Industrialisierung bedeutet nicht Angebotsvielfalt
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die letzte Ausgabe 2017 der zm legt nahe, den Blick auf den Advent und das nicht allzu ferne Weihnachtsfest zu richten. Doch so recht will angesichts der politischen Situation in unserem Land – jedenfalls bei mir – keine vorweihnachtliche Stimmung aufkommen. Und auch der Blick zurück auf das, was in diesem Jahr so alles passiert ist, hinterlässt kein wohliges Gefühl. Denn die massiven Eingriffe der Politik in die Selbstverwaltung – hier insbesondere das Selbstverwaltungsstärkungsgesetz – haben tiefe Spuren hinterlassen. Eine unserer vordringlichsten Aufgaben in der kommenden Legislaturperiode ist daher, diese Angriffe nicht nur abzuwehren, sondern die Freiberuflichkeit und die Selbstverwaltung zu ihrer alten Stärke zurückzuführen. Es wird daher sehr viel mehr darauf ankommen, die Besonderheiten der zahnmedizinischen Versorgung klarzumachen und die Berücksichtigung der Spezifika unseres Versorgungsbereichs in der Gesetzgebung und in der Selbstverwaltung von der Politik einzufordern.
Ich will dies an der besonderen Situation rein zahnärztlicher MVZ deutlich machen: Gerade die durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 2015 ermöglichten arztgruppengleichen MVZ zeigen exemplarisch auf, wie das, was in der ärztlichen Versorgung sinnhaft scheint, sich im zahnärztlichen Bereich ins komplette Gegenteil verkehren kann. Denn die mit dem einen Wort ‚arztgruppengleich‘ ermöglichten reinen Zahnarzt-MVZ sind eben nicht das Instrument, um die Versorgung auf dem Land sicherzustellen. Vielmehr zeigen die Zahlen überdeutlich, dass dadurch in urbanen und einkommensstarken Gebieten die ohnehin bestehende Überversorgung verstärkt wird. Mit der Folge, dass diese MVZ wie ein Katalysator für Unterversorgung in ländlichen und schwach strukturierten Gebieten wirken werden. Doch das ist beileibe nicht alles. Da unsere Honorarsystematik auf die Einzelpraxis und deren Kostenstrukturen abstellt, können MVZ nicht nur dank industrieller Maßstäbe erhebliche Wettbewerbsvorteile generieren, sondern lukrieren auch enorme Gewinnpotenziale. Somit wird nicht nur der Kommerzialisierung Tür und Tor geöffnet, sondern auch dem Fremdkapital.
Wie ein Blick ins europäische Ausland zeigt, ist die Dynamik der Kettenbildung enorm, angelockt von der Attraktivität des Marktes vermehrt sich die Anzahl der Finanzinvestoren stetig. Auch in Deutschland gibt es diese Strukturen bereits: In der Humanmedizin befinden sich erhebliche Teile von Leistungsbereichen wie Labor und Dialyse in ausländischer Kapitalhand. Dem Bundesgesundheitsministerium scheint diese Entwicklung egal zu sein, wird doch sehenden Auges die Zerstörung sehr gut funktionierender Versorgungsstrukturen in Kauf genommen. Wie soll man es anders nennen, wenn trotz umfangreicher Informationen und Dokumentationen zu den Folgen des Gesetzes eine Änderung der Regeln seitens der Politik lax abgelehnt wird? Man muss es klar und deutlich aussprechen: Diese Entwicklungen zerstören das Prinzip eines freiheitlich getragenen und selbstverwalteten Gesundheitssystems!
Und so geht der dynamische Anstieg der Zahnarzt-MVZ ungebremst weiter. Auf eines sei jedoch deutlich hingewiesen: Industrialisierung in der Zahnmedizin bedeutet nicht Angebotsvielfalt oder gar eine Vielzahl individueller Lösungen. Und schon gar nicht sinkende Preise. Da reicht ein Blick in die USA auf die „Versorgungsbereiche“, nachdem die Ketten dort die Marktmacht übernommen hatten. Eine freiberuflich getragene Versorgung bei gleichzeitiger Kontrolle des Fremdkapitals über das Gesundheitssystem kann nicht funktionieren.
Umso wichtiger ist es, dass wir als verfasste Zahnärzteschaft nicht tatenlos zuschauen, wie das Prinzip eines freiberuflich getragenen und selbstverwalteten Gesundheitssystems zerstört wird. Dieses Prinzip ist für die Zahnärzteschaft nämlich kein Selbstzweck, sondern die Grundlage einer suffizienten Versorgung, an der wir konsequent und erfolgreich arbeiten. Mit der Verabschiedung der Richtlinie nach § 22a sind ab dem 1. Juli 2018 endlich Präventionsleistungen für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen im GKV-Katalog verankert. Und im Hinblick auf das neue PAR-Konzept sind wir mehr als zuversichtlich, die Parodontitistherapie in der GKV-Versorgung auf eine zukunftsfähige Basis stellen zu können. 2018 verspricht äußerst spannend zu werden!