Inside Z-MVZ

„Therapiefreiheit gibt es nicht!“

ck/Ri
Umsatz-, Therapie- und Verordnungsvorgaben, gefälschte Bewertungen und Psychoterror – ein weiterer Skandal um eine Dentalkette im Ausland? Nein. Mehrere angestellte Zahnärzte berichten hier erstmals – anonym – von ihrem Arbeitsalltag in einem großen deutschen Zahnmedizinischen Versorgungszentrum.

Warum haben Sie sich als Zahnärzte für ein Z-MVZ entschieden? Was hat Sie an dem Job gereizt? Welche Möglichkeiten hat man Ihnen in Aussicht gestellt?

Als Erstes lässt sich natürlich eine gewisse Neugierde nicht leugnen. Wir alle haben schon Erfahrungen in anderen Praxisformen sammeln können, sei es in einer Mehrbehandlerpraxis oder an einer Zahnklinik. Die Eckdaten haben sich allesamt wirklich sehr gut angehört: feste Arbeitszeiten in einem Schichtsystem, Einarbeiten in einem großen zahnärztlichen Team mit stetigem kollegialen Austausch, interne und externe Fortbildungsmöglichkeiten und natürlich nicht zuletzt die Verdienstmöglichkeiten.

Ganz konkret: Was wurde im Einstellungsgespräch besprochen und wie lief es in der Realität?

Im Einstellungsgespräch, das etwa eine bis eineinhalb Stunden gedauert hat, wurden ganz klar die Vorteile eines Z-MVZ für uns Zahnärzte dargestellt. Ein Schichtsystem mit festen Arbeitszeiten im wöchentlichen Wechsel sollte vorher nicht vorhandene Freiheiten ermöglichen. Teil eines jungen, kollegialen Teams sein zu können und auch jederzeit Hilfe in Anspruch nehmen zu können – sei es durch einen Chirurgen oder einen betreuenden Oberarzt – waren weitere Themenpunkte. Für alle Mitarbeiter wurde ein Fortbildungsbudget pro Jahr für externe Fortbildungen und zusätzlich auch für interne Fortbildungen als weiterer Pluspunkt genannt. Hierfür sollte es auch zwei Fortbildungstage pro Kalenderjahr geben.

Das Gehaltsmodell wurde besprochen: Hier gab es ein garantiertes Festgehalt und zusätzlich eine Umsatzbeteiligung. Bereits im Einstellungsgespräch wurde uns versprochen, dass aufgrund der Gegebenheiten im Z-MVZ weit überdurchschnittliche Honorarumsätze möglich sind, nicht vergleichbar mit den übrigen Praxisformen. Am Ende wurde uns die Klinik gezeigt und ein festes Datum vorgegeben, bis wann wir unsere Entscheidung mitteilen sollen. Ein Mitlaufen oder Probearbeiten wurde kategorisch ausgeschlossen.

In der Realität sah das dann alles etwas anders aus: Es gab keine geplanten Pausen – es wurde durchgearbeitet. Bei einem voll bestellten Terminplan gestaltete sich sogar der Toilettenbesuch schwierig. Ein Zuschauen bei anderen Behandlern oder interessanten Behandlungen, zum Beispiel bei Absagen von eigenen Patienten, war untersagt. Auch hat die versprochene Hilfe und Betreuung nicht bei allen von uns funktioniert.

Es gab einen sehr eng getakteten Zeitplan und auch Vorgaben, in welcher Zeit die Patienten zu behandeln sind. So sollte zum Beispiel kein Schmerzpatient länger als 15 Minuten warten, was bei einem Großteil der Behandlungen lediglich eine kurzzeitige Schmerzbeseitigung möglich machte, beispielsweise durch Antibiotikagabe. Für eine vernünftige und richtige Ursachentherapie stand keine Zeit zur Verfügung. Zudem wurden wir darauf trainiert, alles irgendwie Abrechenbare auch zur Abrechnung zu bringen.

Welche Aufgaben hatten Sie als Zahnarzt? Gab es Zielvorgaben? Wenn ja, gab es Boni beziehungsweise Incentives?

Die vorrangige Aufgabe war die Schmerzbehandlung mit den eben erwähnten Vorgaben. Ansonsten wurden uns die Patienten mit den zu erledigenden Arbeiten zugewiesen. Für die einzelnen Behandlungen wurde auch eine Behandlungsdauer vorgeschrieben. Es gab ganz klare Zielvorgaben und eine Umsatzübersicht des Vortages von allen Behandlern, damit jeder sehen konnte, wie der eigene Umsatz ausgesehen hat und wie er im Vergleich zu den anderen Zahnärzten dasteht. Das gewünschte zahnärztliche Mindesttageshonorar lag bei 1.600 Euro. Außer der Umsatzbeteiligung gab es keine weiteren Boni.

Hatten Sie sich Ihren Job so vorgestellt?

Definitiv nicht. Bei all unseren Stellen bisher stand der Patient im Mittelpunkt, im Z-MVZ ausschließlich die Finanzen. Das Patientenwohl spielt im Alltag keine nennenswerte Rolle. Es geht ausschließlich darum, in einer möglichst kurzen Zeit möglichst viele Leistungen zur Abrechnung zu bringen. Der allergrößte Teil der Leistungen wird einem vorgegeben und auch die Zeit, in der diese Leistungen zu erbringen sind. Alle Karteikarteneinträge werden täglich kontrolliert, dabei werden zusätzliche abrechenbare Leistungen eingetragen, ohne dass der behandelnde Zahnarzt hierüber informiert wird. Ein viel zu eng getakteter Zeitplan führt zu einer überproportionalen Antibiotikagabe. Auch eine Vielzahl an AU-Verordnungen ist unnötig und zu lang.

Wie sieht die Personalstruktur aus? Wer hat das Sagen und wer trifft welche Entscheidungen? Gab es für die Patientenaufklärung und -behandlung Vorgaben?

Eine Therapiefreiheit gibt es definitiv nicht. Alles ist bis ins letzte Detail inklusive der zu verwendenden Materialien vorgegeben. Auch die Zahnersatz-Auswahl ist sehr beschränkt auf alles, was im Eigenlabor hergestellt werden kann. So gibt es zum Beispiel keine Goldversorgungen, keine GeschiebeArbeiten. Auch durfte für die Arbeiten, die nicht vor Ort hergestellt werden können, kein Fremdlabor in Anspruch genommen werden.

Die am Standort höchste Position hat die Klinikmanagerin. Auch wenn sie über keine ärztliche Ausbildung verfügt, stellt sie Therapieplanungen auf, korrigiert Behandlungsplanungen, bestimmt, ob ein Röntgenbild oder eine Behandlung wie eine PA-Behandlung erfolgen muss. Sie bestimmt sogar die Medikamente, die von uns Zahnärzten verordnet werden sollen und gibt vor, was „medizinisch korrekt“ ist. Ganz klar war die Anweisung, wann immer es geht, den Patienten mit Implantaten zu versorgen.

Wurden Sie unter Druck gesetzt, wenn die Zahlen nicht wie gewünscht ausfielen? Wurden auch Einzelgespräche geführt?

Der Druck war die ganze Zeit da. Zum einen der Umsatzdruck: So hatte ein Kollege bereits nach fünf Arbeitstagen sein erstes Umsatzgespräch.Ihm wurde ganz klar gesagt, dass 30.000 Euro Honorarumsatz pro Monat in den ersten sechs Monaten das Mindestziel sind. Nur dann sei er „sicher“. Und es gab auch gleich Anweisungen, wie das zu schaffen ist: kürzere Termine, mehr Leistungen in jedem einzelnen Termin, mehr Patienten, mehr Schmerzpatienten.

Es durften nahezu keine Behandlungen ohne Patientenzuzuahlung erfolgen. Es gab klare Anweisungen, bei jeder PAR-Behandlung CHX-Medikamentenschienen für 300 Euro Eigenanteil an den Patienten zu „verkaufen“. Auch wurden uns Zahnärzten ständig Patientenfälle von Kollegen gezeigt, die nach Ansicht der Klinikmanagerin nicht optimal abgerechnet oder behandelt wurden.

Zum anderen gibt es zusätzlichen Druck vonseiten der Klinikmanagerin. Hier gibt es eine unvorstellbare Anzahl willkürlicher Abmahnungen. Kein Mitarbeiter traut sich seine Meinung zu äußern, und wenn er es doch tut, folgt in der Regel die Kündigung. Das gilt nicht nur für uns Ärzte, sondern für alle Angestellten des Z-MVZ.

Wie hoch war die Personalfluktuation? Waren Zahnärzte und ZFA in gleicher Weise betroffen?

Unserer Einschätzung nach sind Zahnärzte und anderes Klinikpersonal (ZFAs, ZMVs, Zahntechniker, Empfangsmitarbeiter, …) gleichermaßen betroffen. Wir als Zahnärzte bekommen überhaupt nicht mit, wenn jemand nicht mehr da ist, und fast täglich gibt es neue Mitarbeiter. Im vergangenem Jahr hat ungefähr die Hälfte der Zahnärzte an unserem Standort gewechselt, ungefähr wieder die Hälfte davon hat selbst gekündigt, die andere Hälfte wurde entlassen. Auch wurde kein Azubi übernommen.

Da ein stetiger Wechsel der Mitarbeiter stattfindet, weiß keiner von uns, wer zum Beispiel welche Qualifikationen hat. So werden Röntgenbilder selbstverständlich von jeder Helferin angefertigt. Und da ist es unerheblich, ob sie Azubi ist oder über den entsprechenden Röntgenschein verfügt.

Wie funktioniert das Patienten-Marketing? Sind die Zahnärzte aktiv eingebunden – etwa als Testimonials? Gibt es – ähnlich wie bei den Versicherungen – Prämien für akquirierte Patienten?

Die Patientenakquise erfolgt zum einen über den Schmerzdienst. Der Auftrag an uns Zahnärzte ist klar: einen Zweittermin – und wenn es auch nur eine Nachkontrolle ist – zu vereinbaren und zumindest eine im Schmerzdienst begonnene Leistung hier zu beenden. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Wurzelkanalbehandlung, zu der der Patient dann natürlich auch wieder zuzahlen muss. Auf diese Art und Weise soll natürlich versucht werden, den Patienten auch über die Erstbehandlung hinaus weiter hier zu behandeln und nicht an den Hauszahnarzt zurückzuschicken.

Zum anderen wird sehr viel Wert auf die jameda-Bewertungen gelegt, da viele Patienten bevor sie einen Termin vereinbaren, sich dort informieren. Die Anweisung lautet, Bewertungen von 1,0 zu generieren. Diese Bewertungen werden sogar honoriert: Der Patient erhält einen 20-Euro-PZR-Gutschein, die Helferin pro Zahnarztbewertung einen 20-Euro-Gehaltsbonus. Jeder neue Zahnarzt muss mindestens fünf hervorragende Bewertungen in den ersten zwei Monaten nachweisen. Auch gibt es die Aufforderung, dass sich die Zahnärzte gegenseitig bewerten sollen. Und auch die Helferinnen sind angehalten, die Zahnärzte zu bewerten. Das erklärt die unglaublich positiven Bewertungen.

Deutsche Politiker sagen, Exzesse wie in Spanien, Großbritannien oder Frankreich, wo Patienten Opfer der Raffgier einzelner Dentalketten und Manager wurden, werde es hier aufgrund der jetzt schon strengen Gesetzgebung nicht geben. Ihre Meinung?

Wir empfinden die Gesetzgebung in Bezug auf Z-MVZ in keinster Weise streng. Unserer Einschätzung nach werden Z-MVZ sogar bevorzugt behandelt, so etwa in Bezug auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Wir werden hier jeden Tag angehalten, alle nur erdenklichen Leistungen zur Abrechnung zu bringen. Das war bei unseren früheren Arbeitsstellen überhaupt nicht der Fall. Dort gab es vom Praxisinhaber immer den Hinweis, auf die Abrechnung und die Wirtschaftlichkeit zu achten. Gleichzeitig gab es immer die Sorge vor der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Der Bundesverband für nachhaltige Zahnheilkunde, kurz BNZK, vertritt die Z-MVZ in Deutschland. Sind Z-MVZ nachhaltig? Was denken Sie mit Blick auf Ihre persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse: Wie werden Z-MVZ die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland verändern? Deckt sich das Bild, das der BNZK von Z-MVZ zeichnet, mit der Realität?

Die Z-MVZ haben unserer Meinung nach die Zahnmedizin in Deutschland schon nachhaltig verändert. Das Preisdumping der Z-MVZ führt unserer Meinung nach zu einer Zerstörung der Versorgungsstruktur. Es wird sich der Trend fortsetzen und immer weniger kleine Zahnarztpraxen geben.
Zudem haben Z-MVZ natürlich ganz andere finanzielle Möglichkeiten. So werden mit Dumpingpreisen auf einzelne Leistungen – wie zum Beispiel bei der PZR – Patienten in die Klinik gelockt. Im Zusammenhang mit jeder PZR wird auch die Versichertenkarte eingelesen und auch zumindest eine ä1 abgerechnet. Das erhöht natürlich die Fallzahlen enorm.
Und wenn die Stellung im Gesundheitssystem gestärkt ist und es weniger Konkurrenz durch Kleinpraxen gibt, werden die Z-MVZ die Preise erhöhen, um noch größere Gewinne erwirtschaften zu können. So hatten wir die erste große Preiserhöhung Mitte letzten Jahres …

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus: Können Sie sich vorstellen, auch in Zukunft in einem MVZ zu arbeiten oder wollen Sie doch lieber Ihr eigener Chef sein?

Da sind wir uns alle einig: Das Arbeiten in einem Z-MVZ ist stets nur kurzfristig möglich. Das gesamte System ist nicht auf eine Arzt-Patienten-Beziehung beziehungsweise Bindung ausgelegt. Diese ist sogar unerwünscht, um alle Mitarbeiter jederzeit ersetzbar zu halten und um keine wertvolle Zeit für ein persönliches Gespräch mit dem Patienten zu „verschwenden“. Auch ist der Druck im Alltag mit willkürlichen Abmahnungen und ebensolchen Kündigungen sowie einer nahezu Totalüberwachung immens.

ck/Ri

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