4 Prozent ist weniger als 0,01
Werte Zahnärzte beiderlei Geschlechts!
Erinnern Sie noch an den Schlusssatz meiner letzten Kolumne? Da habe ich an Sie appelliert, sich in den ersten Berufsjahren um den Aufbau einer finanziellen Rücklage zu kümmern. Was für Hänschen gilt, ist natürlich auch für Hans gültig. Es ist egal, ob Sie heute 40 oder 50 oder 60 Jahre alt sind. Der Notgroschen ist das finanzielle Fundament des Selbstständigen. Wer keine Rücklage in Höhe eines halben Jahresgewinns hat, ist in meinen Augen ein armer Hund. Bei zum Beispiel einem Überschuss von 200.000 Euro nach Steuern sollte eine Rücklage von mindestens 100.000 Euro vorhanden sein, um in schlechten Zeiten nicht bei Banken um Geld betteln zu müssen. Das ist doch nachvollziehbar, oder nicht?
Nun muss ich eine Schippe drauflegen: Bitte versuchen Sie nicht, aus dieser Rücklage noch Zinsen herauszupressen. Sicherheit und Verfügbarkeit sind oberste Gebote, und für solche Anlagen gibt es, dem Himmel sei‘s geklagt, keine Zinsen mehr. Wer heute 100.000 Euro in Festgeld oder Geldmarktfonds anlegt, weil in einem Jahr ein neues Auto oder ein neues Laborgerät nötig ist, kann das Prozentrechnen vergessen. Eigentlich. In der vergangenen Woche hat mir eine Zahnärztin berichtet, ihre Bank zahle für 100.000 Euro nur noch „läppische“ 0,01 Prozent pro Jahr, und das sei doch wirklich eine Schweinerei.
Der Fast-Null-Zins hat die Bank bewogen, der Dame ein Angebot zu unterbreiten, dass man wie bei der Cosa Nostra eigentlich nicht ablehnen kann. 4 Prozent pro Jahr habe die Bank angeboten, schrieb die Anlegerin und wollte wissen, wie ich dazu stehe. Ich habe mir, neugierig wie ich bin, die Offerte in Ruhe angesehen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht der Zins, sondern das Angebot eine Ferkelei ist. Die Sache scheint kein Einzelfall zu sein, so dass ich einmal im Detail vorrechnen möchte, was Ihnen droht, wenn Sie sich auf die Pirsch nach hohen Zinsen begeben. Das kann Sie, um im Bild zu bleiben, ein Schweinegeld kosten!
Die 4 Prozent gelten für den halben Anlagebetrag und für einen Zeitraum von sechs Monaten. 100.000 Euro geteilt durch zwei sind 50.000 Euro, und 50.000 Euro mal 2 Prozent ergeben 1.000 Euro. Die erste Hälfte der 100.000 Euro steigt also im Lauf von sechs Monaten von 50.000 Euro um 1.000 Euro auf 51.000 Euro. Anschließend gilt wieder der kümmerliche Zins von 0,01 Prozent pro Jahr, so dass das Festgeld nach zwölf Monaten bei 51.002,55 Euro stehen wird. Darauf sind Abgaben von 264,42 Euro fällig, so dass der Kontostand in einem Jahr effektiv 50.738,13 Euro betragen wird.
Die anderen 50.000 Euro wandern in einen Aktienfonds. Richtig! Die Reserve wird an der Börse geparkt. Mir stehen bei diesem Vorhaben zwar die Haare zu Berge, doch was soll man dazu sagen? Der Opfergang beginnt mit dem Ausgabeaufschlag von 5 Prozent. Das sind 2.500 Euro, so dass in den Investmentfonds nur 47.500 Euro fließen.
Nun kommt es! Wie hoch muss die Rendite der Aktien sein, damit die 47.500 Euro auf 49.269 Euro und 23 Cent steigen? Der krumme Betrag ist die Differenz zwischen dem Endwert von 100.007,36 Euro, den die Anlegerin für die risikolose Geldanlage zu 0,01 Prozent bekommen würde, und den 50.738,13 Euro, die die ersten 50.000 Euro erbringen. Die Antwort lautet 3,72 Prozent pro Jahr.
Nun haben wir es fast geschafft! Die 3,72 Prozent müssen noch durch 0,73625 geteilt und um 180 Basispunkte erhöht werden.
Hinter der ersten Zahl stecken die Abgeltungsteuer und der Solidaritätszuschlag, und die zweite Zahl ist die jährliche Gebühr für die Verwaltung der Aktien. Folglich müsste der Wert der Aktien im Lauf des ersten Jahres um 6,85 Prozent steigen, damit die Anlegerin für ihre 100.000 Euro eine nominale Verzinsung von 0,01 Prozent pro Jahr erzielt.
Sollte die Zahnärztin weiterhin an dem frommen Wunsch festhalten, für die gesamten 100.000 Euro jährlich 4 Prozent zu bekommen, müsste es an der Börse richtig knattern. Der Endwert von 104.000 Euro minus das Festgeld von 50.740 Euro erfordern einen Depotwert von 53.260 Euro. Das ist im Verhältnis zum Startwert von 47.500 Euro ein Zuwachs von 12,13 Prozent. Hinzu kommen die Steuern und die Verwaltungsgebühr, so dass die notwendige Rendite bei 18,28 Prozent pro Jahr liegt.
Ich bitte Sie um Nachsicht, Sie mit so vielen Zahlen malträtiert zu haben. Das soll nicht wieder vorkommen, war aber nötig, um Ihnen in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen, dass Sie nach Strich und Faden hinters Licht geführt werden, wenn Sie nicht wie ein Schießhund auf Ihr gutes Geld aufpassen. Das optische Frisieren von Zinsen ist so alt wie die Menschheit, doch in Zeiten magerer Zinsen ist die Gefahr besonders groß, von arglistigen Rosstäuschern aufs Kreuz gelegt zu werden. Ich kann Ihnen, wenn es um die Anlage finanzieller Rücklagen geht, nur zwei Dinge zurufen: Bitte achten Sie auf Sicherheit und Verfügbarkeit, und finden Sie sich bitte damit ab, dass es für solche Anlagen im Moment keine Zinsen gibt. Das ist kein Beinbruch, davon geht die Welt nicht unter. Viel schlimmer sind Verluste, die Sie in wenigen Monaten durch Kredite kompensieren müssen. Das ist der (un)freiwillige Gang in die „Gefangenschaft“!
(Kolumnen entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.)