Das Beste aus beiden Welten
Was hat Sie als Zahnärzte dazu bewogen, eine Genossenschaft zu gründen?
Dr. Wilfried Beckmann: Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte suchen nach der Assistentenzeit in aller Regel nicht mehr direkt den Weg in die eigene Niederlassung. Das hat verschiedene Gründe und ist Ausdruck individueller Lebensplanung. Da hilft diskutieren und lamentieren nicht weiter.
Fakt ist, dass dieser Wandel die Strukturen der zahnärztlichen Versorgung gravierend verändert hat und weiter verändern wird! Die junge Zahnärztegeneration ist zunächst überwiegend angestellt tätig. Stellenangebote finden sie in größeren Praxen – hier besonders in den Ballungsgebieten. Die Praxisinhaber befinden sich oft im letzten Drittel ihrer Berufstätigkeit.
Gleichzeitig gehen im ländlichen Raum immer mehr fachlich gut aufgestellte Praxisstandorte dauerhaft verloren. Von vier Praxen, die dort zur Übergabe angeboten werden, wird nur eine übernommen. Die Demografie zeigt, dass sich dieser Trend verstärken wird.
Es geht also auch um die Sicherstellung der Versorgung auf dem Land?
Beckmann: Auf jeden Fall! Im Interesse der Öffentlichkeit und der Patienten wie auch im Interesse beider Zahnarztgenerationen muss es liegen, Arbeitsplätze für junge angestellte Zahnärzte besonders außerhalb von Ballungsräumen mit hohem Patientenpotenzial zu schaffen. Diese Überlegungen hat die Gründer zusammengebracht.
Worum geht es Ihnen noch?
Dr. Art Timmermeister: Wir haben die Genossenschaft gegründet, um die zahnmedizinische Versorgungslandschaft in Westfalen-Lippe zukunftsfest zu machen. Unser Ziel ist, einen Beitrag zur Sicherung der freiberuflichen Zahnheilkunde zu leisten. Das setzt die Sicherung der flächendeckenden Versorgung voraus. Dafür mussten wir die bestehenden Strukturen überdenken.
Im Ergebnis schaffen wir ein neues, zusätzliches Angebot der zahnärztlichen Berufsausübung. Das wird nichts ersetzen, aber es ist aus unserer Perspektive ein überfälliger Lückenschluss. Wir wissen, dass unser Engagement die Probleme nicht alleine wird lösen können – wir glauben aber, dass wir Impulse setzen und gehen davon aus, dass der breite Zuspruch, den wir bereits in den ersten Wochen erfahren haben, auch anderen Mut macht, den Schritt von der Theorie in die Praxis der freien Berufsausübung von morgen zu wagen.
Warum die Konzentration auf Westfalen-Lippe?
Timmermeister: Alle Gründungsmitglieder sind in Westfalen-Lippe verwurzelt. Um organisatorisch zu gewährleisten, dass wir die Standorte und Behandler persönlich vor Ort betreuen können, haben wir das Einzugsgebiet vorerst bewusst auf unser Schaffensgebiet begrenzt. Hinzu kommt, dass Westfalen-Lippe eine Flächenregion ist und über einen entsprechenden Versorgungsbedarf verfügt.
Und woher kommt das Kapital?
Beckmann: Ganz dem Genossenschaftsgedanken folgend hat jedes Mitglied Eigenkapital als Gesellschafter in die Struktur eingebracht – eben „von Zahnärzten für Zahnärzte“. Wichtig ist uns vor allem, dass unabhängig von der Höhe der Einlage jedes Mitglied nur eine Stimme hat. Eine Einflussverschiebung zugunsten Einzelner wird somit sicher vermieden. Finanzbedarf, der über das Eigenkapital hinausgeht, wird klassisch durch Banken finanziert. Die Genossen gehen also bewusst selbst ins Risiko.
Wann geht es los? Steht der Zeitplan?
Beckmann: Wir betreten Neuland und wollen deshalb Schritt für Schritt vorgehen. Angedacht ist, Anfang 2019 mit den ersten Praxen zu starten und je nach Resonanz im Laufe des Jahres um drei bis vier Praxen zu erweitern. Nach den ersten Erfahrungen werden wir dann entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit die Genossenschaft weiter wächst, ohne dass wir den Grundsatz der Betreuung vor Ort gefährden.
Können Sie die Zahnärzte überzeugen?
Timmermeister: Die Resonanz auf unser Modell hat unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen: Kollegen aus dem persönlichen Umfeld wollten sofort Genossen werden! Von vielen Seiten wurden uns aktiv Praxen vorgeschlagen! Noch erfreulicher ist aber, dass auch „junge“ Angestellte, denen wir unser Modell persönlich vorgestellt haben, diesen Weg aktiv mit uns gehen wollen. Natürlich gibt es auch skeptische Stimmen, die in uns Konkurrenz wittern – hierzu muss aber gesagt werden: Wer die aktuelle Marktsituation kennt und auf die kommenden Jahre extrapoliert, stellt fest, dass ein Genossenschaftsmodell ein lang überfälliges Bindeglied der zahnärztlichen Versorgung darstellt und uns eine Möglichkeit an die Hand gibt, auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren. Außerdem ist unser Modell ja nicht „exklusiv“: Jeder ist willkommen!
Auf der Website der ZvO heißt es, sie biete „das Beste aus beiden Welten“ – dem klassischen Angestelltenverhältnis und der Niederlassung. Was ist denn „das Beste“?
Timmermeister: Die bisherigen Möglichkeiten des Berufsbetätigungsfeldes als Zahnarzt bildeten mit Anstellung und Niederlassung zwei Extreme.
Ist die Anstellung mit nur geringem Risiko, aber auch geringen Ausgestaltungsmöglichkeiten verbunden, trägt der niedergelassene Zahnarzt sowohl Kosten als auch Verantwortung allein. Er hat dafür aber auch den wesentlich größeren Spielraum, was die Umsetzung der eigenen Vorstellungen angeht. Unser Ziel ist, das verminderte Risiko einer Anstellung mit der größeren Freiheit einer Niederlassung in Einklang zu bringen. Ehrlicherweise muss man natürlich sagen, dass das tatsächliche Risiko einer Niederlassung „gefühlt“ höher ist als es meist tatsächlich ist. Und auch die Ausgestaltungsmöglichkeiten innerhalb eines Anstellungsverhältnisses können von Arbeitgeber zu Arbeitgeber stark variieren. Während meiner eigenen Anstellungszeit habe ich den Gestaltungsrahmen meist als sehr eng empfunden. Dies war zum einen schlichtweg der knappen Zeit geschuldet, die für Abstimmungsprozesse mit meinem Chef zur Verfügung stand, und zum anderen in unterschiedlichen Interessen und Erfahrungswerten begründet.
Im Unterschied dazu bietet die ZvO eG völlig andere Bedingungen: Hier haben wir Zeit, uns mit Initiativen und Vorschlägen der Kollegen zu beschäftigen, so dass der Impuls zur Eigeninitiative nicht im turbulenten Praxisalltag zwischen zwei Behandlungen erstickt wird. Ebenso wenig wird ein Festhalten an Gewohnheiten zum Hemmschuh, da der Praxisabgeber nicht mehr das operative Geschick der Praxis steuert. Mögliches Konfliktpotenzial, wie es im Chef-Angestellten-Verhältnis häufig zu beobachten ist – aufgrund des unterschiedlichen Alters, der Erfahrung oder auch des Status –, hat somit keinen Einfluss auf Entscheidungen und Prozesse.
Damit steht die ZvO eG für ein Angebot, das für junge Zahnärztinnen und Zahnärzte das Beste aus zwei Welten verbindet: Die Vorteile der angestellten Tätigkeit – weitgehende Freiheit vor bürokratischen Belastungen, Zeit für fachliche Entwicklung und Erfahrung, kein eigenes finanzielles Risiko, Möglichkeit des Stellenwechsels und der Teilzeitbeschäftigung mit erfahrenen, leicht erreichbaren zahnärztlichen Beratern im Hintergrund. Und die Vorteile der eigenen Niederlassung – Führung einer Praxis als zahnärztlich Verantwortlicher mit eigenem Team, Entwicklung und Umsetzung von eigenen Behandlungskonzepten, Führung und Begleitung von Patienten über alle Behandlungsabschnitte.
Die ZvO wird auch mit MVZ zusammenarbeiten. Wie unterscheidet sich das von Angeboten der Investoren-MVZ?
Beckmann: Wir bieten einen Schritt in Richtung eigene Niederlassung an. Das liegt nicht im Fokus anderer Strukturen. Wir wollen kein Rendite-orientiertes Kapital parken, nehmen im Gegenteil selbst Kredite auf und müssen dafür am Markt bestehen. Wir bringen eigenes zahnmedizinisches Know-how mit und bieten damit ein Angebot „von Zahnärzten für Zahnärzte“.
Wie unterscheidet sich Ihr Konzept von den Vorhaben der apoBank oder der ZA eG?
Beckmann: Nach unserem Kenntnisstand regt die apoBank ein Leasing-Modell an. Die von apoBank-Chef Ulrich Sommer präsentierten Vorstellungen gehen von einer neuen betriebsfertigen Praxis aus, die ein Zahnarzt leasen kann. Das ist Niederlassung mit reduziertem Finanzierungsrisiko, aber voller unternehmerischer Verantwortung inklusive Backoffice-Belastung. Die ZA eG denkt über ein ähnliches Konzept neuer Praxen in Ballungsräumen mit Auslagerung von Backoffice-Aufgaben nach. Beide Modelle können auch einen Beitrag zur Problemlösung darstellen, unterscheiden sich aber entscheidend vom Modell des in „eigener“ Praxis tätigen Angestellten.
Wie laufen Übernahme und Fortbetrieb einer Praxis genau ab?
Beckmann: Die Praxen unserer Genossenschaft werden nach einem definierten Standard und unter Berücksichtigung der aktuellen Vorgaben ausgestattet, aber nicht „luxussaniert“. Für die Anstellung der Kollegen wird die ZvO eG je Standort ein Z-MVZ gründen. Angestrebt wird, die bewährten Mitarbeiter der Praxen zu übernehmen und den Patienten so „ihre bekannte Praxis“ zu erhalten. Das Expertenteam der Genossenschaft wird die angestellten Zahnärzte und Mitarbeiter fachlich begleiten. Das betrifft Fallplanungen, Kommunikation, fachliches Know-how und Teambuilding. Dafür werden Kollegen und Berater täglich zur Verfügung stehen: teilweise über moderne Kommunikationsmedien, teilweise auch direkt vor Ort in der Praxis.
Selbstverständlich stellen wir gerade zu Beginn die jungen Kollegen von jeglicher Bürokratie frei. Wer sich als Vorbereitung für die eigene Niederlassung hier einarbeiten will, wird gerne unterstützt. Die Zusammenarbeit ist so angelegt, dass angestellte Kollegen „ihre“ Praxis später übernehmen oder sich selbst an einem anderen Standort niederlassen können.
Wie sind die Gründer aufgestellt und welchen Hintergrund bringen sie mit?
Beckmann: Einige von uns bringen genossenschaftliche Erfahrung aus einer bereits bestehenden zahnärztlichen Genossenschaft in Westfalen-Lippe (ZAG-WL eG) ein. Andere haben sich seit Jahren intensiv mit dem Generationsübergang in der Zahnmedizin beschäftigt. Hinzu kommt Sachverstand für das Praxismanagement, die Ökonomie und Jurisprudenz. Alle Mitglieder sind selbst im Projekt aktiv.
Wir sind deshalb auch nicht als mitgliederstarke Basisorganisation angelegt, sondern als ein Team, das junge Zahnärztinnen und Zahnärzte in einem Schritt ihrer beruflichen Entwicklung nachhaltig unterstützen möchte.
Wo verläuft die Grenze zwischen unternehmerischer Selbstbestimmung und Angestelltenstatus der angestellten Zahnärzte?
Timmermeister: Nach unserem Verständnis von Zahnmedizin — unabhängig ob deren Ausübung angestellt oder niedergelassen erfolgt – werde ich als Zahnarzt immer Verantwortung für die Dinge übernehmen müssen, die das Wohl meiner Patienten betreffen. Hierzu zählen neben der eigentlichen Therapiedurchführung immer auch Aufgaben wie Hygienemanagement, Abrechnung etc. pp. Wo die Grenze verläuft, ist keine Frage der internen Praxisrichtlinien oder gesetzlichen Anforderungen, sondern muss durch die eigenen moralischen Ansprüche definiert werden. Fremdinteressen dürfen kein Maßstab werden. Die ZvO eG will einen Rahmen bieten, diese Grundwerte mit ihren Mitarbeitern zu bestimmen und zu leben.
Die große Herausforderung hierbei ist allerdings, dass ich als Behandler nach dieser Auffassung Aufgaben verantworte, von denen ich unter Umständen (noch) nichts verstehe beziehungsweise die ich nie gelernt habe. Und genau hier liegt die Stärke unseres Modells: Durch die verschiedenen Kompetenzen gibt es in jedem Bereich Experten, die mir erklären können, wie etwas funktioniert und die sich darüber hinaus die Zeit nehmen, sich mit der aktuellen Entwicklung oder den Anforderungen der Praxis auseinanderzusetzen. Natürlich werden unsere Angestellten Weisungsbefugnisse gegenüber dem Praxispersonal haben. Viel wichtiger als das ist aber die gelebte Praxis – und hier unterstützen wir auch in allen Belangen der Personalführung die persönliche Entwicklung von Beginn an!
Ähnlich verhält es sich auch in puncto Investitionen. Diese werden gemeinschaftlich zahnärztlich durch die Genossenschaft getragen. Am Ende müssen diese Gelder aber natürlich auch gemeinschaftlich erwirtschaftet werden. Daher ist es ein ureigenes Interesse der Genossenschaft, dass die strukturellen Voraussetzungen – wie beispielsweise Behandlungseinheiten oder das Röntgen – den fachlichen Ansprüchen und Fähigkeiten unserer Angestellten entsprechen. Ein weiterer Vorteil ist, dass es innerhalb unserer Struktur perspektivisch natürlich auch die Möglichkeit geben wird, sich „fachlich auszuprobieren“– etwa durch punktuelle Hospitationen an anderen Praxisstandorten. So können wir gemeinschaftlich „bessere“ Entscheidungen treffen.
Für wen eignet sich die Anstellung bei der ZvO?
Timmermeister: Grundsätzlich spricht das Modell jeden Zahnmediziner nach Abschluss der Ausbildungsassistentenzeit an. Eben weil die durch die Genossenschaft Beschäftigten in den Genuss der wichtigsten Vorteile beider klassischen Berufsausübungsformen kommen, ist „Zahnärzte vor Ort“ tatsächlich ein völlig neuer und vielleicht sogar optimaler Weg. Würde ich heute noch einmal vor der Entscheidung der Niederlassung stehen, könnte ich mir vorstellen, mich nicht alleine niederzulassen und stattdessen in einen Verbund gehen, der es mir ebenfalls ermöglicht, meinen Praxisstandort zu wählen und autark zu arbeiten, dies aber, ohne mich hinsichtlich organisatorischer Prozesse auf ein Einzelkämpfer-Dasein einlassen zu müssen. Das Konzept hat enormes Potenzial: Selbst ausgeprägte Unternehmertypen können in einem derart ausgestalteten Verbund besser und leichter Karriere machen als in einer Einzelpraxis. Eher sicherheitsorientierten Typen bietet sich die Chance, auch eine vollwertige Behandlerrolle zu übernehmen. Nicht zuletzt fördert der Genossenschaftsgedanke ganz explizit die Teilhaberschaft. „Gemeinsam sind wir stark“ ist in dieser Struktur keine Floskel, sondern Daseinsberechtigung! Eben das sprichwörtliche „Gelbe vom Ei“.
Die Fragen stellte Claudia Kluckhuhn.
Informationen für junge Zahnärzte unter: zvo-jobs.