Ameloblastomrezidiv mittels Titanmesh rekonstruiert
Der Fall
Eine 24-jährige Frau aus Indien wurde im Juli 2015 über unsere mund-, kiefer-, gesichtschirurgische Ambulanz mit einer langsam progredienten schmerzlosen Schwellung der linken Wange vorstellig. Anamnestisch war zu erfahren, dass bei ihr bereits 2007 ein Ameloblastom im linken Unterkiefer in ihrem Heimatland entfernt worden war. Konkretere Angaben zur Operation und dem Befund konnten nicht gemacht werden. Allgemeinmedizinisch gab die Patientin an, dass sie an keinen Erkrankungen leide und auch keine Medikamente regelmäßig einnehme.
Klinische und röntgenologische Diagnosestellung
Die klinische Untersuchung zeigte eine äußerlich sicht- und tastbare schmerzlose Schwellung im Bereich des linken Unterkiefers. Bei der intraoralen Untersuchung zeigte der ab Regio 35 zahnlose Alveolarfortsatz reizlose, allenfalls etwas narbig indurierte Schleimhautverhältnisse. Im Vestibulum des linken Unterkiefers war submukös eine schmerzlose Auftreibung des Knochens sicht- und tastbar. Es fand sich ein teilsaniertes Restgebiss mit multiplen kariösen Läsionen.
Das von uns präoperativ veranlasste Orthopantomogramm zeigte eine multizystische von Regio 35 bis zur Incisura semilunaris links reichende Osteolyse mit blasiger Auftreibung des betroffenen Kieferabschnitts (Abbildung 1).
Aufgrund dieses Befundes und der klinischen Untersuchung wurde zur weiteren Diagnostik eine Computertomografie des Gesichtsschädels mit Kontrastmittel veranlasst. In dieser Aufnahme zeigte sich eine etwa 66 x 28 x 28 Millimeter große blasige Auftreibung des linken Unterkiefers, die vom Kieferwinkel und der Basis des Processus muscularis bis in Regio 33 reichte (Abbildungen 2 bis 4).
Die Dichte innerhalb der Läsion betrug etwa 20 Hounsfield-Einheiten (HE). Es zeigte sich kein Nachweis einer weichteiligen Tumorkomponente. Angrenzend an den linken Unterkiefer konnte ein sechs Millimeter großer Lymphknoten ohne malignitätssuspekte Konfiguration dargestellt werden.
Operatives Vorgehen
Zuerst wurden in nasaler Intubationsnarkose die tief zerstörten Zähne 15, 26, 27 und 28 extrahiert. Anschließend erfolgte die Schienung des Ober- und Unterkiefers. Nach Einstellen der Okklusion in maximaler Interkuspidation erfolgte eine starre intermaxilläre Fixation.
Dann führten wir eine extraorale Schnittführung submental sowie submandibulär links unter Schonung des Ramus marginalis des Nervus facialis durch und stellten das Unterkieferseitenzahngebiet links dar. Dabei zeigte sich, dass der gesamte horizontale Ast sowie die Kieferwinkelregion durch den darunterliegenden Knochentumor blasig aufgetrieben waren. So war zum Beispiel die Kortikalis hauchdünn, zum Teil hatte sie ihre Stabilität bereits vollständig verloren.
Der Knochentumor ließ sich makroskopisch gut gegen den gesunden Knochen abgrenzen (Abbildung 5).
Es erfolgte nun mit der oszillierenden Säge die Kontinuitätsresektion distal des Zahns 34 sowie ausgehend vom tiefsten Punkt der Inzisura seminularis durch das obere Drittel des aufsteigenden Unterkieferasts. Nach dem Ablösen der noch stehengebliebenen Anteile des Musculus temporalis und des Musculus pterygoideus medialis vom Unterkiefer wurde der Unterkieferknochen in toto entnommen (Abbildung 6).
Danach erfolgten das Beschneiden und das Anbiegen eines linksseitigen Mondeal Titanmesh-Gitters. Das Gitter wurde mit fünf 2 mm-Schrauben im Bereich des horizontalen und vier Schrauben im Bereich des verbliebenen Collum mandibulae fixiert.
Zwischenzeitlich wurde durch ein zweites Operationsteam Spongiosa aus dem linken und rechten Beckenkamm entnommen und in das Titangitter eingefüllt. Anschließend erfolgte ein schichtweiser extraoraler Wundverschluss. Der entnommene Knochentumor wurde zur patho-histologischen Untersuchung asserviert.
Postoperative Therapie
Unter der bereits intraoperativ eingeleiteten hochdosierten intravenösen Antibiose mit Ampicillin 2 Gramm (dreimal täglich) und Metronidazol 500 Milligramm (zweimal täglich) gestaltete sich der postoperative Heilungsprozess stadiengerecht. Das postoperativ durchgeführte Orthopantomogramm zeigt den Zustand nach der Resektion der linken Mandibula sowie das eingebrachte Titanmesh mit der Beckenkammspongiosa (Abbildung 7).
Nach zehn Tagen konnte die Patientin mit starrer intermaxillärer Fixation in die ambulante Nachsorge entlassen werden. Die intermaxilläre Fixation wurde noch zwei Wochen belassen.
Die Histologie des Resektats im linken Unterkiefer bestätigte die Verdachtsdiagnose eines Ameloblastomrezidivs. Es handelte sich um ein circa 5,5 Zentimeter großes Ameloblastom mit follikulärem Wachstumsmuster mit Infiltration des Unterkieferknochens.
Mikroskopisch zeigte sich eine ausgeprägte tumoröse Infiltration zwischen den Knochenbälkchen mit herdförmiger Destruktion durch odontogene Zellnester mit meist randlicher Palisadenstellung der Kerne und zentralen unterschiedlich großen Zystenbildungen. Dazwischen konnten bindegewebige Areale und reaktive Veränderungen des Knochengewebes gefunden werden. Die odontogenen Zellnester enthielten runde bis ovaläre Kerne mit granulärem Chromatin. In Anbetracht der tumorfreien Resektionsränder war das Ameloblastom lokal komplett entsprechend einer R0-Resektion exzidiert worden (Abbildung 8).
Entfernung des Titanmesh im linken Unterkiefer: Sechs Monate nach der Erstoperation erfolgte die komplikationslose Entfernung des Titangitters über den vorhandenen submandibulären Zugang. Das Spongiosatransplantat war knöchern konsolidiert und zeigte klinisch eine gute Stabilität. Das postoperativ durchgeführte Orthopantomogramm zeigte die regelrechte Einheilung des autologen Knochenersatzes nach Entfernung des Titanmesh (Abbildung 9).
Diskussion
Mit 18 Prozent ist das Ameloblastom der häufigste odontogene Tumor. Es handelt sich um einen lokal invasiv wachsenden Tumor, der aus Epithelresten der Zahnleiste, des Malassez‘schen Epithels und des Schmelzorgans entsteht. Nicht selten entwickelt er sich auch auf dem Boden einer odontogenen Zyste, wie zum Beispiel der follikulären oder der kalzifizierenden odontogenen Zyste. Männer und Frauen sind in gleichem Maße betroffen. Am häufigsten kommt er in der dritten und vierten Lebenskaskade vor. In den meisten Fällen (mehr als 75 Prozent) tritt das Ameloblastom im Unterkiefer - und zwar in der Prämolaren- und Molarenregion - auf (Morgenroth, Philippou, 1998; Philipsen, Reichart 1998 Pindborg, 1958; Hausamen et al., 2012; Kruse, Gujer et al., 2013; Schwenzer et al., 2009].
Es handelt sich histologisch um einen gutartigen Tumor. Klinisch spricht man jedoch eher aufgrund des lokal sehr aggressiven und infiltrativen Wachstums in die Knochenmarksräume von einem „semimalignem“ Tumor. Sehr selten tritt das bösartige (maligne) Ameloblastom auf, welches sich meistens aus einem gutartigen Ameloblastom entwickelt.
Ein Ameloblastom hat eine hohe Rezidivneigung, weshalb engmaschige jährliche Tumorkontrollen - in den ersten fünf Jahren sogar halbjährliche klinische und röntgenologische Kontrollen - empfohlen werden. Eine Metastasierung erfolgt fast nie. Es macht sich in der Regel durch eine schmerzlose Schwellung meist ohne Zahnlockerung und erkennbare Entzündung bemerkbar. In den meisten Fällen handelt es sich um einen Zufallsbefund (Hausamen et al., 2012; Kruse Gujer et al. 2013; Schwenzer et al., 2009, Pindborg, 1958].
Röntgenologisch sind keine eindeutigen Merkmale wegweisend, die auf das Vorhandensein eines Ameloblastoms hinweisen, so dass differenzialdiagnostisch eine Vielzahl von Neubildungen infrage kommen können, wie zum Beispiel ein ameloblastisches Fibrom, ein ameloblastisches Fibroodontom, ein adenomatoider odontogener Tumor, ein odontogener Plattenepitheltumor, ein verkalkender epithelialer odontogener Tumor (Pindborg), ein Riesenzellgranulom, eine Karzinommetastase oder ein Osteosarkom.
Erst die Histologie gibt Gewissheit, um welche Entität es sich bei einer knöchernen Läsion handelt. Typisch sind jedoch eine uni- oder multilokuläre sowie eine seifenblasen- bis honigwabenartige Knochenosteolyse (Morgenroth, Philippou, 1998; Philipsen, Reichart, 1998, Philipsen et al., 2001; Pindborg, 1958; Hausamen et al., 2012].
Histologisch werden der follikuläre (schlauchartige) Typ, der plexiforme (netzartige) Typ sowie der unizystische Typ unterschieden. Den unizystischen Typ, der eher bei jüngeren Patienten auftritt, diffenrenziert man weiterhin in einen luminalen, intrazystischen oder muralen Typ. Die Tumorzellverbände eines Ameloblastoms bestehen aus hochprismatischen Ameloblastomzellen. Es kommt zu einer peripheren Palisadenstellung. Ebenfalls sind subnukleäre Vakuolen erkennbar (Reichart, Philipsen, 1999; Reichart et al., 1995].
Die Therapie des Ameloblastoms besteht in einer radikalen lokalen Resektion. Es sollte ein Sicherheitsabstand von mindestens 0,5 Zentimeter über dem makroskopisch erkennbaren Tumor eingehalten werden (Morgenroth, Philippou, 1998; Philipsen, Reichart, 1998; Pindborg, 1958; Hausamen et al., 2012; Kruse Gujer et al., 2013; Schwenzer et al., 2009]. Es ist eine Sofortrekonstruktion aber auch eine zweizeitige Rekonstruktion mit einer Überbrückungsplatte und späterer Transplantation von autologem Knochen nach der Tumorresektion möglich. Zu den autologen Knochenentnahmestellen zählen der Beckenkamm, der Tibiakpopf, die Fibula oder auch die Rippe.
Sind die Defekte groß oder sogar begleitende Weichteildefekte vorhanden, werden eher mikrochirurgische Techniken zur Rekonstruktion verwendet. Daher sollte für eine Rekonstruktion eine gründliche Evaluation des Defekts im Zusammenspiel mit der Morbidität und der Belastbarkeit des Patienten erfolgen (Hoffmann, 2010].
In unserem beschriebenen Fallbericht handelt es sich um ein Ameloblastomrezidiv mit follikulärem Wachstumsmuster und Infiltration des Unterkieferknochens. Wegweisend für die Diagnosestellung waren die operative Revision und die histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes. Aufgrund des guten gesundheitlichen Zustandes und der Belastbarkeit der Patientin haben wir uns in dem vorliegenden Fall für eine Sofortrekonstruktion mit Titanmesh und autologem Knochentransplantat vom Beckenkamm entschieden.
Dr. Simone Bojer
Dr. Dr. Herbert Rodemer
Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Klinikum Saarbrücken gGmbh
Winterberg 1, 66119 Saarbrücken
sbojer@klinikum-saarbruecken.de
Literaturverzeichnis
Hausamen JE et al.: Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg, 2012
Hoffmann J: Rekonstruktion beikomplexen Gesichtsschädeldefekten. MKG-Chirurg. Springer. 3:251-258, 2010
Kruse Gujer A, Jacobsen C, Grätz KW: Facharztwissen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Springer, Heidelberg, 2013
Morgenroth K, Philippou S: Oralpathologie II; Zahnsystem und Kiefer in der Reihe von Spezielle pathologische Anatomie. Springer, Berlin - Heidelberg - New York, 1998
Philipsen HP, Reichart PA: Unicystic ameloblastoma. A review of 193 cases from the literature. Oral Oncol. Sep; 34(5): 317-25, 1998
Philipsen HP, Reichart PA, Nikai H, Takata T, Kudo Y: Peripheral ameloblastoma: biological profile based on 160 cases from the literature. Oral Oncol.: Jan; 37(1): 17-27, 2001
Pindborg JJ: A calcifying epithelial odontogenic tumour. Cancer: Jul-Aug; 11(4): 838-43, 1958
Reichart PA, Philipsen HP: Oralpathologie. Farbatlanten der Zahnmedizin 14, Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 1999
Reichart PA, Philipsen HP, Sonner S: Ameloblastoma: biological profile of 3677 cases. Eur J Cancer B Oral Oncol.: Mar; 31B(2): 86-99, 1995
Schwenzer N, Ehrenfeld M: Zahnärztliche Chirurgie. Thieme, Stuttgart, 2009