Carl Partsch – Nestor der Kieferchirurgie
Partsch wurde am 1. Januar 1855 im schlesischen Schreiberhau (heute: Szklarska Porba) als vierter und letzter Sohn geboren. Sein Vater war als Geschäftsführer der örtlichen Glashütte („Josephinenhütte“) tätig [Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55].
Der junge Carl besuchte von 1866 bis 1872 das Mathias-Gymnasium in Breslau und nachfolgend das Gymnasium in Hirschberg, wo er auch die Reifeprüfung ablegte. Anschließend studierte er von 1874 bis 1878 in Breslau Medizin. Hier hörte Partsch unter anderem Vorlesungen bei den Professoren Rudolf Heidenhain (Physiologie), Julius Friedrich Cohnheim (Pathologie) und Hermann Fischer (Chirurgie) [Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55].
Seine zweite Leidenschaft war das Turnen: Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des im November 1875 etablierten ATV („Akademischer Turnverein“) Breslau [Herfert, 1954/55; Altherrenbund des ATB, 1983].
Im Februar 1879 erhielt Partsch in Breslau nach bestandenem Staatsexamen die ärztliche Approbation. Schon im März 1879 nahm er eine Tätigkeit als Assistenzarzt an der dortigen Chirurgischen Universitätsklinik auf. Bereits ein Jahr später, 1880, konnte er hier seine Promotion zum Thema „Ueber den feineren Bau der Milchdrüse“ abschließen [Partsch, 1880].
1883 heiratete Carl Partsch Klara Haertel, die drei Kinder gebar und ihn neben der Kindererziehung bei seinen Studien – zum Beispiel durch die Herstellung histologischer Schnitte – unterstützte [Wülfing, 1953]. 1884 konnte er sich in Breslau mit der Arbeit „Das Carcinom und seine operative Behandlung“ für das Fach Chirurgie habilitieren [Partsch, 1884; Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55; Benz, 2001].
Zwei Jahre später, 1886, ließ Partsch sich als praktischer Arzt in Breslau nieder. Er hielt jedoch weiterhin Kontakt zur Universitätsmedizin. Im April 1890 wurde ihm der Ruf auf ein Extraordinariat (außerordentliche Professur) erteilt, den er annahm. Besagte Ernennung war mit der Übernahme der Leitung des zahnärztlichen Universitätsinstituts am Burgfeld in Breslau verbunden. Dem Institut mangelte es allerdings an Ausstattung und finanziellem Budget, so dass Partsch vielfach auf Eigeninitiativen angewiesen war. Nach wie vor stand die Zahnheilkunde als „immatures Fach“ – sprich als Fach, dessen Studium noch nicht an den Nachweis des Abiturs geknüpft war – in einem geringen Ansehen [Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55]. Partsch gehörte somit zu der ersten Generation von Kieferchirurgen, die aus der operativen Medizin kamen und sich nachfolgend auf die Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie spezialisierten – zu einer Zeit, als die Zahnheilkunde noch nicht akademisch war und (noch) nicht als zwingende Voraussetzung für eine kieferchirurgische Karriere angesehen wurde.
In Ermanglung geeigneter Räumlichkeiten hielt Partsch seine ersten Lehrveranstaltungen in einer Privatwohnung ab [Herfert, 1954/55]. Hier machte er die angehenden Zahnärzte auch mit der oralen Mikroskopie und der Pathologie vertraut. Zudem übertrug er viele Untersuchungsmethoden aus der Medizin (Inspektion, Palpation, Perkussion) auf die Zahnheilkunde und erwarb sich den Ruf eines didaktisch hervorragenden Hochschullehrers [Parreidt, 1909; Herfert, 1954/55].
Ein besonderes Ärgernis sah Partsch in dem Umstand, dass die Universität ihm „die Einrichtung einer Bettenstation in Verbindung mit dem Zahnärztlichen Institut“ verweigerte. Wohl vor diesem Hintergrund erklärt sich die Tatsache, dass Partsch 1895 zusätzlich die Position des chirurgischen Chefarztes des „Klosterhospitals der Barmherzigen Brüder“ übernahm. Hier konnte er größere Eingriffe an stationären Patienten vornehmen [Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55].
Seit 1915 fungierte er als zweiter Vorsitzender des Ausschusses der Deutschen Turnerschaft. Zudem wurde er 1920 Vorsitzender der schlesischen Ärztekammer, der er seit 1893 angehörte [Pagel, 1901; Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55].
1921 erreichte Partsch den Höhepunkt seiner akademischen Kariere: Ihm wurde eine ordentliche Professur verliehen. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits 66 Jahre alt war, konnte er nur noch zwei Jahre als Ordinarius wirken. 1923 legte er mit der Emeritierung die Leitung des zahnärztlichen Instituts nieder, zwei Jahre später trat er auch als Chefarzt des vorgenannten Hospitals zurück. Partsch starb am 6. September 1932 in Breslau. Bis zwei Jahre vor seinem Tod hat er im ATV regelmäßig geturnt. Auch einer weiteren außerberuflichen Leidenschaft ist er zeitlebens treu geblieben – der Musik. Er galt als „Meister auf dem Flügel“ [Herfert, 1954/55], lud regelmäßig zu Hauskonzerten ein und stand von 1907 bis zu seinem Tod der „Schlesischen Singakademie“ vor [Herfert, 1954/55].
Neben Carl Partsch trat auch sein Bruder Joseph (1851–1925) als Wissenschaftler besonders hervor: Der Geograf wirkte als Ordinarius und Rektor der Universität Breslau [Herfert, 1954/55; Benz, 2001; Imhof, 2001] und war seinem Bruder zeitlebens eng verbunden [Nisch, 1957].
Zahnärzte an das Niveau der Medizin heranführen
Carl Partsch gilt bis heute als Nestor der zahnärztlichen Chirurgie. Zu seinen erklärten Zielen gehörte es, die Kollegen mit den diagnostischen und operativen Standards der Allgemeinchirurgie vertraut zu machen, die Grundlagen der (Histo-)Pathologie in die Zahnheilkunde einzuführen und diese so sukzessive an das Niveau der akademischen Medizin heranzuführen. Partsch war überzeugt, dass pathologische Zustände des oralen Systems nachhaltige negative Wirkungen auf den Gesamtorganismus zeigen, demzufolge sei es wichtig, den Zahn-, Mund- und Kieferbereich gesund zu erhalten. So wies er etwa darauf hin, dass schadhafte Zähne eine Eingangspforte für den unter Zeitgenossen gefürchteten Tuberkelbazillus sein können [Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55; Holzhauer, 1962]. Partsch bemühte sich besonders um eine adäquate Behandlung von (dentogenen) Zysten und gangränösen Zähnen. Er entwickelte mehrere Operationsverfahren, die bis heute seinen Namen tragen [Holzhauer, 1962; Hoffmann-Axthelm, 2000]: 1892 trat er zunächst mit der Zystostomie an die Öffentlichkeit („Partsch I“). Hierbei erfolgt die Eröffnung der Zyste durch Resektion einer Zystenwand (vestibulär oder palatinal). Der übrige Zystenbalg wird belassen, so dass die Zystenhöhle zu einer Nebenhöhle der Mundhöhle wird. Dann wird eine offene Nachbehandlung durchgeführt, und der erhaltene Teil des Zystenbalgs metaplasiert nach einigen Wochen zu Mundschleimhautepithel.
1910 führte er die Zystektomie ein („Partsch II“). Dabei handelt es sich um eine vollständige Entfernung des Zystenbalgs mit anschließendem Wundverschluss. Die Heilung erfolgt hier über die Organisation des Blutkoagulums in der Knochenhöhle. Die Vorteile dieses Verfahrens sah Partsch in der primären Heilung und der Möglichkeit, den Zystenbalg histologisch zu untersuchen.
Als Schnittführung empfahl Partsch bei seinen Eingriffen einen Bogenschnitt, der im Vestibulum in Höhe des unteren Drittels der Wurzelspitze verläuft, wobei die Naht entfernt von der Resektionshöhle zu liegen kommt („Bogenschnitt nach Partsch“).
Daneben entwickelte Partsch einen flachen scharfen Löffel zum Ausschälen von (kleineren) Zysten und zur Entfernung von Granulationsgewebe, der bis heute unter dem Eponym „Partsch-Löffel“ bekannt ist.
Partschs Interesse galt zudem der Behandlung der „odontogenen Kieferhöhleneiterung“ [Wülfing, 1953], der Verfeinerung der Techniken zur Zahnextraktion, den Speicheldrüsenerkrankungen, den oralen Tumorerkrankungen, der Resektionsprothetik, aber auch der Tuberkulose und Aktinomykose [Parreidt, 1909; Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55; Fischer, 1962; Holzhauer, 1962]. Zu allen genannten Themen lieferte Partsch Fachbeiträge [Wülfing, 1953], vieles floss in das von ihm herausgegebene, mehrfach aufgelegte „Handbuch der Zahnheilkunde“ ein [Partsch, 1917; Fischer, 1962].
Viele seiner Schüler arrivierten ihrerseits zu erfolgreichen und prägenden Kieferchirurgen und wirkten als Multiplikatoren. Zu ihnen zählen die Professoren Fritz Williger (1866–1932), Gustav Hesse (1876–1945), Karl Zilkens (1876–1967) und Johannes Reinmöller (1877–1955) [Benz, 2001].
Zudem trat Partsch für die Einführung des Abiturs als Voraussetzung für die Aufnahme des Zahnmedizinstudiums und für die zahnärztliche Promotion ein. Beides sollte er noch erleben (1909 beziehungsweise 1919). Ebenso propagierte er das gesundheitsstärkende und präventive Potenzial regelmäßiger Leibesübungen. Partsch wirkte nicht nur als Schrift- und Turnwart des ATV und als Ausschussmitglied der Deutschen Turnerschaft, sondern nutzte diese Ämter auch, um auf die Potenziale eines organisierten Hochschulsports hinzuweisen und politisch Einfluss zu nehmen. So sah er in einem Ministerialerlass von 1924 einen persönlichen Erfolg: Besagter Erlass verfügte die obligate Einführung von Veranstaltungen auf dem Gebiet der „Leibesübungen“ an den Hochschulen, die Etablierung von Stellen für Hochschulturnlehrer und die Schaffung von Hochschulturn- und -spielplätzen [Herfert, 1954/55].
Partsch wurde mit hohen fachlichen und gesellschaftlichen Auszeichnungen bedacht. Neben der Ehrenmitgliedschaft im Central-Verein deutscher Zahnärzte (1895) [Parreidt, 1909] wurde ihm ein weiteres Dutzend Ehrentitel in Organisationen des In- und des Auslands angetragen. 1926 erhielt das neu errichtete stomatologische Universitätsinstitut in Moskau den Namen „Carl-Partsch-Institut“. Bereits 1907 war Partsch zum Geheimen Medizinalrat ernannt worden, 1921 wurde ihm in Breslau der „Dr. med. dent. h. c.“ verliehen [Wülfing, 1953; Herfert, 1954/55].
Seine fachlichen Leistungen und die Anerkennung seiner Zeitgenossen führten dazu, dass Partsch als „Vater der Kieferchirurgie“ [Holzhauer, 1962] in die Medizingeschichte einging.
Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin,
Medizinische Fakultät,
RWTH Aachen University
dgross@ukaachen.de