foodwatch veröffentlicht Milchlobby-Report

„Kakao zum Frühstück verursacht weniger Karies als Wasser“

Kakao erhöht die geistige Leistungsfähigkeit, steigert den Intelligenzquotienten, und ein Frühstück mit Kakao sei besser für die Zähne als Wasser?!? Wie die Milchlobby Studien verzerrt und Forschungsergebnisse falsch auslegt, hat die Verbraucherorganisation foodwatch jetzt publik gemacht.

Ob in der Kinder- oder Zahnmedizin, der Adipositas- und Diabetesforschung oder in den Ernährungswissenschaften: Unter Fachleuten besteht kein Zweifel daran, wie Milchgetränke mit zugesetztem Zucker zu bewerten sind. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt in ihren Qualitätsstandards für die Schulverpflegung zum Beispiel Milchprodukte, aber konsequenterweise keine gezuckerten Milchmischgetränke wie Kakao als Zwischenmahlzeit.

Und Prof. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, betont: „Wissenschaftliche Forschungen belegen, dass das Kariesrisiko deutlich mit der Frequenz der Zuckeraufnahme zusammenhängt. Deshalb sollte auf zuckerhaltige Zwischenmahlzeiten oder Getränke verzichtet werden.“

Der Molkereikonzern Friesland Campina, der nach eigenen Angaben einzige überregionale Schulmilchlieferant, ignoriert diese wissenschaftlich belegten Fakten und behauptet stattdessen: Kakao steigere nicht nur „die Intelligenz und Konzentration“, sondern verursache zum Frühstück sogar „weniger Karies als Wasser“. Wie kommt der Konzern zu solchen Aussagen?

Die Karies-Studie: 4 Probanden frühstücken, trinken dazu Kakao oder Mineralwasser

Die Verbraucherorganisation foodwatch hat die Studien, auf die sich Friesland Campina stützt, genauer betrachtet und die Rechercheergebnisse in dem Report „Im Kakao-Sumpf: Von gekauften Studien bis zur wundersamen Partnerschaft von Milchwirtschaft und Politik“ veröffentlicht. 

Ausgangspunkt für die Aussage „Kakao zum Frühstück verursacht weniger Karies als Wasser“ ist eine Untersuchung von Prof. Dr. Stefan Zimmer, Sprecher der Informationsstelle für Kariesprophylaxe (IfK) und Lehrstuhlinhaber für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke sowie Vorsitzender der „Aktion Zahnfreundlich“.

foodwatch schildert in seinem Report, wie diese Untersuchung vom Molkereikonzern vermarktet und bewusst falsch ausgelegt wurde: „Zimmer verglich, wie kariesfördernd zwei unterschiedliche Frühstücke sind, die nach Darstellung Zimmers jeweils nur vier (!) Probanden verabreicht wurden“, heißt es im foodwatch-Report. Beide Grüppchen erhielten Vollkornbrot mit Truthahnwurst und Remoulade sowie Apfel – die eine Gruppe zusätzlich gezuckerten Kakao, die andere Mineralwasser. Gemessen wurde schließlich die Säureproduktion in der Zahnplaque.

„Es ging darum, festzustellen, ob es im Rahmen dieser insgesamt schon kariesfördernden Nahrungszufuhr (das ist im Grunde alles, was man isst) etwas ausmacht, wenn ich statt Mineralwasser Kakao trinke. Die Ergebnisse zeigten, dass es nicht zu einer Erhöhung der Kariogenität, sondern sogar zu einer Reduzierung[...] kam“, verdeutlicht Zimmer zudem in einer E-Mail an foodwatch.

Die Erkenntnis: „Kakao als solcher ist nicht nicht kariesfördernd“

„Mit anderen Worten: Kakao als solcher ist nicht nicht kariesfördernd – sondern ein bestimmtes Frühstück mit Kakao ist in dieser Konstellation offenbar weniger schlecht für die Zähne als ein solches Frühstück mit Wasser, jedenfalls, wenn man die geringe Probandenzahl für valide hält“, fasst foodwatch die Forschungsergebnisse zusammen.

„Darüber, woher die geringere Kariogenität des Frühstücks mit Kakao im Vergleich zum Frühstück mit Mineralwasser kommt, kann nur spekuliert werden“, stellt Zimmer auch in seiner E-Mail richtig. „Da das Frühstück selbst schon 31 g Kohlenhydrate enthält, ist zu vermuten, dass die zusätzlichen Kohlenhydrate aus dem Kakao nicht mehr zum Tragen kommen, weil die Plaque sowieso schon gesättigt ist.“ Zudem könnten sich das Milchfett und der Kalziumgehalt positiv auswirken.

Die Vermutung: Kohlenhydrate des Frühstücks sättigen die Plaque bereits - so ist es egal, ob Kakao oder Wasser dazu getrunken wird

„Spricht das nicht eher für Milch als für Kakao?“, fragt sich foodwatch. Die Vermutung liegt nahe, doch ungesüßte Milch war eben nicht Gegenstand der Untersuchung, die von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW in Auftrag gegeben wurde.

Ebenso wenig wurde untersucht, ob bei einem anderen - zum Beispiel kohlenhydratärmeren - Frühstück die kariesfördernde Wirkung des Kakaos deutlich stärker ins Gewicht fällt. „Unsere Aussage bezieht sich nur auf den Kakao im Kontext des Frühstücks“, macht Zimmer auch in seiner Nachricht an foodwatch klar. „Es ist keine Frage, dass ein zuckerhaltiges Kakaogetränk für sich genommen Karies fördern kann.“

Gegenüber den zm erläutert Zimmer noch einmal: „Es handelt sich nicht um eine echte Studie, die publizierbar wäre, sondern um eine Messung nach den Regularien der Anerkennung als zahnfreundlich, so wie sie von Toothfriendly International vor über 30 Jahren festgelegt wurden und wie sie weltweit für die Testzentren gelten. Das war allen Beteiligten von vorne herein klar und das wurde auch nie anders kommuniziert.“

Friesland Campina nutzt die Studien weiterhin irreführend

foodwatch berichtet weiter, wie der Molkereikonzern Friesland Campina diese Forschungsergebnisse anschließend in den „gewünschten Kontext“ rückte: „Das „Netzwerk Schulmilch“ des Konzerns hatte bei der Pressekonferenz eigens Reporter vor Ort und berichtete freudig erregt über den „Freispruch für den Kakao““, schreibt foodwatch.

Auch auf seinen Webseiten benutze Friesland Campina die Studien weiterhin irreführend. So fragt das Informationsbüro Schulmilch „Kinderfrühstück: Kakao besser für die Zähne als Wasser?“ und behauptet: „Kakao zum Frühstück verursacht weniger Karies als Wasser“. „Das ist mindestens verkürzt, denn das Ergebnis der Mini-Studie bezieht sich allein auf ein speziell zusammengestelltes Frühstück“, argumentiert foodwatch.

„Ein durch und durch lobbyverseuchtes Absatzförderungsprogramm für die Milchwirtschaft!“

Die Kariesstudie ist nur ein Beispiel: Insgesamt zeigen die Recherchen von foodwatch „eine kaum vorstellbare Verflechtung zwischen Auftragsforschern, Milchwirtschaft und Politik – über Jahrzehnte und Parteigrenzen hinweg“, sagt foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker.

Rücker: „Bei der Schulkakaoförderung geht es zu allerletzt um die Gesundheit der Kinder – es ist ein durch und durch lobbyverseuchtes Absatzförderungsprogramm für die Milchwirtschaft. Weil sich Milch fast nur als Kakao an den Schulen verkaufen lässt, wird die Extraportion Zucker eben billigend in Kauf genommen.“

Laut foodwatch hat die Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW den offiziellen Auftrag der Landesregierung, „Werbung zur Erhöhung des Verbrauchs von Milch“ zu machen – „insbesondere“ auch durch „Förderung des Schulmilchabsatzes“. „Grundlage dafür ist ein Erlass des Landesumweltministeriums auf Basis eines Bundesgesetzes aus der Nachkriegszeit, als die Milchwirtschaft gefördert und Kinder gepäppelt werden sollten“, erläutert foodwatch. 

Außerdem, so ein weiteres Rechercheergebnis der Verbraucherorganisation, bezahle das Land der Milchlobby jährlich rund 350.000 Euro, um Unterrichtseinheiten und Lehrmaterialien zu gestalten, Marketingveranstaltungen in den Schulen durchzuführen und mit einem „Schulmilchteam“ das Schulmilchprogramm zu bewerben.

NRW zahlt 350.000 Euro für Infomaterialien, die Kakao bewerben

„Das im Gegenzug für die EU-Zuschüsse für Schulmilchprodukte geforderte pädagogische „Begleitprogramm“ wird praktisch vollständig von der Milchwirtschaft durchgeführt – was das Land erheblich billiger kommt als ein neutrales, interessenunabhängiges Programm zur Ernährungsbildung“, kritisiert foodwatch.

Denn die Gewinne der Schulmilchlieferanten seien abhängig vom Kakao: „Das Land hat bislang keine offiziellen Zahlen für Schulen genannt“, schreibt foodwatch. Die Protokolle der Treffen zwischen dem Landesumweltministerium und Milchwirtschaft wiesen jedoch darauf hin, dass zuletzt 80 bis 90 Prozent der an den Schulen verkauften Trinkpäckchen gezuckerte Milchprodukte waren. „Lieferanten wie Landliebe drohen mit einem Stopp der Schulmilchlieferung, wenn Kakao nicht länger gefördert wird“, schreibt foodwatch.

Die Verbraucherorganisation forderte die nordrhein-westfälische Umweltministerin Ursula Heinen-Esser bereits im August auf, die steuerliche Förderung von gezuckerten Schulmilchgetränken unmittelbar zu stoppen und die Zusammenarbeit mit der Landesvereinigung der Milchwirtschaft bei Schulprogrammen zu beenden: „Lobbyisten haben an den Schulen nichts verloren. Herr Laschet und Frau Heinen-Esser haben die Chance, als erste Landesregierung den Kakao-Sumpf trockenzulegen“, sagt Martin Rücker.

foodwatch: „Kein Steuergeld für zuckrigen Kakao!“

Der foodwatch-Geschäftsführer kritisiert, dass sich das Land NRW vor der Verantwortung drücke, Schulbildung interessenunabhängig zu organisieren und Schülern an staatlichen Einrichtungen eine ausgewogene Ernährung anzubieten: „Wer ernsthaft eine gute Ernährung für Kinder fördern will, der investiert kein Steuergeld für zuckrigen Kakao, sondern kommt auf ganz andere Ideen: Der setzt die offiziellen Qualitätsstandards für die Mittagsverpflegung an allen Schulen durch, der lässt alle Schulen am Obst- und Gemüseprogramm teilnehmen oder fördert, wo nötig, ausgewogene Frühstücksangebote. Dafür aber stellt das Land die nötigen Mittel nicht zur Verfügung.“

Auch Ärzte, Ernährungsexperten und Wissenschaftler sowie Vertreter von Lehrern und Eltern hatten bereits im September an die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen appelliert, die steuerfinanzierte Förderung von gezuckertem Kakao im Schulmilchprogramm zu beenden. Die zuständige Landesumweltministerin Ursula Heinen-Esser hatte daraufhin angekündigt, die jahrelange Praxis der Kakao-Förderung im NRW-Schulmilchprogramm zu überprüfen.

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