Schlagabtausch in Brüssel
Dr. Peter Engel, Präsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), warnte eindringlich davor, berufsrechtliche Vorgaben unter den Generalverdacht zu stellen, dass diese das Wirtschaftswachstum behindern. Die Ökonomie könne nur einer von verschiedenen Parametern sein, an denen sich Berufszugangs- und Berufsausübungsregeln messen lassen müssten. Andere Kriterien wie der Patienten- oder der Verbraucherschutz dürften nicht ins Hintertreffen geraten. Berufliche Regulierung sei kein Selbstzweck, sondern diene vielmehr – im Interesse der Patienten – dem Erhalt eines hohen Versorgungsniveaus.
So viel zum Grußwort, danach folgte eine hitzige Diskussion. Im Kern drehte sich dabei alles Gesagte um das sogenannte Dienstleistungspaket – binnenmarktpolitischer Schwerpunkt der amtierenden Europäischen Kommission. Die bestehenden nationalen Berufszugangs- und Berufsausübungsregelungen werden demnach von der Kommission als potenzielle Wachstumshemmnisse und Barrieren für die Dienstleistungserbringung eingestuft, die demzufolge auf den Prüfstand gehörten. Dieser Denkansatz kommt vor allem im Richtlinienvorschlag für einen Verhältnismäßigkeitstest zum Ausdruck, der wesentlicher Bestandteil des Dienstleistungspakets ist. Laut diesem Richtlinienentwurf soll der nationale Gesetzgeber künftig vor einer Änderung des bestehenden oder dem Erlass eines neuen Berufsrechts anhand eines – von der Kommission vorgegebenen – umfangreichen Kriterienkatalogs prüfen, ob das neue Berufsrecht verhältnismäßig ist. Erfasst sind alle regulierten Berufe einschließlich der Gesundheitsberufe.
Die BZÄK bezweifelt, dass mithilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung beziehungsweise des Dienstleistungspakets insgesamt das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden kann. Auf dem 12. Europatag in Brüssel stellte sie die Frage, ob nicht sogar die Qualität in Medizin und Zahnmedizin durch den Wirtschaftskurs der EU gefährdet sei – ein Schlagabtausch.
Prof. Dr. Anne Schäfer, Professorin für Sozial- und Gesundheitsrecht an der Hochschule Fulda, setzte sich kritisch mit dem Verhältnismäßigkeitstest auseinander. In ihrem Impulsreferat zeigte sie auf, dass der Prüfkatalog juristisch schlecht gemacht sei und dass die Verwendung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe die Anwendung des Tests im Alltag sehr verkomplizieren würde. Am Wortlaut des Richtlinienentwurfs ließe sich in aller Deutlichkeit belegen, dass der Verhältnismäßigkeitstest in erster Linie eine wirtschafts- und wachstumspolitische Zielsetzung hat, wodurch der politische Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers im Bereich des Berufsrechts erkennbar reduziert und zudem in eine bestimmte Richtung gelenkt werden soll.
In der folgenden Diskussion, von Hendrik Kafsack (l.), dem Brüsseler Korrespondenten der FAZ, moderiert wurde, kamen die unterschiedlichen Positionen klar zum Ausdruck:Das erste Panel war den Auswirkungen des Verhältnismäßigkeitstests auf die freien Heilberufe gewidmet. Gemeinsam mit dem Präsidenten der BZÄK diskutierten Norbert Lins (Zweiter v. r.) (CDU), Mitglied des Ausschusses für Umwelt und Gesundheit des Europäischen Parlaments, Ortwin Schulte (r.), Referatsleiter Gesundheit, Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, und Prof. Dr. Schäfer, ob der Richtlinienentwurf den besonderen Gegebenheiten der Heilberufe gerecht wird. Unter dem Eindruck des Impulsreferats hatte der Moderator zudem spontan Bernhard Zaglmayer (Dritter v. l.) von der Europäischen Kommission aufs Podium gebeten, um den Standpunkt der Brüsseler Behörde zu erläutern.Zaglmayer verteidigte den Kommissionsentwurf und wies darauf hin, dass der Test lediglich Prüfkriterien beinhalte, die vom Europäischen Gerichtshof in stehender Rechtsprechung entwickelt worden seien. Bereits heute müsse sich der nationale Gesetzgeber stets die Frage stellen, inwieweit ein Gesetzentwurf verhältnismäßig ist. Schäfer insistierte, dass es sich bei der Gesundheit nicht um ein Wirtschaftsgut wie jedes andere handele. Sie plädierte dafür, Gesundheitsberufe gänzlich vom Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitstests auszunehmen. Engel schloss sich dieser Forderung an und verwies auf eine Entschließung des Europäischen Dachverbands der Zahnärzte CED, der sich in seiner Vollversammlung Ende Mai 2017 ebenfalls für eine entsprechende Ausnahmeregelung für Heilberufe ausgesprochen hatte. Zaglmayer als Kommissionsvertreter lehnte hingegen Ausnahmen für einzelne Berufsgruppen ab, da dies den Erfolg der Richtlinie gefährde. Lins und Schulte brachten im Verlauf der Aussprache ihr Verständnis für die Positionen der Heilberufe zum Ausdruck, ohne sich jedoch auf eine Ausnahmeregelung für den Gesundheitsbereich festlegen zu wollen.
Im zweiten Panel, das den Titel „Was bedeutet das Dienstleistungspaket für die unternehmensbezogenen Dienstleistungen?“ trug, setzte sich der Schlagabtausch fort. Dabei diskutierten Evelyne Gebhardt (l.) (SPD), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und Mitglied des Binnenmarktausschusses, Martin Frohn, Leiter des Referats Berufsqualifikationen der Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen Kommission, Dr. Stephanie Bauer (r.), Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB), und Arno Metzler, Vizepräsident der Gruppe III des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), über weitere Aspekte des Dienstleistungspakets.Gleich zu Beginn brachte Gebhardt ihre Bedenken gegen den binnenmarktpolitischen Kurs der Europäischen Kommission zum Ausdruck. Ihrer Ansicht nach wäre es besser gewesen, auf das Dienstleistungspaket ganz zu verzichten und stattdessen die Nutzung der bestehenden Instrumente, wie etwa der Einheitlichen Ansprechstelle oder des europäischen Berufsausweises, zu optimieren. Bauer nutzte den Europatag der BZÄK, um auf dem Brüsseler Parkett erstmals eine wirtschaftswissenschaftliche Studie vorzustellen, die der BFB Ende vergangenen Jahres in Auftrag gegeben hatte. Die Studie mit dem Titel „Aspekte der Deregulierung bei den Freien Berufen“ des renommierten Düsseldorfer „Institute for Competition Economics“ geht der wirtschaftstheoretischen Frage nach, inwiefern sich berufliche Regulierung nachteilig auf das Wirtschaftsleben auswirken kann. Die Wissenschaftler zeigen in ihrer Arbeit auf, dass Dienstleistungen nicht generell mit Waren vergleichbar sind und dass berufliche Regulierung nicht pauschal als Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen werden kann, sondern vielmehr auch unter ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll sein kann. Frohn warb um Unterstützung für das Dienstleistungspaket und verteidigte den Verhältnismäßigkeitstest. Metzler stellte schließlich den EWSA-Bericht über das Dienstleistungspaket vor, den er als Berichterstatter vorbereitet hatte. Der EWSA nimmt darin ebenfalls kritisch zum Dienstleistungspaket im Allgemeinen und zum Verhältnismäßigkeitstest im Besonderen Stellung.
Am Ende des Europatags zog Dr. Engel ein positives Fazit der Veranstaltung und richtete den dringenden Appell an die Politik, den Richtlinienentwurf für den Verhältnismäßigkeitstest im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens entsprechend den Forderungen der europäischen Zahnärzteschaft zu korrigieren.
Dr. Alfred Büttner,
Leiter der Abteilung Europa/Internationales der BZÄK, Büro Brüssel
Europatag in Brüssel
Am 7. Juni 2017 fand in Brüssel der 12. Europatag der Bundeszahnärztekammer statt. Die Veranstaltung stand im Zeichen der auf europäischer Ebene intensiv geführten Debatte über die Zukunft der regulierten Berufe. Unter dem Titel „Das Dienstleistungspaket – Mehr Wachstum durch weniger Regulierung?“ diskutierten die rund 80 Teilnehmer gemeinsam mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments, Vertretern der Europäischen Kommission, der Wissenschaft und betroffener Berufsverbände über die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die regulierten Berufe und insbesondere auf die Freien (Heil)Berufe.