Identifikation einer unbekannten Toten mithilfe von DNA-Extraktion

Eckzahn liefert nach 30 Jahren den entscheidenden Hinweis

ck/mth
„Wie verschnürt hatte die verweste Leiche im Gebüsch gelegen, Arme und Beine angewinkelt“, schrieb die Lokalzeitung. Mehr als 30 Jahre war unklar, wer die Person ist, die im Juni 1988 unweit der A5 tot im Stadtwald von Rosbach, Hessen, gefunden wurde. Jetzt lieferte ein Eckzahn den entscheidenden Hinweis auf ihr Geschlecht.

Aufgrund der starken Verwesung und der teilweisen Skelettierung ließ sich nicht einmal ermitteln, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Tiefergehende Analysen genetischen Materials gab es in den 1980ern noch nicht. 

Das Gebiss deutete auf eine Frau

1989 ordnete das Landeskriminalamt (West-)Berlin die Leiche dem männlichen Geschlecht zu. „Wahrscheinlich waren die Proben kontaminiert“, tippt Kriminalhauptkommissar Ralf Zentgraf. Ein zahnärztliches Gutachten aus demselben Jahr, von Prof. Dr. W.-E. Wetzel vom Gießener Zentrum für ZMK-Heilkunde, kam nämlich zu einem anderen Ergebnis: „Bei den durchgeführten Zahnfüllungen handelt es sich zumindest bei den mit Silberamalgam gefüllten Zähnen um mäßige zahnärztliche Berufskunst. So wurden weder die Grundvoraussetzungen der fachgerechten Präparation erkrankter Zähne noch die anatomischen Merkmale des Kauflächenreliefs bei der Anfertigung der Füllungen sonderlich beachtet. Sollte anhand der Gebißmerkmale entschieden werden müssen, ob es sich bei der toten Person eher um eine Frau oder einen Mann handelt, so sprechen Form und Größe der Zahnbögen eher für das weibliche Geschlecht.“  

Hinweise auf die Identität der Person und die Todesursache blieben aus und nach Tatverdächtigen suchte man vergeblich. 

Fast 30 Jahre später, im Juli 2017, wenden sich die hessische Kriminalpolizei in Friedberg und die Staatsanwaltschaft Gießen daher routinemäßig  an Forensiker mit moderner Analysetechnik. 

Zähne sind neben den Knochen post mortem die am längsten haltbaren Bestandteile des Körpers: So gelingt es dem Institut für Rechtsmedizin in Gießen, DNA aus einem Eckzahn des Leichnams zu gewinnen und damit anschließend das Geschlecht der unbekannten Leiche definitiv zu bestimmen – es handelt sich wirklich um eine Frau. 

Die pulverisierten Zähne lieferten die DNA

Nötig war dazu ein „PrepFiler Forensic DNA Extraction Kit“, wie Laborleiter Dipl.-Ing. Frank Heidorn erklärt. In Kombination mit einem speziellen Lysepuffer zum Aufschließen der Zellen eignet sich dieses System besonders für die DNA-Extraktion aus Knochen und Zähnen. Heidorn: „Die Zähne beziehungsweise Knochen werden zermahlen und als Pulver in den Kit eingesetzt. Zuvor müssen jedoch Verunreinigungen beseitigt werden, indem die äußeren Schichten abgeschliffen werden. Dann werden die Zellen der zuvor zermahlenen Knochen und Zähne aufgebrochen und endogene DNasen inaktiviert. Die so freigesetzte DNA wird an magnetische Partikel gebunden, an denen sie mehrmals gewaschen werden kann. Anschließend wird die gebundene DNA von den Partikeln gelöst (eluiert) und liegt in einem sehr hohen Reinigungsgrad vor.“ 

Und warum wurde gerade der Eckzahn ausgewählt? „Da 17 Zähne mit Füllungen versehen waren, waren diese für uns somit nicht mehr interessant“, sagt Heidorn.

Die Gerichtsmedizin in Innsbruck/Tirol stellte überdies fest, dass es sich bei der Toten um eine Europäerin gehandelt haben muss. Menschliches Körpergewebe enthält bekanntlich geografische Informationen aus allen Lebensphasen – von der Kindheit bis zum Tod. Mithilfe eines Isotopengutachtens des Schädels, der Zähne und der Haare fanden Rechtsmediziner aus München schließlich heraus, dass die Tote in „Gebirgsregionen im südöstlichen Polen oder grenznahen Gebieten der Ukraine“ aufgewachsen sein muss. 

Das Leben einer unsteten Europäerin

In der Pubertät sei „ein Ortswechsel in südliche Alpenregionen, beispielsweise in die Schweiz oder Norditalien“ denkbar. Im letzten Lebensabschnitt dürfte sich die Frau hingegen nicht in Europa aufgehalten haben: Die in dieser Phase aufgenommene Nahrung spricht für „einen Aufenthalt in Indien oder anderen meeresnahen, südasiatischen Regionen“. Erst wenige Wochen vor ihrem Tod ist die Verstorbene offenbar nach Deutschland zurückgekehrt. Zusammenfassend kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, „dass die Tote ein vergleichsweise unstetes Leben geführt hat“.

Hinweise zur Identifikation der Verstorbenen bitte an die Polizei in Friedberg unter 06031/601-0.

Fundort: Entwässerungsgraben im Stadtwald von Rosbach, unweit der A5Fundzeit: 21. Juni 1988 durch Waldarbeiter geboren: zwischen 1953 und 1968)Haare: mittelbraun, lang, gelocktGröße: etwa 1,65 Meter, schlank/zierlichZahnfüllungen: 17, zumeist Silberamalgam Zahnzustand: ausgeprägter Vorbiss 

Die CT-Gesichtsweichteilrekonstruktion

Die Hochschule Mittweida führte parallel zu den Untersuchungen eine CT-Gesichtsweichteilrekonstruktion durch. Projektleiter Prof. Dr. Dirk Labudde nennt die Voraussetzungen für eine solche Rekonstruktion:

  • Der Schädel muss intakt sein, im besten Fall mit Unterkiefer.

  • Es müssen Informationen über das Aussehen vorliegen, gewonnen aus den sterblichen Überresten (Ethnie, Geschlecht, Haarfarbe, Hautfarbe etc.). Diese Informationen lieferten die Obduktions- sowie Isotopengutachten.

  • Zu Kleidung, Kopfbedeckung, Lebensumständen sowie „Zeitgeist“ (Fotoaufnahmen, Obduktionsberichte, Asservatenlisten) sollten Hinweise vorliegen.

  • Auf Gesichtsdatenbanken muss zugegriffen werden können, um beispielsweise ein Gefühl für typische Alterserscheinungen/-ausprägungen zu erhalten.

  • Wichtig sind zudem Datensätze über anatomische Weichteilmarker mit durchschnittlichen Weichteildicken; diese sind populationsabhängig und hängen von der ethnischen Gruppe ab.


Computergestützte Gesichtsweichteilrekonstruktion der unbekannten Toten | Hochschule Mittweida

 

Eine Gesichtsweichteilrekonstruktion sei jedoch schwierig, betont Labudde: „Das Auftreten von Artefakten, wie Forensiker Reste von Weichteilen und Anhaftungen am Schädel nennen, stört die Berechnung der knöchernen Struktur des Schädels aus den CT-Daten.“ Letztlich passte er die CT-Protokolle an, indem diese Reste und Anhaftungen herausgerechnet wurden. Eine Modellierung der Augenfarbe war aufgrund des Fäulniszustands nicht möglich. Deshalb nahm er eine „Korrelation zwischen dunkler Haar- und Augenfarbe“ an.

ck/mth

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