Wie wir die ganz Kleinen für uns begeistern
Kinder sind eine besondere Patientengruppe: Sie sind keine kleinen Erwachsenen, sondern heranwachsende „Menschlein“. Mit einer eigenen Gefühlswelt und sehr sensiblen „Multifrequenzantennen“ registrieren sie Dinge um sich herum, die die Großen meist übersehen. Trotzdem ist ihre Aufmerksamkeitsspanne altersbedingt stark verkürzt. Das Zeitfenster ihrer Kooperationsbereitschaft ist deshalb gering. Allgemein gilt ein Zeitfenster von fünf Minuten pro Lebensjahr. Kinder spüren zudem Ängste oder Verunsicherungen, die wir als Erwachsene schon längst vergessen haben, weil unser Kindsein schon so lange zurückliegt. Wenn wir einen Zugang zu den unter Dreijährigen finden wollen, braucht es genau dieses Wissen – neben Empathie, Geduld und einer kindgerechten Kommunikation.
Am Anfang steht immer der erste Eindruck, der erste Kontakt, die erste Erfahrung. 80 Prozent der Sinneseindrücke nehmen wir über die Augen wahr. Der Gesichtssinn ist einer unserer wichtigsten Begleiter – und gerade bei Kindern stark ausgeprägt. Die Welt ist voller Farben, und dieses Farbempfinden ist an Gefühle gekoppelt. Farben beeinflussen unser Verhalten und unsere Gesundheit. Nun sind wir bei der Praxiseinrichtung natürlich immer bestrebt, ein schönes und stylisches Farbkonzept zusammenzustellen – aber wir dürfen dabei die jüngste Generation nicht aus den Augen lassen. Sie sind schließlich die Patienten von morgen. Fühlen sie sich in unseren Praxisräumen wohl, verhalten sie sich kooperativ und werden uns langfristig erhalten bleiben.
Für die Kinderecke brauchen Sie keinen Architekten
Dazu ist kein innenarchitektonischer Umbau nötig! Gestalten Sie einfach eine einladende Kinderecke im Wartezimmer. Sie brauchen keine künstlerisch hochwertige Wandgestaltung – ein farbenfroher Paravent an der Wand reicht auch! Damit signalisieren Sie, dass die Kleinen willkommen sind. Für die Wartezeit empfehle ich statt Bildschirm oder Tobe-Ecke eher bunte Bausteine (zum Beispiel Duplo von Lego), Bücher und Kurzzeit-Spiele, also etwas, das die Kinder mit Konzentration in Beschlag nimmt. Dann kommen sie nicht aufgeheizt vom Balgen und Hüpfen ins Behandlungszimmer, wo von ihnen Geduld und Stillsitzen verlangt werden.
Wenn ein Kleinkind vor der Untersuchung schon weinerlich reagiert, dann ist das völlig normal. Die kindlichen Emotionen sind vor dem Kindergartenalter noch nicht ausbalanciert. Das Kind muss in jedem Fall üben, seine Gefühle zu regulieren – und nur durch Ausprobieren kann es das erlernen. Gerade Kinder haben ein sehr feines Gespür für ihr Gegenüber – es bedarf einer angemessenen Reaktion: Die Bindungsforscher sprechen von der ‚Feinfühligkeit‘ im Umgang mit den kleinen Wesen. Wollen wir auf sie zugehen und ein Wohlgefühl provozieren, dann sollten wir nicht unterschätzen, welche Auswirkungen Farben, Geräusche und Gerüche diesbezüglich haben.
Während der Untersuchung kann man die Kooperation der Kleinen zum Beispiel mit einem bunten Deckenbild erhöhen: Während sie auf dem Schoß der Eltern liegen, kann der Blick auf ein Wimmelbild fixiert werden. Dadurch kann der Behandler in den Mund schauen und gleichzeitig Fragen zum Deckenbild stellen („Siehst Du die Fische und den Krebs?“). Bei uns hat sich während der Untersuchungssitzung der Überraschungsbeutel bewährt: Ein bunter Stoffsack mit enger Öffnung und angenehm weichem Innenfutter liegt auf dem Schoß des Kindes. Drinnen befinden sich ein paar unterschiedliche Gegenstände, die das Kind ertasten kann, ohne hineingucken zu können – nur die kleinen Händchen stecken im Beutel, verhindert werden so eventuelle Abwehrbewegungen. Wird das Untersuchungslicht als sehr grell empfunden, haben wir bunte Sonnenbrillen in verschiedenen Ausführungen und Größen parat, die freudig angenommen werden – gerade Kinder in diesem Alter „verkleiden“ sich ja gerne, und dazu gehört auch das Aufsetzen von Brillen. Ist ein kleiner Patient sehr verängstigt und lässt sich anfangs nicht in den Mund gucken, dann kommt unsere lustige Handpuppe zum Einsatz. Spielerisch wird mit Fragen und einem humorvollen Dialog eine Vertrauensbasis geschaffen.
Deckenbild, Handpuppe, Überraschungsbeutel
Nach der Untersuchung erfolgt die Diagnostik, also das Gespräch mit den Eltern. Und die haben oft sehr viele Fragen, vor allem, wenn schon kariöse Zähne diagnostiziert wurden. Nehmen Sie die Anliegen der Eltern ernst – und klären Sie von Anfang an gezielt auf (Zeitpunkt des Zahndurchbruchs, Zahnungsbeschwerden, Auswirkungen eines Beruhigungssaugers, tägliche Mundhygiene und sinnvolle Hilfsmittel dafür, Fluoridieren und Auswirkungen der Ernährung). Hilfreich ist ein praxisinterner Anamnesebogen, der essenzielle Eckdaten ohne großen Zeitaufwand abgreift. Eruieren Sie im Erstgespräch, ob Erkrankungen vorhanden sind, welche Medikamente eingenommen werden, welche Habits vorhanden sind und ob Allergien bestehen.
Wichtig ist, in dem Zusammenhang zu erwähnen, dass nicht nur eine vermehrte Mundatmung, sondern auch Allergiepräparate (zum Beispiel Schüssler Salze oder Globuli) eine Xerostomie begünstigen können und dadurch das Kariesrisiko signifikant erhöhen. Fragen Sie nach Ernährungsgewohnheiten. Die seit einiger Zeit so beliebten Smoothies (in den praktischen Quetschie-Tetrapaks) haben den gravierenden Nachteil, dass das Obstmus eine saure Komponente besitzt und dadurch den ph-Wert negativ beeinflusst. Machen Sie unmissverständlich klar, dass gerade Kindergartenkinder einer besonders fürsorglichen häuslichen Mundpflege bedürfen. Diese Fürsorge ist Aufgabe der Eltern – ein unumstößlicher Erziehungsauftrag, der aus drei Komponenten besteht: kindgerechte Mundhygiene, Ernährung und Fluoridieren.
Die 1-kg-Haribo-Box gehört nicht ins Kinderzimmer!
Zum Putzen: Eltern fungieren als Vorbilder, aber auch als das ausführende Organ. Üben, üben und üben ist das Motto. Und die Eltern müssen putzen, putzen und putzen. Jeden Tag, jeden Abend. Kleine Kinder sind manuell reduziert: Sie sind entwicklungstechnisch nicht in der Lage, selbst richtig zu putzen, auch wenn sie sich in vielerlei Hinsicht groß und selbstständig fühlen. Oft hört man Zweijährige stolz verkünden: „Ich kann das!“ Einen Löffel am Esstisch halten, oder die Socken selbst anziehen – das können die meisten in dem Alter schon prima. Aber wenn es um die Mundhygiene geht, dann müssen sich Eltern ihrer Verantwortung stellen.
Wir als Zahnärzte können informieren, motivieren, kontrollieren, behandeln. Aber wir können uns nicht jeden Abend ins häusliche Badezimmer stellen. Das ist Aufgabe der Eltern – bis die Kinder motorisch so weit sind, es selbst zu tun. Und das ist meist in einem Alter von 8 bis 9 Jahren: Ab dem zweiten Schuljahr, wenn die Kinder flüssig die Schreibschrift beherrschen. Zeigen Sie den Eltern, wie sie am besten die hinteren Molaren erreichen, welche Kinderzahnbürste geeignet ist, und wie sie ihre Kinder mit Liedern, Reimen und Geschichten motivieren können.
Zur Ernährung: Hauptfeind Nr. 1 ist – erwiesenermaßen – immer noch der Zuckerkonsum, die Reduzierung von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln das Nonplusultra. Ebenso die Reduzierung der Häufigkeit der Aufnahme: Die 1-kg-Haribo-Box sollte nie dauerhaft im Kinderzimmer platziert werden! Machen Sie den Eltern klar, dass die Verteilung des Zuckerkonsums über den Tag verteilt das eigentliche Problem ist. Zucker hebt die Laune, heißt es oft – nicht umsonst naschen wir alle gerne. Doch ein bisschen mehr Bewusstsein reicht schon aus, um der Gesundheit und den Zähnen Gutes zu tun.
Zur Fluoridierung: Fluoride sind für die Kariesprophylaxe von großer Bedeutung und die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit einer angemessenen Fluoridanwendung allgemein anerkannt. Erwähnenswert ist, dass die Kinderzahnpasta „nenedent“ als einzige homöopathische Zahnpasta in der EU zugelassen ist – sie ist mentholfrei, aber nicht flluoridfrei! Manche Erziehungsberechtigte sind sich nicht im Klaren darüber, dass die Milchzähne – als die Basis für ein gesundes bleibendes Gebiss – eine wichtige Bedeutung haben. Sie sollten erhalten bleiben, denn sie sorgen für einen regulären Durchbruch der Bleibenden (Platzhalterfunktion). Es gilt, genau dieses Wissen auf einfache und einleuchtende Weise den Eltern zu vermitteln.
Flummis zur Belohnung
Empfehlenswert ist ein funktionierendes Recall-System, das uns ermöglicht, die kleinen Patienten in regelmäßigen Abständen zu sehen – um sie an unsere Behandlungsräumlichkeiten zu gewöhnen und um gegenüber den Eltern immer wieder Motivationsschübe zu geben. Sie werden sich oft dabei ertappen, dass Sie bereits Gesagtes wiederholen oder nochmals erklären. Bleiben Sie am Ball – wenn die Kinder alt genug sind, um in die reguläre Zahnputzschule zu gehen (IP-Leistungen), werden Sie entlastet: Ihre Prophylaxemitarbeiterin übernimmt dann zum großen Teil diese Aufgabe.
Für die Therapie von kariösen Milchzähnen gibt es mittlerweile viele praktische Hilfsmittel: spezielle Sitzerhöhungen, ein kleineres Instrumentarium sowie geeignete Hand- und Winkelstücke. Alles, was man braucht, passt eigentlich in eine Schublade: Spiegel, Matrizen, Keile, Watterollen, Wangenkissen, Sauger, Exkavatoren – alles in Kleinformat – Bohrer und Diamanten mit kürzerem Schaft, gegebenenfalls spezielle Komposites.
Was nicht fehlen darf, ist natürlich ein geeignetes Belohnungssystem nach erfolgter Untersuchung und Behandlung: Wir haben dafür im Wartezimmer einen Automaten mit Flummis, den man mit dem erhaltenen Chip füttert (cave: Die Flummis sollten eine bestimmte Größe haben, um für Kinder unter drei Jahren geeignet zu sein). Unsere bunten Einmalspiegel sind als Give-away auch sehr beliebt. Der gemeinnützige Verein Trostteddy e. V. versorgt uns gegen eine Spende regelmäßig mit kleinen kunterbunten Strick-Teddybären aus Wollresten – besonders begehrt, da es solche handgefertigten Unikate nicht zu kaufen gibt.
Nicht immer ist eine Behandlung möglich, vor allem sollte man diese nicht schon beim Erstkontakt anstreben – lassen Sie die Kinder erst mal in Ihrer Praxis ankommen. Der Erfolg einer Behandlung steht und fällt mit der richtigen Kommunikation (siehe zm 9/2019, S. 88–90). Fühlen sich die Kinder angenommen und merken, dass man sich für sie interessiert, haben Sie schon viel gewonnen. Wecken Sie Neugier und Interesse, dann ist beim nächsten Termin schon eine bestimmte Basis da. All das ist natürlich nicht immer in einen eng getakteten Praxisalltag einzubauen – versuchen Sie ein bestimmtes Zeitfenster speziell für die Kinderbehandlung einzuplanen. Dann kann das gesamte Team entspannter damit umgehen und hat Spaß an der Arbeit.
Die Maxime ist wie im wahren Leben: Do what you love – love what you do. Nur so kann es gelingen!
Dr. Ruth Struck
Bergisch Gladbach
In der zm 9/2019, S. 88–90, finden Sie einen Artikel der Autorin über die Kommunikation mit Kindergartenkindern.