Sabine Poschmann zur Subsidiaritätsrüge gegen das EU-Dienstleistungspaket

„Die EU-Kommission hat ihre Kompetenzen überschritten“

Der Bundestag hatte im März eine Subsidiaritätsrüge gegen Teile des EU-Dienstleistungspakets ausgesprochen und sich damit gegen Eingriffe in die Befugnisse Deutschlands verwehrt. Initiatorin war die Beauftragte für den Mittelstand und für das Handwerk der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Poschmann. Hier erklärt sie die Zusammenhänge.

Frau Poschmann, was waren die Gründe für die Subsidiaritätsrüge?

Sabine Poschmann: Der Bundestag hat gegen Teile des EU-Dienstleistungspakets eine Subsidiaritätsrüge erhoben, weil die EU-Kommission mit diesem Paket ihre Kompetenzen überschritten hatte. Eine Umsetzung der Vorschläge würde zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung demokratisch gewählter Parlamente führen.

Die Kritik betraf zum einen den Vorschlag für ein strenges Notifizierungsverfahren. Demnach könnte die EU-Kommission Veränderungen der nationalen Gesetzgebung im Bereich der Regulierung von Dienstleistungsberufen aufhalten oder ganz untersagen, wenn diese nach ihrer Auffassung europäischen Vorgaben widersprechen.

Nach dem ebenfalls zum Dienstleistungspaket gehörenden Analyseraster sind bestimmte Berufsregulierungen im Dienstleistungssektor einer – aus unserer Sicht übermäßig – detaillierten und aufwendigen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen. Mit ihren Maßnahmen greift die Kommission allerdings tief in die Gesetzgebungsverfahren der Mitgliedstaaten im Bereich der dienstleistenden Berufe ein. Wir sind der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten nach den EU-Verträgen auch weiterhin die Möglichkeit haben müssen, gerechtfertigte Anforderungen an die Zulassung und die Ausübung von Berufen zu regeln.

Ist es das erste Mal, dass der Bundestag sich kritisch mit binnenmarktpolitischen Initiativen aus Brüssel auseinandersetzt?

Nein, allein in dieser Wahlperiode hat sich der Bundestag in insgesamt fünf Stellungnahmen kritisch mit Initiativen der EU zum Binnenmarkt auseinandergesetzt. Dabei ging es um die Transparenzinitiative, das Vertragsverletzungsverfahren gegen die deutsche Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), die Binnenmarktstrategie sowie den Vorschlag zur Dienstleistungskarte (siehe Kasten).

Mit dem Dienstleistungspaket soll im Sinne des Wirtschaftswachstums der EU-Binnenmarkt vertieft werden. Geht das grundsätzlich in die richtige Richtung?

Wir unterstützen das Ziel der Kommission, Hemmnisse beim grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr abzubauen. Schließlich ist es in unserem Interesse, wenn deutsche Unternehmen mit möglichst geringem Aufwand überall in der EU ihre Dienstleistungen anbieten können. Selbstverständlich müssen auch ausländische Wettbewerber zu fairen Bedingungen auf dem deutschen Markt tätig werden können. Davon profitieren wir ebenfalls.

Subsidiaritätsrüge

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden 2009 die Rechte der nationalen Parlamente in der EU gestärkt, weil sie seitdem mithilfe der sogenannten Subsidiaritätsrüge am EU-Gesetzgebungsprozess mitwirken können, sofern sie ihre Kompetenzen durch die Union verletzt sehen: Wird die Subsidiaritätsrüge von einem Drittel der nationalen Parlamente erteilt, ist die Kommission gezwungen, einen Gesetzentwurf zu überprüfen.

Im Unterschied dazu kann eine Subsidiaritätsklage ein nationales Parlament beim Europäischen Gerichtshof einreichen, wenn die EU Rechtsakte erlässt, die nach Ansicht der Kläger auch auf nationaler oder regionaler Ebene umgesetzt werden können.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Jedoch ist aus Sicht der SPD-Fraktion der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für eine EU-Dienstleistungskarte weder praktikabel noch trägt er zu einem fairen Wettbewerb im Binnenmarkt bei. In der vorgelegten Fassung führt die EU-Dienstleistungskarte zu einer Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür. Denn jeder Dienstleister kann in seinem Heimatland diese Karte nach den dortigen Regeln beantragen. Dem Aufnahmeland bleibt dann nur eine nach unserer Einschätzung viel zu kurze Frist, um die Angaben zu überprüfen. Danach gilt die Karte als erteilt – und zwar unbefristet.

Außerdem sehen wir die Gefahr, dass mithilfe der Dienstleistungskarte die Scheinselbstständigkeit gefördert wird, weil die Karte als Beleg für eine selbstständige Tätigkeit herangezogen wird. Damit könnten dann letztlich die branchenspezifischen Mindestlöhne umgangen werden.

Ein Schwerpunkt des Dienstleistungspakets sind die regulierten Berufe. Die Europäische Kommission sieht in Berufszugangs- und -ausübungsregelungen in erster Linie Hindernisse für die Dienstleistungserbringung. Wie bewerten Sie diesen ökonomisch motivierten Blick auf das Berufsrecht?

Die Berufszugangs- und -ausübungsregeln für das Handwerk und die Freien Berufe müssen erhalten bleiben, soweit sie einem fairen Wettbewerb, guten Arbeitsbedingungen oder dem Verbraucherschutz dienen.

Nicht infrage gestellt werden sollen auch die für einige Freie Berufe geltenden Honorarordnungen, denn diese verhindern einen Preiswettbewerb auf Kosten der Qualität und sorgen für Transparenz. Richtig ist aber, Regelungen daraufhin zu überprüfen, ob sie den Marktzugang unverhältnismäßig beschränken. Eine nur an Prognosen über mögliche Wachstumsraten orientierte Bewertung von Berufszugangs- und -ausübungsregeln lehnen wir ab.

Die EU-Dienstleistungskarte

Die Büchse der Pandora für Dumpinglöhne

Mit der elektronischen Dienstleistungskarte will die Europäische Kommission es Handwerkern erleichtern, in allen EU-Mitgliedstaaten zu arbeiten. Handwerkskammer und Gewerkschaften befürchten allerdings, dass diese Plastikkarte, die von einer Behörde des Herkunftslandes ausgestellt werden soll, beispielsweise Dumping auf Baustellen Tür und Tor öffnet.

Die IG Metall hat das an einem Beispiel veranschaulicht: Gibt in Rumänien jemand an, dass er Elektromeister sei, und lässt sich das von seiner nationalen Behörde auf der Dienstleistungskarte bescheinigen, würden diese Angaben künftig nach Deutschland gesendet. Dort soll eine neu zu schaffende zentrale Behörde überprüfen, ob die Angaben stimmen. Kann sie nicht innerhalb von vier Wochen das Gegenteil beweisen, hat das, was auf der Karte steht, dauerhaft und unbegrenzt Bestand – damit würden die nationalen Kontrollrechte des Staates ausgehebelt, wo die Dienstleistung erbracht wird.

Das EU-Dienstleistungspaket

„Reiner Regulierungswahn“

Mit ihrem Dienstleistungspaket will die EU-Kommission „neue Impulse für den Dienstleistungssektor setzen“, also das Wirtschaftswachstum in Europa ankurbeln. Dass es der Kommission darum geht, bürokratische Hürden für Unternehmer und Freiberufler abzubauen, kaufen ihr viele Fachverbände, darunter die Bundeszahnärztekammer, nicht ab. Im Gegenteil: Das Paket sei der reine Regulierungswahn.

Geplant ist, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen einer „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ künftig schon im Vorfeld abklären sollen, ob neue oder geänderte nationale Berufsvorschriften – wie die Gefahrengeneigtheit einer Tätigkeit, deren Komplexität und die dafür erforderliche Berufsqualifikation – „gerechtfertigt, notwendig und verhältnismäßig“ sind. Zusätzlich sollen die „kumulativen Effekte“ bestehender berufsrechtlicher Vorgaben (etwa Fortbildungspflichten, oder obligatorische Mitgliedschaften in Kammern und Verbänden analysiert werden.

Diese Maßnahme wird massiv gerügt, schließlich werden in Deutschland Berufsvorschriften bereits geprüft – durch die Berufskammern, die Selbstverwaltung sowie die Landes- und Bundesregierung – und zwar verpflichtend auf Basis des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bzw. des Europäischen Gerichtshofs. So dürfen Berufsregeln etwa niemanden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder seines Wohnsitzes diskriminieren und müssen geeignet, angemessen und durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sein. Die Kommission listet nun aber elf weitere Prüfkriterien auf, die dazu führen könnten, dass bereits bestehende Berufsregeln der neuen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden müssen.

Hintergründe zum EU-Dienstleistungspaket auf zm-online: EU-Experte Dr. Alfred Büttner berichtet über den „Einsatz in Brüssel“

Welche anderen Parameter sind für Sie bei der Beurteilung von Berufsrecht wichtig?

Neben Verbraucherschutz und Qualitätssicherung sind auch der Gesundheitsschutz und die Rechte von Arbeitnehmern entscheidend. Aus diesem Grund stehen wir auch zu unseren bewährten Standards, beispielsweise bei den Berufsregeln für das Handwerk oder bei den Honorarordnungen für die Freien Berufe.

Und was ist seit der deutschen Solidatitätsrüge passiert? Wie hat die EU-Kommission reagiert?

Insgesamt gab es drei Subsidiaritätsrügen, neben dem Bundestag etwa auch durch die beiden französischen Parlamentskammern, außerdem vier weitere Stellungnahmen.

Die EU-Kommission hat auf die Rüge mit einer Stellungnahme reagiert, in der sie lediglich ihre Position erneut dargelegt hat. Das Verfahren muss also weiter kritisch begleitet werden.

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