Dr. Wolfgang Schmiedel im Porträt

Große Klappe – großes Herz

Heftarchiv Gesellschaft
pr
Den Abschied aus seinem aktiven standespolitischen Leben hat er bereits vollzogen – auf der IDS 2017 wird Dr. Wolfgang Schmiedel zum letzten Mal die Koordinierungskonferenz Hilfsaktionen der BZÄK leiten. Den langjährigen Standespolitiker und Berliner Kammerpräsidenten trieb vor allem eines um: das ureigene Anliegen, durch sein Engagement dem Gemeinwohl zu dienen.

Dass es den Berliner Dr. Wolfgang Schmiedel (Jahrgang 1949) in die Kieferorthopädie verschlug, verdankte er seinem querverlagerten oberen Eckzahn, der ihm in der Jugend eine kieferorthopädische Behandlung einbrachte. „Der patientenzugewandte Umgang meines Kieferorthopäden begeisterte mich und ließ in mir den Wunsch keimen, diesen Beruf später einmal selbst auszuüben“, berichtet Schmiedel.

„Ich habe eine große Berliner Klappe“, sagt der rhetorisch gewandte Spät-68er von sich, der stets mit deutlichen Worten auf Missstände aufmerksam gemacht hat. Seine berufliche Triebkraft beschreibt er so: „Es war mir schon immer ein Anliegen, einen Teil des Glücks und des Wohlstands, die mir der Beruf ermöglicht hat, an Hilfsbedürftige zurückzugeben. Ich empfinde es als meine Pflicht, die Nöte und Sorgen anderer Menschen nicht aus den Augen zu verlieren, und möchte aus innerer Überzeugung dem Gemeinwohl dienen. Diese sicherlich durch mein Elternhaus geprägte christlich-humanistische Einstellung hat mich schon früh bewogen, mich gesellschaftlich zu engagieren.“

Eine Einstellung, die ihn förmlich dazu prädestiniert hat, für die Bundeszahnärztekammer soziale Fragen und die deutschen zahnärztlichen Hilfswerke zu koordinieren. Als verantwortlicher Referent im BZÄK-Vorstand hatte er sich lange Jahre für dieses Ressort stark gemacht. Am 24.3.2017 wird er auf der IDS letztmalig die größte Koordinierungskonferenz Hilfswerke der Bundeszahnärztekammer leiten. Die Bilanz seines Engagements ist gleichzeitig ein Appell: „Es erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit, dass das beeindruckende soziale und gesellschaftliche Engagement der deutschen Zahnärzte, die in den vergangenen 15 Jahren weltweit über 100 Millionen Euro für die  Ärmsten der Armen gespendet haben, wieder in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rückt. Ich kann nur daran appellieren, sich einzureihen in den Kreis derjenigen Kolleginnen und Kollegen, die hier seit Jahren mit gutem Beispiel vorangehen und denjenigen freiwillig Geld und persönliche Hinwendung zukommen lassen, die ohne diese Hilfe sich selbst überlassen wären!“

Man merkt: In diesen Aussagen steckt Herzblut. Dennoch macht Schmiedel klar: „Ich möchte als Berufspolitiker nicht festgelegt werden auf das soziale Engagement – das wäre zu kurz gegriffen!“ Dass dem so wäre, zeigt ein Blick auf sein facettenreiches Leben.

Spezialgebiet KFO

Nach dem Abitur studierte Schmiedel ab 1969 Zahnmedizin an der FU Berlin, nach Staatsexamen und Approbation 1975 wurde er Weiterbildungsassistent in Spandau, es folgte ein kieferorthopädisches Klinikjahr in Erlangen, 1978 promovierte Schmiedel. Im selben Jahr wurde er von der Zahnärztekammer Berlin als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie anerkannt. 1980 ließ er sich in eigener Fachzahnarztpraxis in Berlin-Tempelhof nieder. Nach über 40 Jahren Tätigkeit in der Kieferorthopädie, davon 36 Jahren in eigener Praxis, hat Schmiedel diese 2015 an einen befreundeten Kieferorthopäden übergeben. Er ist dort jetzt noch als Angestellter tätig. Schmiedels Spezialgebiet war und ist die Behandlung von Kiefergelenkerkrankungen. Wer wissen will, wie Schmiedel berufspolitisch „tickt“, sollte sein berufliches Credo kennen: „Übe deinen Beruf mit Liebe aus!“ Hinzu kommt die strikte Befolgung der im Genfer Gelöbnis formulierten Forderung an den Arzt: „Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.“ Schmiedel „brennt“ für diese Leitsätze. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Praxistätigkeit wie durch sein berufspolitisches Engagement. Qualitäten wie Wertschätzung, Freundlichkeit, Gerechtigkeit und Hinwendung – zum Menschen wie zur Sache – spielen für ihn eine große Rolle. Gelebte Ethik im Sinne des Gemeinwohls also.

Ein Wörtchen mitreden

Doch warum Standespolitik? Schmiedel begründet das so: „Ich bin schon sehr früh zu dem Entschluss gekommen, mein Leben, meine Berufsausübung selbst gestalten zu wollen und nicht fremdbestimmt von anderen verwalten zu lassen.“ Seine Ämter standen stets unter der Überschrift, selbst ein Wörtchen mitreden zu können, aber auch früh über berufspolitische Herausforderungen informiert zu sein, um rechtzeitig gegensteuern zu können.

Berufspolitisch ein Wörtchen mitreden – dazu kam es erstmals im Jahr der Wende. 1989 wurde Wolfgang Schmiedel zum Landesvorsitzenden der Berliner Kieferorthopäden (BDK) gewählt. Gleichzeitig wurde er zum Referenten KFO bei der Berliner KZV ernannt. Dann folgten verschiedene Etappen und Ämter bei den Gremien der zahnärztlichen Selbstverwaltung, sowohl bei der Kammer als auch bei der KZV Berlin. Schmiedel wurde Vorsitzender der Vertreterversammlung der KZV Berlin: „Diese Erfahrungen waren der Grundstein für meine spätere Tätigkeit als stellvertretender Versammlungsleiter der Bundesversammlung der Deutschen Zahnärzte, ganz sicher aber auch mit ein Grund für meine Wahl zum Präsidenten der Zahnärztekammer Berlin.“

Daneben war er in wissenschaftlichen Gesellschaften tätig, unter anderem als Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) sowie als Präsident der EFOSA (European Federation of Orthodontic Specialists Association): „Das hat meine Überzeugung gestärkt, dass es mehr denn je notwendig ist, bei allen nationalen Überlegungen zur zahnärztlichen Berufsausübung die europäischen Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren.“

Der Kammerpräsident

2004 folgte die Wahl zum Berliner Kammerpräsidenten – ein Amt, das er bis Februar 2017 ausübte, und zwar als bisher einziger Kieferorthopäde in Deutschland, der zum  Präsidenten einer Zahnärztekammer gewählt wurde. Ein Blick zurück: „Schon bald musste ich lernen, dass sich mein Anspruch, es allen Kolleginnen und Kollegen in Berlin recht machen zu wollen, als illusorisch erwies. Die starken Verteilungskämpfe in der Stadt mit der größten Zahnarztdichte der Welt und die damit verbundenen standespolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der Kollegenschaft, aber auch zwischen Kammer und KZV, brachten mich nicht nur einmal an den Rand der Verzweiflung.“

Schmiedel gelang es, Versammlungen – auch trotz gegenteiliger Ansichten – in einem kollegialen Stil zu leiten: „Meine größte Herausforderung bestand darin, der Berliner Kollegenschaft zu vermitteln, wie wichtig es ist, gegenüber Gesetzgeber und Politik mit einer Stimme zu sprechen, um nicht wehrlos immer wieder Einschränkungen und Eingriffe in die freie Berufsausübung hinnehmen zu müssen.“

Gemeinwohlverpflichtung als Türöffner

Glaubwürdigkeit und die Notwendigkeit, in der Berufspolitik mit einer Stimme zu sprechen – Schmiedels Anliegen war es, der Berliner Kammer bei der regionalen Gesundheitspolitik Gewicht und Akzeptanz zu verleihen. Die Verpflichtung des Berufsstands zum Gemeinwohl diente dabei als Türöffner. Aufgrund ihres sozialen Einsatzes habe die Kammer stets ein offenes Ohr beim Berliner Senat gefunden, erinnert sich Schmiedel. Der schönste Beweis: So habe  etwa der damalige Gesundheitssenator Mario Czaja 2012 bei der Feier zum 50-jährigen Jubiläum der Kammer Berlin den Zahnärzten bescheinigt, sich für die Belange Bedürftiger einzusetzen und Hilfestellung zu leisten. Besonders lobend habe er das Berliner Hilfswerk Zahnmedizin hervorgehoben.

Das Berliner Hilfswerk Zahnmedizin wurde 1999 gegründet. Anlass war ein Erdbeben in der Türkei; die Berliner schickten Hilfe in Form eines Dentalbusses. Heute unterstützt das Hilfswerk die MUT-Obdachlosen-Praxis, den „Fixpunkt“ als Anlaufstelle für Drogenabhängige und ein breites Engagement für  Senioren und Menschen mit Behinderungen. Dennoch sieht Schmiedel noch erhebliches Verbesserungspotenzial: „Traurig macht mich, dass unser Berliner Hilfswerk nur über 110 Mitglieder verfügt. Es ist mir schlichtweg nicht begreifbar, dass in einer Stadt wie Berlin, wo soziale Nöte und Verwerfungen so evident sind, nicht mindestens die Hälfte aller niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen bereit ist, sich für einen Jahresbeitrag von 48 Euro an der Versorgung der hilfsbedürftigen Menschen zu beteiligen! Hier gilt es, gemeinsam an die Gemeinwohlverpflichtung zu erinnern“, plädiert er.

Im Sinne der Kollegen

Ehrenamt und Gemeinwohlverpflichtung – dieses Engagement prägte auch die vielfältigen Kammeraktivitäten unter Schmiedels Ägide für die und im Sinne der Berliner Kollegenschaft. Beispiel: die Vereinbarung, zur  Vorbereitung von Praxisbegehungen Hygieneschulungen in großen Gruppen durchführen zu dürfen („Dafür hat man uns bundesweit fast ans Kreuz genagelt.“). Weiteres Beispiel: die Freisprechungsfeiern für ZFA („Das ist eine Stilfrage, das macht keine weitere Heilberufekammer in Berlin so.“). Noch ein Beispiel: die zahnmedizinische Erstversorgung von Flüchtlingen („Hier wurde Großartiges geleistet mit vielen Ehrenamtlichen – im Sinne von ethischem Denken und Nächstenliebe.“).

Etwas ganz Besonderes ist für Schmiedel die bundesweit bisher einmalige Gründung der Sprechstunde „Seele Zähne“, die seit 2007 von der Zahnärztekammer zusammen mit der Psychotherapeutenkammer betrieben wird und kostenlose Beratungen für sogenannte „schwierige“ Patienten anbietet.

Eine Herzensangelegenheit ist für Wolfgang Schmiedel das Engagement für die jungen Kollegen – etwa in Form von Netzwerken und Informationsveranstaltungen zur Praxisgründung, aber auch über Standespolitik: „Ich möchte etwas von meiner Begeisterung an die junge Generation weitergeben. Es lohnt sich, sich zu engagieren und die Fahne der Selbstverwaltung zu verteidigen. Es wird um das Zehnfache belohnt durch Freundschaften und Netzwerke.“

Berliner Stimme im Bund

Akzeptanz der Berliner Kammer auf standespolitischer Bundesebene – auch darum ging es Schmiedel. „Mir war immer daran gelegen, uns als ‚Berliner Stimme‘ in die langfristigen Strategien der  Bundeszahnärztekammer einzubringen,

um dort die Berliner Interessen zu vertreten, ohne das große Ganze aus dem Auge zu verlieren.“ Der Blick über den Tellerrand war ihm nicht zuletzt auch als Mitglied im Vorstand des BZÄK-Ausschusses Europa wichtig. Ethik und Gemeinwohlverpflichtung sind für ihn Werte, die er auch in die Gespräche mit Europaparlamentariern getragen hat. Manche Probleme hätten so im Vorfeld geklärt oder verhindert werden können, sagt er. „Es stimmt mich nachdenklich, dass ein Großteil der Kollegenschaft die enorme Bedeutung von Brüssel in Bezug auf die Vorgaben zahnärztlicher Berufsausübung in Deutschland offenkundig immer noch nicht verinnerlicht hat.“

Wie geht es jetzt für Schmiedel weiter? Für ihn, der auf ein erfülltes berufspolitisches Leben zurückblickt, der seine Ämter und Aufgaben gern ausgeübt und als persönliche Bereicherung empfunden hat – und das mit Dankbarkeit und Wertschätzung für alle Weggefährten und Mitstreiter? Bis Ende 2017 wird er noch seinem Praxisnachfolger zur Seite stehen. Und die ersten Pläne für die neu gewonnene freie Zeit mit seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln sind bereits gemacht.

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