jameda aus juristischer Sicht

Ärztebewertungen zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Thomas Jochheim, Christoph Palzer
Die Ärztebewertungsplattform jameda hat einen Zielkonflikt: Einerseits verkauft sie Premium-Pakete an ihre Kunden, die eine Gegenleistung erwarten. Andererseits will sie Patienten neutral informieren.

Von einem freundlichen Sadisten, Endsätzen und einem Zielkonflikt

„Schrecklich - einfach nur ein Choleriker!!! [...] Er müsste sich selbst professionelle Hilfe aufsuchen, [...] Nie wieder!!!“, schreibt ein User auf jameda über einen Kinderarzt aus Nordrhein-Westfalen. Ein anderer bescheinigt demselben Arzt, ein sehr guter und vor allem kinderfreundlicher Arzt zu sein, der sich immer sehr viel Zeit für seine kleinen Patienten nimmt. Ein Zahnarzt aus München ist in den Augen des einen Nutzers ein Sadist, zudem unglaublich unhöflich und aggressiv im Ausdruck, aus Sicht des anderen sehr freundlich und professionell.

Wenn man solche Beispiele liest, von denen es auf der umstrittenen Ärztebewertungsplattform viele gibt, ist man unwillkürlich an den berühmten Satz des guten Henry Jekyll erinnert, der in Robert L. Stevensons „The Strange Case of Dr. Jekyll and Mr. Hyde feststellt: “Man is not truly one, but truly two."

Auch bei anderen Bewertungsplattformen gehen die Meinungen der Nutzer auseinander - jedoch selten so extrem wie bei jameda. Das ist kein Zufall.

Was hier augenzwinkernd daherkommt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund. Dass die Erwartungen an einen Arzt und die Eindrücke von ihm von Patient zu Patient unterschiedlich ausfallen, ist nicht ungewöhnlich. Auch bei anderen Bewertungsplattformen wie Amazon oder Tripadvisor gehen die Meinungen der Nutzer über die Objekte ihrer Bewertungen auseinander - jedoch selten so extrem wie bei jameda. Das ist kein Zufall.

Anders als bei anderen Bewertungsplattformen kann man bei jameda den Track-Record eines Bewertenden, gleichsam seine Bewertungshistorie, nicht nachvollziehen. Man kann nicht einschätzen, ob der Nutzer, der einem Arzt eine ungenügende Leistung attestiert, überhaupt schon einmal mit einem Standeskollegen zufrieden war.

Im Schutze völliger Anonymität fällt es noch einmal leichter, seinen Arzt einmal so richtig abzuwatschen!

Wo andernorts im Interesse der eigenen Glaubwürdigkeit Ausgewogenheit und Mäßigung Trumpf sind, fällt es hier im Schutze völliger Anonymität noch einmal leichter, seinen Arzt einmal so richtig abzuwatschen. Da gibt es dann für eine „lange Wartezeit trotz Termin“ auch schon mal die Note 6 in allen von jameda angebotenen Kategorien, angefangen bei „Behandlung“ über „Vertrauensverhältnis“ bis hin zu „Parkmöglichkeiten“.

Und da ist noch etwas: Henry Jekyll ist zwar im wahrsten Sinne Geschichte. Die Melodie, die Stevensons Text grundiert, von der Dualität von Gut und Böse und der Dünnheit des zivilisatorischen Firnisses, unter dem sich das rohe und animalische des Menschen verbirgt, ist dagegen so aktuell wie eh und je.

Im Internet, diesem kuscheligen Raum gefühlter Privatheit, findet sich eine Flut von dem, was der Netzaktivist Sascha Lobo plastisch „Endsätze“ nennt: Halbsätze, Randbemerkungen, vermeintlich scherzhafte Kommentare, die einen Bruch für immer bedeuten.

Es mag extremere Beispiele geben, aber auch für Personenbewertungsportale gilt die Erkenntnis: Unerkannt pöbelt es sich leichter! Der Bundesgerichtshof formuliert vornehmer: „[D]er Betrieb eines Ärztebewertungsportals [bringt] im Vergleich zu anderen Portalen, insbesondere Nachrichtenportalen, schon von vornherein ein gesteigertes Risiko für Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit sich.“

Es geht nicht nur um die digitale Reputation, sondern auch um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Vor diesem Hintergrund haben die Karlsruher Richter den Plattformbetreibern im Beschwerdefall erhöhte Prüfpflichten auferlegt. Das ändert freilich nichts daran, dass diejenigen, die sich zum Objekt anonymer Laienkritiker machen lassen müssen, einer permanenten Beobachtungslast unterliegen. Dabei geht es nicht nur um die digitale Reputation, sondern auch um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Auf jameda, das sich vom kleinen Start-up längst zum umsatzstarken Unternehmen gewandelt hat, suchen monatlich mehr als 5,5 Millionen Patienten nach einem Arzt. Bewertungen werden da zur harten Währung. In dieser Situation mögen manche versucht sein, ihrem Glück ein wenig auf die Sprünge zu helfen - in London schaffte es eine Gartenlaube dank begeisterter Bewertungen von Freunden und Bekannten zum beliebtesten Restaurant der Stadt, ohne je ein Essen geschickt zu haben -, andere mögen eher befürchten, von einem neidischen Kollegen in Misskredit gebracht zu werden. Es verwundert jedenfalls nicht, dass die Manipulationsanfälligkeit von Bewertungen ein Dauerthema ist.

Hartnäckig hält sich außerdem das Gerücht, bei jameda würden Ärzte besser abschneiden, die für ihr Profil bezahlen. Der Vorwurf liegt nicht fern. Dass sich jameda in erster Linie darüber finanziert, Ärzten Premium-Pakete zu verkaufen, ist gelinde gesagt delikat.

Wer 139 Euro im Monat für ein Platin-Paket bezahlt, erwartet (zu Recht) eine Gegenleistung

Wer 139 Euro im Monat für ein Platin-Paket bezahlt, der wird (zu Recht) eine Gegenleistung erwarten. Umgekehrt liegt es in jamedas ureigenem geschäftlichem Interesse, möglichst viele zufriedene Kunden zu haben. Unter solchen Rahmenbedingungen denaturiert der Anspruch, Patienten neutral zu informieren, zur kleinen Münze. So sieht ein Zielkonflikt aus.

jameda weist das von sich, bestreitet aber nicht, dass Premium-Kunden eine bevorzugte Behandlung erfahren. Dazu zählt etwa ein regelmäßiges Erscheinen auf der Startseite von jameda oder ein Profil-Service, bei dem „alle Möglichkeiten“ ausgeschöpft werden. Das hieß bislang auch, dass auf den Seiten nichtzahlender Ärzte die Profile ihrer „Premium-Konkurrenz“ werbemäßig eingeblendet wurden. Diese Funktion hat besonders Unmut ausgelöst: Muss man sich, wenn man schon gegen seinen Willen auf jameda gelistet ist, auch noch zum Büttel seiner Wettbewerber machen lassen?

Die „Zwangsmitgliedschaft“ bei jameda vor dem Bundesgerichtshof

Insbesondere an diesem Umstand, der auch aus Sicht der informationssuchenden Patienten problematisch ist, hat sich die Frage entzündet, ob man als Arzt die Möglichkeit hat, sein Profil bei jameda vollständig löschen zu lassen. Bereits 2014 hatte ein Gynäkologe dieses Ansinnen bis zum Bundesgerichtshof verfolgt und berief sich dabei auf einen datenschutzrechtlichen Löschungsanspruch: Sein Recht auf informelle Selbstbestimmung wiege schwerer als das Recht von jameda und dessen Nutzer auf Meinungs- und Medienfreiheit.

Er wies dabei auch auf die Ungleichbehandlung durch die Premium-Pakete von jameda hin. Allerdings unterlief ihm - rückblickend betrachtet - ein folgenschwerer prozessualer Fehler. Er hatte es nämlich versäumt, die kommerzielle Seite von jameda bereits in einer der beiden Tatsacheninstanzen zu thematisieren.

Der Bundesgerichtshof kann neuen Tatsachenstoff jedoch nicht berücksichtigen; seiner rechtlichen Überprüfung legt er vielmehr den vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde. Die Karlsruher Richter mussten sich daher auf die Bewertung des Geschäftsmodells in Gestalt der Veröffentlichung von „Basisdaten“ gemeinsam mit von Nutzern vergebenen Noten und verfassten Kommentaren beschränken und gaben der Meinungs- und Medienfreiheit von jameda insoweit den Vorzug.

Der Fall der klagenden Dermatologin

Unlängst hat der Bundesgerichtshof allerdings - durchaus überraschend - die Gelegenheit bekommen, das Geschäftsmodell von jameda nochmals unter die Lupe zu nehmen. Eine niedergelassene Dermatologin wehrte sich dagegen, dass jameda aus ihrer Sicht die Arztwahl durch geschickte Marketingmaßnahmen zugunsten der zahlenden Kunden manipuliere und ihr gegen ihren Willen und ohne ihre Zustimmung eingerichtetes Profil und ihre Daten nutze, um zahlenden Kunden „eine Werbeprojektionsfläche“ zu bieten und verklagte jameda auf vollständige Löschung ihres Profils.

Angesichts der Entscheidung aus 2014 war dies ein mutiges Unterfangen. Die klagende Ärztin musste dann auch erst einmal zwei Niederlagen einstecken, bis ihr schließlich in dritter Instanz Recht zugesprochen wurde.

jameda hat einzelnen Ärzten verdeckte Vorteile verschafft

Im Kern begründet der Bundesgerichtshof sein Ergebnis damit, dass jameda seine Stellung als „neutraler Informationsmittler“ verlassen habe. Indem die Profile von Ärzten, die kein Premium-Paket gebucht haben, als Werbeplattform für die Profile zahlender Ärzte genutzt würden, sollten ersichtlich potenzielle Patienten stärker zu den Premium-Kunden gelotst werden. Damit habe jameda einzelnen Ärzten verdeckte Vorteile verschafft. In der Gesamtabwägung der konkurrierenden Belange führe dies dazu, dass das Interesse der klagenden Ärztin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten überwiege.

Dass der Bundesgerichtshof mit der Figur des „neutralen Informationsmittlers“ ein originär haftungsrechtliches Konstrukt auf den hiesigen Fall überträgt, ist kühn, aber überzeugend. Hier wie dort ist es gerechtfertigt, den Wechsel in eine aktive Rolle als Ausdruck eines geringeren Schutzbedürfnisses zu werten. Die schwächere Gewichtung der Meinungs- und Medienfreiheit des Portalbetreibers beziehungsweise seines Interesses an einem möglichst umfassenden Überblick ist gewissermaßen der Preis dafür, dass er gegen Entgelt zugunsten einzelner Unternehmer am Wettbewerb teilnimmt.

Alles beim Alten?

jameda hat die beanstandete Werbeeinblendung umgehend nach der Urteilsverkündung abgestellt und nimmt für sich in Anspruch, in die Rolle eines neutralen Informationsmittlers zurückgekehrt zu sein. War also alles mehr oder weniger umsonst?

Mitnichten: Die Werbeeinblendungen sind nur ein besonders deutlicher Fall selektiver Bevorzugung, weil diese unmittelbar auf dem Rücken der nicht zahlenden Ärzte stattfindet. Jegliche, auch subtilere Optimierungs- oder Werbemaßnahmen, mit denen jameda ihre Premium-Mitglieder aktiv unterstützt, sind mit einer neutralen Rolle nicht vereinbar.

jameda wird sein Geschäftsmodell überdenken müssen

jameda wird sein Geschäftsmodell überdenken müssen. Jedenfalls die Kombination aus Informationsmittler und Werbebotschafter verträgt sich nicht. Dass der Bundesgerichtshof in seiner Sachverhaltsdarstellung - über die streitigen Werbeeinblendungen hinaus - Aussagen von jameda aufgegriffen hat, wonach individuell ausgestaltete Profile zahlender Kunden deutlich häufiger aufgerufen würden und der „Premium-Eintrag“ auch die Auffindbarkeit des Ärzteprofils über Google steigere, wird man als entsprechenden Fingerzeig des Senats verstehen dürfen.

Auch für diejenigen, die nicht beabsichtigen, jameda den Rücken zu kehren, hat der Fall der Dermatologin eine Botschaft: Die digitale Reputation bedarf kontinuierlicher Pflege - notfalls mit gerichtlicher Hilfe. Die betroffene Ärztin hat in nur einem Jahr 17 Bewertungen erfolgreich beanstandet und dadurch einen Notensprung von 4,7 auf 1,5 gemacht. Das spricht Bände.

Thomas Jochheim, Christoph Palzer

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