Ein Job, viele Perspektiven
Wer ist Lehrling? Jedermann!“ Gestern vielleicht hatte diese Weisheit noch Bestand, heute herrscht der „war of talents“: Unis und Betriebe buhlen ohne Unterlass um motivierten und leistungswilligen Nachwuchs. Mit dem Ergebnis, dass die klassische Lehre auf dem Arbeitsmarkt zunehmend an Boden verliert: 2013 entschieden sich erstmals – wenn auch knapp – mehr Schulabgänger für ein Studium als für eine Ausbildung.
Acht Jahre zuvor standen den 350.000 Erstsemestern noch 520.000 Azubis gegenüber. Setzt sich der Abwärtstrend fort, starten 2030 laut Bertelsmann-Stiftung 16,7 Prozent weniger Frauen und Männer als heute eine duale Ausbildung. Das Studium bricht dagegen nur um 2,2 Prozent ein.
Was ZFA wollen
Im Gegensatz dazu melden die Zahnärztekammern zum Herbst 12.476 neu abgeschlossene ZFA-Ausbildungsverträge – 3,96 Prozent mehr als im Vorjahr. Nach wie vor rangiert die ZFA unter den Top Ten der beliebtesten Lehrberufe junger Frauen – aktuell belegt sie Platz 5.
Fragt man Prof. Dietmar Oesterreich, täuschen diese positiven Zahlen allerdings nicht darüber hinweg, dass auch die Zahnärzte vor der Herausforderung stehen, sich verstärkt um qualifizierten Nachwuchs zu bemühen. „Generell wird es immer schwieriger, qualifizierte Auszubildende für den ZFA-Beruf zu gewinnen. Eine wichtige Aufgabe des Berufsstands wird sein, Praxispersonal möglichst frühzeitig zu suchen, zu finden und zu binden“, betont der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer – nicht ohne in diesem Zusammenhang auf die guten hiesigen Rahmenbedingungen für gelernte ZFA hinzuweisen.
Denn im Unterschied zu anderen Ländern hat die Berufsbildung in Deutschland einen sehr guten Ruf und ist „als wichtigster Ausbildungsweg fest in der Gesellschaft verankert“, wie die Autoren des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in ihrer Studie zur Ausbildungssituation in Europa schreiben. Für sie ist unsere duale Ausbildung ein Erfolgsmodell – insbesondere weil die Unternehmer selbst an der Ausbildung mitwirken und Jugendliche dadurch optimal auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts vorbereitet werden. Mit anderen Worten: direkter Jobeinstieg statt Ausfahrt Arbeitslosigkeit.
Was aber schätzen Frauen – und einige versprengte Männer – an dem Beruf der ZFA? Wer in der Praxis sein Team aufbauen und stärken will, kommt um diese Gretchenfrage nicht herum. Vor allem die Konditionen und Perspektiven sind ausschlaggebend, meint D.M.D./Univ. of Florida Henner Bunke, Präsident der Zahnärztekammer Niedersachsen und bei der BZÄK zuständig für zahnärztliche Mitarbeiterinnen.
„Pluspunkte sind vor allem die ortsnahe Ausbildung, ein krisenfester Arbeitsplatz (von Arbeitslosigkeit sind ZFA nämlich vergleichsweise selten betroffen) und hervorragende Qualifizierungsmöglichkeiten, an deren Ende sogar die Hochschulzugangsberechtigung stehen kann.“ Ein großes Pro darüber hinaus: die Vielfalt, wie Dr. Thomas Einfeldt, Vizepräsident der Zahnärztekammer Hamburg, ergänzt. Dadurch dass die Ausbildung alle Inhalte des Berufs abdeckt, können die ausgelernten ZFA später universell in der Praxis eingesetzt werden: von der Assistenz am Stuhl bis hin zur Abrechnung als Teil der Verwaltung.
Fließbandarbeit ermüdet
Einfeldt: „Man muss den Publikumsverkehr mögen, empathisch reagieren und auch ein psychologisches Gespür mitbringen, weil man permanent in die Intimssphäre der Menschen eingreift. Hinzu kommen Organisationstalent und eine ökonomische Denke. Ich habe in meiner Praxis Mitarbeiterinnen, die das alles können und diese Abwechslung auch lieben.
Immer dieselben Tätigkeiten auszuführen, das ist Fließbandarbeit, das ermüdet.“ Überstundenausgleich, ein respektvoller Umgang, Informationen zu Fortbildungsmöglichkeiten und begleitende Mentoren sind neuen Umfragen zufolge weitere Kriterien, die eine Stelle aus Sicht der Azubis attraktiv machen.
Dass viele ZFA über lange Arbeitszeiten, hohe Anforderungen, Stress, aber auch über die Nähe zum Chef klagen, ist auch eine Generationenfrage, glaubt Dr. Maryla Brehmer vom Vorstand der Zahnärztekammer Hamburg: „Die Generation Y ist technologieaffin und taktet anders“, sagt sie und führt die Work-Life-Balance, Freude im Job sowie ein gutes Betriebsklima als „Y-Faktoren“ an. Recht gibt ihr eine repräsentative Studie der Hochschule Niederrhein. Danach sind der Generation Y Betriebsstimmung und Aufstiegsmöglichkeiten wichtiger als noch ihren Vorgängern.
Herrenjahre kommen noch
Zugleich ist sie mit den bisherigen Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, der Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf sowie der Arbeitszeitgestaltung deutlich unzufriedener. Lehrjahre sind keine Herrenjahre – noch so ein altgedienter Spruch, der immer noch greift und trotzdem neu besetzt werden muss. „Wir Arbeitgeber können viel dazu beitragen, den ZFA-Beruf wieder trendig zu gestalten“, stellt Brehmer klar. „Grundsätzlich sollten wir neben dem angemessenen Umgang und einem guten Arbeitsumfeld dafür sorgen, dass Freude und Zufriedenheit bei der Arbeit nicht verlorengehen. Die besten Werber sind die eigenen Azubis!“
Darauf macht auch Sabine Ridder, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe (VmF), aufmerksam: Die individuelle Förderung der Auszubildenden müsse nicht nur im guten Berufsschulunterricht stattfinden, sondern auch durch fachlich und pädagogisch geeignete Ausbilder, sagt sie. „In den unterschiedlichsten Studien und Befragungen von Auszubildenden wird deutlich, dass sie vor allem ein Bedürfnis nach Sicherheit, Orientierung und Zugehörigkeit zum Team haben. Sie möchten ein direktes Feedback erhalten, Zusammenhänge zwischen theoretisch Gelerntem und praktisch Erlebtem erklärt bekommen.“
Auf der einen Seite das Rüstzeug im Gepäck, um in der Arbeitswelt erfolgreich Fuß zu fassen und Karriere zu machen; auf der anderen Seite ein kompetentes Team, auf das Verlass ist – so sieht im Idealfall die Win-win-Situation für Azubi und Praxischef aus. Vizepräsident Oesterreich bestätigt: „Das Interesse der Zahnärztinnen und Zahnärzte, sich im Zuge der Ausbildung Fachkräfte für die eigene Praxis zu sichern, ist nach wie vor hoch.“
Damit erfülle der Berufsstand auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, denn: „Jungen Menschen wird die Chance für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben gegeben.“ Das gilt für alle – speziell aber für diejenigen ohne beziehungsweise mit Hauptschulabschluss. Gerade für sie suchen die Zahnärzte – teilweise individuelle – Lösungen, um sie fachlich auf Kurs zu bringen. Gemeinsame regionale Förderangebote der Berufsschulen, Kammern und Praxen bilden hier ein dichtes Netz.
Auf übergeordneter Ebene arbeitet auch die von Politik, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften gegründete „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ an Strategien, um mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen. Eine Initiative ist die „Betriebliche Ausbildung hat Vorfahrt“ der Bundesagentur für Arbeit. Sie kümmert sich speziell darum, mehr Lehrstellen für sozial benachteiligte Jugendliche zu finden.
Die Kammer Westfalen-Lippe etwa nutzt ein Teil dieses Angebots: die sogenannte assistierte Ausbildung für Jugendliche mit schlechten Startchancen. Hier helfen Sozialpädagogen der Jugendberufshilfe, wenn es hakt. Auch zur Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeitsmarkt plant die Allianz Hilfen. Konkret geht es darum,
Deutschkurse auszubauen und zu öffnen,
Deutschkurse auszubauen und zu öffnen,
Bildung als Basis für Integration zu stärken,
Flüchtlinge fit zu machen für den Ausbildungs- und Arbeitsalltag,
Potenziale zu ermitteln und Qualifikationen von Flüchtlingen anzuerkennen,
einen sicheren Aufenthalt für Ausbildung und Berufseinstieg zu schaffen,
aktive Arbeitsförderung früh zu beginnen,
schnell Information für Betriebe und Fachkräfte bereitzustellen und
ehrenamtliches Engagement zu unterstützen.
Maßnahmen, die Bunke ausdrücklich begrüßt: „Wir müssen mögliche Chancen der Einwanderung nach Deutschland für die berufliche Ausbildung zur ZFA unbedingt unterstützen!“ Um die Ausbildungsinhalte dem technischen und medizinischen Fortschritt anzupassen, solle zudem die seit 2001 gültige Ausbildungsverordnung ZFA novelliert werden. „Seitdem hat sich viel getan, etliche Behandlungsabläufe haben sich geändert“, schildert Thorsten Beck, stellvertretender Geschäftsführer der Zahnärztekammer Baden-Württemberg, den Hintergrund.
„Im Zentrum stehen heute sehr viel stärker das Patientenmanagement, Prophylaxemaßnahmen oder Hygienevorschriften wie die Aufbereitung von Medizinprodukten. Hier brauchen wir regelmäßig ein Update!“ Denkbar sei auch, die Zwischenprüfung im Rahmen einer gestreckten Abschlussprüfung durchzuführen, das heißt, die Ergebnisse der Zwischenprüfung fließen dann in die Note ein. Nicht nur, um die Leistungen besser dokumentieren zu können, sondern auch als Motivationshilfe für die Azubis.
Die Vorsorge bringt es
Welche Perspektiven der Beruf nach der Ausbildung bietet, veranschaulicht Hans-Joachim Beier vom Vorstand der Kammer Westfalen-Lippe: „Es gibt attraktive Aufstiegsfortbildungsmöglichkeiten, beispielsweise als Dental-Hygienikerin (DH) oder Fachwirtin für Zahnärztliches Praxismanagement. Fest steht: Der Beruf ist zukunftssicher – gebohrt und vorgesorgt wird immer.“
Ein Best-Practice-Modell für eine gut strukturierte Ausbildung bietet Baden-Württemberg: Abiturientinnen können innerhalb von 3,5 Jahren parallel zur ZFA-Ausbildung die kammereigene Aufstiegsfortbildung zur DH absolvieren. Aber auch der reguläre Weg ist zu schaffen: 5 Jahre dauert in der Regel die berufsbegleitende Qualifizierung zur DH. Möglich wird die Verdichtung durch ein modulares System, das heißt, die ZFA erwirbt ihre Kenntnisse jeweils in einzelnen „fachkundlichen Nachweisen“ statt en bloc.
Das hat Vorteile: Die Kraft steht weiter der Praxis zur Verfügung, ist Teil des Teams und – ganz entscheidend – sie kann ihr Know-how auch sofort einbringen. „Bei uns beginnen viele ZFA die Fortbildung schon während ihrer Ausbildung“, schildert Beck das typische Prozedere. „Aufgrund der Module fällt die Mitarbeiterin nicht 100 Stunden aus, sondern absolviert die fachkundlichen Nachweise in mehreren Kursteilen à 30 Stunden.“
Die Vollsortimenter
Aus Becks Erfahrung hat sich das modulare Verfahren für alle Fortbildungsmöglichkeiten der ZFA bewährt. Die große Nachfrage belegt den Erfolg: „Alle Kuse sind sehr gut belegt“, sagt Beck. „Wir haben alles im Angebot: ZMV, ZMP, ZMF und DH. Wir in Baden-Württemberg sind schließlich Vollsortimenter!“ Nicht alle Fortbildungen bestehen den Praxistest. Oder können mit Fakten überzeugen. Nehmen wir die Bachelor-DH: Hier sind die ersten Absolventinnen der praxisHochschule Köln erst Anfang Oktober verabschiedet worden.
Bewertet werden kann bisher einzig das Curriculum, und auch hier eigentlich nur die Basics. Keine Ahnung, ob der DH-Bachelor glücklich macht. Wir kennen bisher nur die Infos, die auf der Homepage der praxisHochschule stehen: An 14 von insgesamt 48 Präsenztagen behandeln die Teilnehmer parodontal erkrankte Patienten unter Praxisbedingungen.
Insgesamt 180 Credit Points sind notwendig – das entspricht zwischen 4.500 und 5.400 Arbeitsstunden. Die ebenfalls in Köln angebotene Aufstiegsfortbildung kommt auf gerade einmal 800 Unterrichtsstunden. Zum Vergleich: Die Kammer-DH blickt einschließlich Aus- und Fortbildung auf über 8.000 Stunden theoretischer und vor allem praktischer Erfahrung zurück.
Was DH sollen
Bleibt die Frage, inwieweit im Rahmen der Akademisierung der notwendige Praxisbezug gewährleisten werden kann. Überhaupt nicht, antwortet der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz. Nicht nur er befürchtet, dass mit der Bachelor-DH junge Nachwuchskräfte am Markt vorbei ausgebildet werden: „In dem Studiengang werden praktische und kommunikative Fähigkeiten nicht in dem Ausmaß trainiert, wie sie für die DHs später im Patientenkontakt notwendig sind.“
Schließlich gehe es ja darum, Mitarbeiterinnen für die Praxis auszubilden, denen im Rahmen der Delegation zahnärztlicher Leistungen gemäß ihrer Qualifikation Aufgaben übertragen werden. Fedderwitz: „Es geht also ganz entscheidend darum, kommunikative, organisatorische und praktischen Fähigkeiten zu erlernen.“ Mit dem Bachelor werde eine höhere Qualifikation suggeriert, doch lasse das Zahnheilkundegesetz gar keine anderen Tätigkeiten zu als bei der Kammer-DH. „Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) würde beide auf der Stufe 6 verorten“, bestätigt Bunke. Eine überwiegend verschulte Ausbildung müsse den Praxistest noch bestehen.
Dass sich am Markt beide Wege zur DH etablieren werden, ist sich indes VmF- Vizepräsidentin Sylvia Gabel sicher: „Die DH nach klassischer Ausstiegsfortbildung durch die Akademie der Zahnärztekammern mit ihrer praxisorientierten Berufserfahrung vermutlich eher im Bereich der Zahnarztpraxen, während die Bachelor-DH eher in der Dentalindustrie und im wissenschaftlichen Bereich ihre Einsatzbereiche finden wird.“
Akademisch oder nicht
Akademisch oder nicht – eigentlich zweitrangig. Ziel muss sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Attraktivität des Berufs ZFA einschließlich der Fortbildungsmöglichkeiten so erhöhen, dass auch in Zukunft noch genügend qualifizierte Fachkräfte zur Unterstützung der Zahnärzte zur Verfügung stehen. Geht es nach dem Bund, soll die Durchlässigkeit der Bildung in Deutschland weiter erhöht werden. 2009 wurde der Unizugang für beruflich qualifizierte Bewerber ohne Abitur geöffnet. Gerade wird diskutiert, ob die dafür erforderliche dreijährige Berufstätigkeit im Anschluss an die Ausbildung und die Fachbindung bei der Wahl des Studiums für Berufspraktiker abgeschafft werden soll.
„Auf diese Trends müssen wir uns einstellen und für die duale Ausbildung werben“, fordert Oesterreich, „denn die Erfahrungen auf dem europäischen Arbeitsmarkt belegen doch, wie robust das deutsche duale nichtakademische Ausbildungssystem auf wirtschaftliche Krisensituationen reagiert.“
Fazit: Werbung für den Beruf kann also langfristig nur erfolgreich sein, wenn der Beruf Spaß macht. Bester Multiplikator für den ZFA-Beruf ist und bleibt immer noch die Praxis selbst!
Dr. Sebastian Ziller (MPH)
Leiter der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung der BZÄK
und Claudia Kluckhuhn, zm