Aus der Wissenschaft

Warum Zähne nicht unter Materialermüdung leiden

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Zahnschmelz, das stärkste Gewebe im Körper, kann sich bekanntlich nicht selber reparieren. Doch nicht die perfekte Struktur, nein, eine Fehlausrichtung der Schmelzkristalle sorgt dafür, dass Zähne ein Leben lang halten.

In ihrer neuen Studie verwendete das Team um Pupa Gilbert, Professorin für Physik an der University of Wisconsin-Madison, neue Bildgebungsverfahren (Imaging Contrast (PIC)-Mapping) , um die Anordnung einzelner Schmelzkristalle im menschlichen Zahn sichtbar zu machen.

Die Schmelzkristalle sind fehlerhaft ausgerichtet

Die Forscher fanden dabei heraus, dass diese Kristalle nicht – wie zuvor angenommen – perfekt ausgerichtet sind, und dass gerade dieser vermeintliche Fehlergrad wahrscheinlich vor Rissen schützt, was zur lebenslangen Festigkeit des Schmelzes führt.

Zahnschmelz ist in Mikrometer langen Stäben organisiert, die aus etwa 50 Nanometer großen Hydroxylapatit-Kristallen bestehen. Diese lagern sich, wie auf dem Foto links erkennbar, einerseits zu langen Stäbchen mit etwa fünf Mikrometer Durchmesser zusammen und füllen andererseits die Lücken dazwischen.

Gilbert und ihr Team nahmen menschliche Zahnproben und maßen die Ausrichtung jedes Kristalls im Zahnquerschnitt. „Im Großen und Ganzen sahen wir, dass es nicht eine einzige Anordnung in jedem Stab gab, sondern eine allmähliche Veränderung der Kristallausrichtung zwischen benachbarten Nanokristallen“, berichtet Gilbert. Auffällig erschien den Forschern, dass die Achsen benachbarter Kristalle gegeneinander verdreht sind, und zwar keineswegs in zufälliger Weise, sondern immer in Winkeln zwischen 1 und 30 Grad. Dadurch verändert sich die Richtung der Kristalle in jedem Stäbchen nach und nach, was sich in den sanften Farbübergängen innerhalb der Stäbchen widerspiegelt.

Am Computer simulierten die Wissenschaftler die Wirkung von kauähnlicher Kraft auf Hydroxylapatitkristalle. In den Simulationen wurden zwei Blöcke aus Kristallen zusammengesetzt. Innerhalb jedes Blocks wurden die einzelnen Kristalle ausgerichtet. An der Kristallschnittstelle wurde ihre Ausrichtung schließlich um verschiedene Winkel gedreht und beobachtet, wann sich ein Riss durch das Interface ausbreitete.

Bei einem bestimmten Winkel stoppten die Risse

Wenn Gitter perfekt gleich ausgerichtet sind, wachsen die für Masterialermüdung typischen Mikrorisse am besten. Waren die Kristallachsen etwa 45 Grad gegeneinander gedreht, breitete sich der Riss ebenfalls aus. Bei einem kleineren Winkel von 17 Grad stoppte die Ausbreitung der Risse hingegen nahezu komplett – also in den Bereichen, in dem sich die meisten Kristallgrenzen im Zahnschmelz befinden.

„Ich habe mich gefragt, ob es einen idealen Fehlausrichtungswinkel gibt, der am effektivsten ist, um Risse abzulenken“, erinnert sich Gilbert. Ein Grad war der häufigste Fehlausrichtungswinkel, insgesamt war der Winkelabstand nie größer als 30 Grad, was mit dem Modellergebnis übereinstimmt, dass ein kleiner Fehlausrichtungswinkel besser ist als ein großer für die Ablenkung von Rissen.

„Davor hatten wir einfach nicht die Methoden, um die Struktur des Schmelzes zu untersuchen“, erläutert Gilbert. Gilbert: „Die Architektur komplexer Biominerale, wie beispielsweise Schmelz, ist jetzt mit bloßem Auge sofort sichtbar. Jetzt wissen wir, dass Risse im Nanobereich abgelenkt werden und sich daher nicht sehr weit ausbreiten können. Das ist der Grund, warum unsere Zähne ein Leben lang halten können, ohne ersetzt zu werden.“  

Pupa U. P. A. Gilbert et al.: The hidden structure of human enamel, in: Nature Communications volume 10, Article number: 4383 (2019), published 26. September 2019

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