Wenn es dem Arzt gut geht, geht es dem Patienten gut
„Wenn die Arbeit Ärzte krank macht“, lautete das diesjährige Leitthema des Deutschen Ärztetages, das auf Wunsch der vergangenen Ärztetage in Freiburg und Erfurt in diesem Jahr breit aufgegriffen wurde. Denn nur wenn es dem Arzt gut geht, geht es auch dem Patienten gut, betonten die 250 Delegierten. Das betrifft die Sorge um die eigene Gesundheit (self care) genauso wie die um das Team (staff care).
Prof. Dr. Monika A. Rieger, Ärztliche Direktorin des Instituts für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Tübingen, machte deutlich, welchen arbeitsbedingten Belastungen Ärzte ausgesetzt sind. Dazu gehören körperliche (etwa Zwangshaltungen beim Operieren), psychische (Verdichtung von Arbeitsaufgaben und Organisation, Multitasking, Überlastung durch Überstunden), chemische (Hautreizungen durch Chemikalien) oder physikalische Belastungen (ionisierende Strahlung). Auch die Infektionsgefährdung sei ein ganz großes Problem, sagte Rieger.
Resilienz stärken
Dass der Arzt selbst etwas für seine Gesundheit tun kann und sollte, machte Prof. Dr. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm, deutlich. Burnout und Erschöpfung seien weit verbreitet, Internisten, Chirurgen oder Anästhesisten seien besonders betroffen. „Viele Ärzte brauchen lange, bis sie Hilfe in Anspruch nehmen“, sagte Gündel. Die Resilienz und die Berufszufriedenheit des Arztes sollten gestärkt werden, Arbeitsprozesse verlangsamt.
Dr. Klaus Beelmann, Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Hamburg, stellte das Interventionsprogramm seiner Kammer für suchtkranke Ärzte vor. Solche Programme gibt es inzwischen in allen 17 Ärztekammern. Oft mangelt es am Selbstverständnis des Arztes, distanziert und ehrlich seine eigene Bedürftigkeit anzuerkennen, erklärte er. Die Kammer hilft bei der Klärung, der Therapie und auch bei der Nachsorge von Suchterkrankungen.
Mit der Diskussion von 32 Anträgen nahmen die Debatten zur Arztgesundheit einen breiten Raum ein. Die Delegierten riefen alle Ärzte in Deutschland dazu auf, auf ihre Arbeitsbedingungen zu achten und auch die ihnen zustehenden Arbeitsrechte einzufordern: „Erst wenn es für das Gesundheitssystem unrentabel wird, mit Ärztinnen und Ärzten so zu verfahren, werden die Arbeitsbedingungen ihren gesundheitsgefährdenden Charakter verlieren. Doch hierzu müssen wir zunächst selbst erkennen, dass wir mit jeder unbezahlten Überstunde und jeder verpassten Pause nicht nur uns, sondern auch unseren Kolleginnen und Kollegen schaden, auch wenn Patientenmitgefühl und letztlich auch ein gewisser ärztlicher Stolz uns immer so weitermachen lassen wie bisher.“
Im Fokus stand ferner die zunehmende Digitalisierung, die erhebliche Anforderungen an den Arztberuf stellt. Die Delegierten forderten, dass bei allen Entwicklungen für digitale Anwendungen und Vernetzungen Ärzte eingebunden werden. Auch die überbordende Bürokratie gefährde die Arztgesundheit, hieß es in Münster.
Arbeitsrechte einfordern
Psychische Gesundheit war ein weiterer Themenblock, der vom Ärzteparlament intensiv diskutiert wurde. Ärzte müssten ihre Selbstfürsorge und die eigene Achtsamkeit verbessern und auch Kollegen darin bestärken. Ein großer Belastungsfaktor für Ärzte sei die oft mangelhafte Führungskultur in ärztlichen Einrichtungen, wie die Delegierten herausstellten. Sie forderten, dass ärztliche Führungskräfte die notwendigen Kompetenzen erwerben, um ihre Mitarbeiter wertschätzend und damit gesund und motivationserhaltend führen zu können .
Einer kritischen Diskussion – unter einigen Buhrufen aus dem Publikum – mit der Ärzteschaft stellte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei seiner Rede auf der traditionellen Eröffnungsveranstaltung zum Ärztetag. Ihm liege an einer konstruktiven Debatte, betonte er. Er habe viele Gesetzesinitiativen angestoßen, dabei gehe es ihm allerdings nicht um Quantität, sondern darum, eine Sache besser zu machen. Und er kenne kein einziges Gesetz, das nicht im Laufe der Anhörungsverfahren besser geworden sei. Die Kritik der Ärzte am Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) bezeichnete er als überzogen. Die Erhöhung der Sprechstundenzeiten von 20 auf 25 Stunden beruhe auf einem Kompromiss in der Koalition. Die Ärzte dürften nicht verkennen, dass im TSVG auch etwas für sie erreicht worden sei, etwa der Einstieg in die Endbudgetierung.
Konstruktiv diskutieren
Der Minister verteidigte ferner die Entscheidung, dass das BMG die Mehrheitsanteile von 51 Prozent an der gematik übernommen hat. 14 Jahre lang habe man der Selbstverwaltung die Möglichkeit gegeben, die elektronische Gesundheitskarte ans Laufen zu bringen. Doch diese sei immer noch nicht voll funktionsfähig. Spahn: „Da ich eh die Torte im Gesicht habe, möchte ich auch verantwortlich sein.“ Zuvor hatte Spahn Rückenwind von NRW-Gesundheitsminister Josef Laumann erhalten, der ihn für seinen Gestaltungswillen lobte.
Der scheidende Ärztepräsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery ging in seiner Eröffnungsrede auf Spahns Verständnis von Selbstverwaltung ein. Würden mit der Anhebung der Pflichtstundenzahl in den Praxen nicht eher Scheinprobleme aufgegriffen, die falschen Assoziationen aus dem Dunstkreis des Koalitionspartners geschuldet waren, fragte er. Ebenso kritisierte er den Eingriff des BMG in die gematik. Das Kernproblem liege aber nicht in der Gesellschaftsstruktur der gematik, sondern an den von Ulla Schmidt 2004 gesetzlich festgelegten, nicht erfüllbaren politischen Vorgaben.
Eine weitere Diskrepanz zur Auffassung des Ministers sah Montgomery im Verständnis über die Professionalität des Arztberufs. Statt für mehr Ärzte und Studienplätze zu sorgen, setze die Politik darauf, neue Gesundheitsberufe zu kreieren und bekannte zu verselbstständigen. Montgomery: „Patienten haben in einem hoch entwickelten Gesundheitswesen vor allem ein Anrecht auf Ärztinnen und Ärzte!“
Harte Worte in Richtung Politik kamen auch von Präsidenten der gastgebenden Kammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst. Allein in den vergangenen zwölf Jahren seien 146 Gesetze und Verordnungen vom Bund auf den Weg gebracht worden, die das Gesundheitswesen betreffen. Und das, ohne deren Auswirkung und Langfristperspektiven auf das Gesundheitswesen abzuwarten. Windhorst zitierte dazu den Schweizer Politologen Gerhard Kocher: „Würde die Gesundheit von der Gesundheitspolitik abhängen, wären wir schon längst ausgestorben.“
Professionalität wahren
Eine Vielzahl von weiteren Themen stand auf der Agenda in Münster. Unter anderem nahm das Plenum einen gesundheits- und sozialpolitischen Leitantrag des Bundesärztekammer-Vorstands an. Ärztliche Selbstverwaltung ist demnach Ausdruck ärztlicher Freiberuflichkeit. Einschnitte in die Selbstverwaltung seien deshalb immer auch Einflussnahmen auf die freiheitliche Berufsausübung. Deutlich sprachen sich die Delegierten für eine Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe bei klaren Verantwortlichkeiten aus. Eine Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten auf nicht-ärztliche Gesundheitsberufe komme nicht infrage.
Zu den weiteren gesundheitspolitischen Themen gehörte die zunehmende Kommerzialisierung durch fachfremde Investoren oder die Forderung, dass europäische Institutionen sich wieder auf die Kernaufgaben Binnenmarkt, Mobilität und Stabilität beschränken.
Neue Führungsspitze
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat ein neues Präsidium. Die Delegierten wählten Dr. Klaus Reinhardt zum Präsidenten. Mit ihm ist erstmals seit 40 Jahren wieder ein Hausarzt an der Spitze der BÄK. Der 59-jährige Facharzt für Allgemeinmedizin aus Bielefeld tritt die Nachfolge von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery an, der nicht mehr kandidierte. Montgomery wurde zum Ehrenpräsidenten ernannt. Reinhardt ist außerdem Vorsitzender des Hartmannbundes und Vorstandsmitglied der BÄK, dort Vorsitzender des Ausschusses Gebührenordnung. Er ist Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL). Gegen seine Mitbewerberin aus dem BÄK-Vorstand, Dr. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, konnte er sich mit 124 zu 121 Stimmen durchsetzen.
Als Vizepräsidentinnen wurden Dr. Heidrun Gitter, Bremen, und Dr. Ellen Lundershausen, Erfurt, gewählt. In den Vorstand wiedergewählt wurde Dr. Susanne Johna, Hessen. Neu im Vorstand ist Dr. Peter Bobbert, Berlin.