AOK will Patientenrechte stärken
Der AOK-Bundesverband hat ausgemacht, dass die Patientenrechte in der Praxis Lücken aufweisen. „Die Erfahrungen aus der täglichen Beratung und Unterstützung unserer Versicherten im Falle vermuteter Behandlungsfehler zeigen, dass eine Weiterentwicklung des Patientenrechtegesetzes von 2013 notwendig ist“, sagte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, bei der Vorstellung des Papiers in Berlin. Rund 16.000 Versicherte wenden sich laut Litsch bei vermuteten Behandlungsfehlern an die AOK, in rund 4.000 Fällen veranlasst die Krankenkasse ein Gutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK).
Der Status quo reicht nicht aus
Unterstützt wird das Anliegen von der SPD. Deren gesundheitspolitische Sprecherin Sabine Dittmar betont: „Mit Blick auf die Situation der Opfer von Behandlungsfehlern dürfen wir uns mit dem Status quo nicht zufriedengeben. Nach wie vor gibt es [...] zu hohe Hürden, um im Schadensfall eigene Rechte durchsetzen zu können. Die im Jahr 2013 getroffenen Regelungen müssen dringend auf den Prüfstand. Wir werden die Gespräche dazu mit dem Koalitionspartner aufnehmen, so, wie wir das im Koalitionsvertrag vereinbart haben.“
Online-Umfrage
15 Prozent der Patienten wurde die Akteneinsicht verweigert
Der AOK-Bundesverband stützt seine Forderung auf eine von ihm in Auftrag gegebene repräsentative Online-Umfrage des Instituts YouGov unter mehr als 2.000 Personen. Demnach hat jeder vierte Bürger seinen behandelnden Arzt schon einmal darum gebeten, Einsicht in seine Behandlungsunterlagen zu nehmen. Bei 15 Prozent wurde die gewünschte Einsicht nach eigenen Angaben verweigert. Auch die Information der Patienten durch die Ärzte wird bemängelt.
In dem Papier macht die AOK Vorschläge, welche Gesetze ihrer Meinung nach geändert werden müssen, um die Stellung des Patienten im Behandlungsprozess zu stärken und seine Rechtsposition zu verbessern. Opfer von Behandlungs- oder Pflegefehlern sollten wie Betroffene von Arznei- oder Medizinprodukteschäden schnell und umfassend entschädigt werden, lautet das Ansinnen. Vor allem hinsichtlich Information, Beweislast, Verfahrensdauer und Haftpflicht fordert der Verband eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen.
Beweislast, Haftpflicht und IGeL
Die AOK-Vorschläge im Einzelnen:
Patienten besser informieren:Behandler sollen verpflichtet werden, Patienten über einen Behandlungs- oder Pflegefehler zu informieren. Das gilt auch für vermutete Fehler – und zwar unabhängig davon, ob der Patient nachfragt oder nicht.
Beweismaß absenken:Um den Zusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler und einem dadurch verursachten Schaden zu beweisen, müssen Patienten bisher eine „weit überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für diese Kausalität belegen. Künftig soll eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ von mehr als 50 Prozent ausreichen. Bisher müssen Patienten nicht nur den Fehler und den Schaden beweisen, sondern auch den ursächlichen Zusammenhang. Viele schrecken deswegen davor zurück, ihre Ansprüche geltend zu machen, darum wird eine Absenkung des Beweismaßes vorgeschlagen.
Haftungsregelungen bei Arzneimittelschäden novellieren:Patienten, die Schäden durch die Einnahme von Arzneimitteln erlitten haben, sollen Schadensersatzansprüche durchsetzen können. Dafür soll das Arzneimittelgesetz geändert werden.
Eigentumsrechte bei Medizinprodukten sichern:Die Zerstörung oder Entsorgung fehlerhafter Medizinprodukte (zum Beispiel eine Hüftprothese, die entfernt werden muss), die oft ohne Einwilligung des Patienten erfolgt, soll unterbunden und bestraft werden. Um das Eigentumsrecht des Patienten an einem fehlerhaften Medizinprodukt zu sichern, braucht es gesetzliche Regelungen.
Produktinformationen übermitteln:Angaben über die verwendeten Medizinprodukte müssen Bestandteil der Abrechnungsdaten von Ärzten und Krankenhäusern werden.
Obligatorische Haftpflichtversicherung für Behandler einführen:Damit geschädigte Patienten ihre Ansprüche auf Schadensersatz überall in Deutschland durchsetzen können, sollen Berufsgruppen wie Ärzte und Therapeuten durch bundesweite Regelungen verpflichtet werden, eine angemessene Haftpflichtversicherung abzuschließen. Das gilt auch für Hersteller von Medizinprodukten.
Rechtsstreite verkürzen:Um jahrelange Auseinandersetzungen zu vermeiden oder zumindest zu verkürzen, sollten Gutachten, die bereits vor einem Rechtsstreit erstellt wurden, stärker berücksichtigt werden – ebenso wie die Sachverständigen, die diese Gutachten verfasst haben. Auch eine verpflichtende Mediation könne Rechtsstreite früher beenden.
Rechtsverstöße sanktionieren:Verstöße von Behandlern gegen gesetzliche Vorgaben sollen spürbare rechtliche Konsequenzen haben.
Über den Nutzen Individueller Gesundheitsleistungen (IGeL) aufklären:Die Informationspflicht des Arztes zum konkreten Nutzen Individueller Gesundheitsleistungen soll gesetzlich verankert werden, damit Patienten sich ohne Zeitdruck informieren und sich für oder gegen IGeL entscheiden können.
Statement der BZÄK
Keine Aufweichung der Beweislast
Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) will die Initiative der AOK zur Reformierung der Patientenrechte kritisch begleiten. Insbesondere warnt sie vor einer Aufweichung der Beweislastverteilung. Laut BZÄK gibt es vielfach schon berufsrechtliche Regelungen, die den Vorschlägen der AOK entsprechen und auch sanktionsbewehrt sind: So sei der Zahnarzt berufsrechtlich verpflichtet, dem Patienten auf seinen Wunsch Einsicht in die ihn betreffenden zahnärztlichen Dokumentationen zu gewähren.
Die BZÄK weist auch darauf hin, dass sich die von der AOK geforderte Festlegung von Standards und Qualitätskriterien für medizinische Sachverständigengutachten in den verschiedenen Gutachterstrukturen der jeweiligen Zahnärztekammern wiederfinden.
Die Forderung nach einer Pflicht zur Haftpflichtversicherung des Arztes und Zahnarztes hält die BZÄK nur teilweise für nachvollziehbar. Sie macht darauf aufmerksam, dass diese Pflicht in einigen Bundesländern nicht nur in der Berufsordnung, sondern auch in den Heilberufekammergesetzen geregelt ist und damit eine Pflichtversicherung bereits vorliegt. Viele Landesgesetzgeber seien der Forderung der AOK bereits seit Einführung des Patientenrechtegesetzes nachgekommen. Eine pauschale Kritik sei deshalb nicht zulässig und nicht die Grundlage, das Patientenrechtegesetz zu novellieren.