die Ausbildungsfrage und – insbesondere– die Akademisierung des Zahnarztberufs blieben auch in der Folgezeit zentrale Themen. Auf der CVdZ-Jahrestagung 1886 forderte der Redakteur der „Monatsschrift“, Julius Parreidt, Nachbesserungen. Allerdings hielt er eine Verlängerung der Ausbildung von zwei auf drei Jahre für dringlicher als die Einführung des Abiturs als Studienvoraussetzung. Auch die Jahrestagung in München (1888) stand ganz im Zeichen der Unterrichtsfrage. Schließlich verabschiedete man eine Resolution folgenden Inhalts: „Eine hohe Regierung möge beschließen: daß die zahnärztliche Approbation künftig von der Beibringung des Maturitätszeugnisses eines Gymnasiums abhängig sein soll; daß die Studierenden der Zahnheilkunde eine dem Tentamen physicum der Ärzte ähnliche Vorprüfung abzulegen haben; daß die Zulassung zur zahnärztlichen Staatsprüfung erst nach vollendetem vier-jährigen Universitätsstudium statthaft ist.“

Die Entschließung wurde jedoch vorerst nicht an Regierungskreise weitergereicht, weil die Tagung nur von einer Minorität der Vereinsmitglieder besucht worden war. Nach Rücksprache mit dem Central-Verein verschickte der „Zahnärztliche Verein für Niedersachsen“ Fragebögen an 500 bis 600 deutsche Zahnärzte, um auf diesem Weg ein Meinungsbild zur Ausbildungsfrage zu erstellen. Unter den Zahnärzten, die sich bereit fanden, den Fragebogen auszufüllen, überwogen die Stimmen für das Abitur als Vorbedingung für das zahnärztliche Studium.

Fraglich bleibt, ob dieses Ergebnis die Mehrheitsmeinung darstellte. So erörterte man noch im April 1889 auf der Jahrestagung in Hamburg die Frage, „ob der Maturus und verlängertes Universitätsstudium von den künftigen Zahnärzten gefordert werden sollte“. Unterdessen waren die Gesetzesberatungen jedoch längst in die entscheidende Phase getreten.

1889: Bundesrat erlässt eine Prüfungsordnung

Am 5. Juli 1889 wurde bekannt, dass der Bundesrat – letztlich ohne Einflussnahme der unschlüssigen Zahnärzteschaft – eine neue Prüfungsordnung erlassen hatte. Diese trat am 1. Oktober 1889 in Kraft: Nach wie vor genügte die Primareife als schulische Vorbildung. Dagegen musste fortan neben der zweijährigen Studienzeit eine einjährige praktische Tätigkeit an einem Institut oder bei einem approbierten Zahnarzt nachgewiesen werden. Die Ausbildungszeit wurde somit von zwei auf drei Jahre verlängert.

Während die Zahnärzte noch über die Schwächen der neuen Prüfungsordnung diskutierten, schlug 1890 eine in Berlin zusammenberufene Schulreformkommission völlig unerwartet eine Herabsetzung der Voraussetzungen zur Aufnahme des zahnärztlichen Studiums vor: „Das von einer sechsklassigen höheren (das heißt lateinlosen Oberreal-)Schule ausgestellte Reifezeugnis berechtigt zum Eintritt in den gesamten Subalternendienst, sowie zur Zulassung zu den Prüfungen für den Dienst der Landmesser, Markscheider, Zahnärzte und Thierärzte [...].“

Um so betroffener zeigte man sich 1891 auf der Jahresversammlung des CVdZ: „Geht dieser Antrag durch, dann sind unsere Hoffnungen und Wünsche für alle Zukunft begraben, [...] und das durch ehrliches und durch reichen Erfolg gesegnete Streben deutscher Zahnärzte nach Hebung unseres Standes ist vernichtet in dem Augenblicke, wo wir aus der Reihe der nach heutigen Begriffen gebildeten Menschen gestrichen werden.“

1893 sandte der CVdZ schließlich eine Petition an den Bundesrat, in der der Verein auf den missliebigen Antrag der Schulreformkommission einging. Hierzu hieß es: „Es könnten endlich die Motive des Antrages dem Wunsch entsprungen sein, den Stand der Zahntechniker durch eine numerische Stärkung des zahnärztlichen Standes zu schwächen [...] Aber selbst diese Absicht würde unerfüllt bleiben, denn nach den bestehenden Gewerbegesetzen würden die Zuflußquellen zu dem Stande der Zahntechniker keine Änderung erfahren, während die Herabsetzung des zahnärztlichen Standes diesen nur in größere Nähe zu den Technikern bringen würde.“

Auch in Bezug auf die Ausbildungsdauer wurde eine Resolution eingereicht, in der es hieß: „Der Central-Verein Deutscher Zahnärzte betrachtet es als dringend notwendig, daß das Studium der Zahnheilkunde acht Semester dauert, und daß die ganze Studienzeit an der Universität absolviert werde.“

Doch zunächst folgten weitere standespolitische Niederlagen: 1907 wurde bekannt, dass in Paris ein Stomatologenkongreß geplant war, zu dem allen Zahnärzten, die kein vollständiges Medizinstudium nachweisen konnten, der Zutritt versagt wurde. Auch beim „Internationalen Medizinischen Kongreß“ 1909 in Budapest sollten zur Sektion Stomatologie nur die wenigen deutschen Zahnärzte zugelassen werden, die zugleich Ärzte waren.

Der CVdZ reagierte auf diese Zurücksetzung mit einer Resolution folgenden Wortlauts: „Der Central-Verein Deutscher Zahnärzte, in seiner Versammlung vom 7. Mai 1907, nimmt davon Kenntnis, daß das Organisations-Komitee des XIV. Internationalen medizinischen Kongresses zu Budapest im Jahre 1909 alle Zahnärzte, resp. [...] alle rite Approbierten der ganzen Welt, welche das medizinische Doktorexamen nicht bestanden haben, laut Beschluß vom 19. Dezember 1906 von den Sitzungen des Kongresses ausschließt.“ Zugleich bat man die F.D.I., beim zuständigen Exekutivkomitee gegen die Ausgrenzung der Zahnärzte Protest einzulegen. Die „Fédération Dentaire Internationale“ trat der Auffassung des Central-Vereins bei und missbilligte in einer Resolution den Beschluß des verantwortlichen Ärztegremiums.

1909: Reifeprüfung für Zahnmedizinstudium nötig

Doch nun überschlugen sich die Ereignisse: Noch 1909 wurde im Deutschen Reich eine neue Prüfungsordnung eingeführt: Erstmals wurde die Zulassung zum Studium der Zahnheilkunde vom Nachweis der Reifeprüfung abhängig gemacht. Damit verbunden war die lang ersehnte Übernahme der Studenten der Zahnmedizin von der philosophischen an die medizinische Fakultät.

So erreichte man eine deutliche Annäherung an den Arztberuf, der allerdings im Unterschied zu den Zahnärzten seit Jahrhunderten ein Promotionsrecht besaß. Es sollte weitere zehn Jahre dauern, bis den Zahnärzten auch die Möglichkeit zum Erwerb des Doktortitels eingeräumt wurde: 1919 wurde in den ersten Einzelstaaten des Deutschen Reiches eine zahnärztliche Doktorwürde (Dr. med. dent.) eingeführt. Nicht alle Berufsvertreter waren jedoch mit dieser „Sonderlösung“ zufrieden: Ein Teil der Zahnärzte hätte sich den vollständigen medizinischen Doktortitel und damit eine sichtbare Gleichstellung mit den Ärzten gewünscht – allerdings stießen diese Initiativen auf starke Gegenwehr bei der organisierten Ärzteschaft, die den Doktorgrad der Zahnärzte explizit auf den Bereich der Zähne beschränkt sehen wollte. Ebendies sollte der einschränkende Zusatz „dent.“ zum Ausdruck bringen.

Die Entscheidung für den Dr. med. dent. war zugleich der Schlusspunkt der jahrzehntelangen Diskussion um die grundsätzliche Frage, ob die Zahnärzteschaft – so wie zuvor andere Behandler mit nichtakademischer Herkunft (etwa Starstecher/Augenärzte, Wundärzte/Chirurgen) – im Ärztestand „aufgehen“ oder sich stattdessen als eigenständige Berufsgruppe weiterentwickeln sollte. Ebendiese Grundsatzdiskussion wurde spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb der Zahnärzteschaft, aber auch unter den Ärzten mit Verve geführt und soll daher im nächsten Beitrag nachgezeichnet werden.

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Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinMedizinische Fakultät und Universitätsklinik der RWTH Aachen
dgross@ukaachen.de

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