Der besondere Fall mit CME

Weisheitszahnosteotomie: Dislokation mit Nervbeeinträchtigung

Elisabeth Goetze
,
Peer W. Kämmerer

In diesem Fall kam es im Anschluss einer alio loco entstandenen Verlagerung des Zahns 38 aufgrund der engen Lagebeziehung zum ipsilateralen Nervus lingualis und zum Nervus alveolaris inferior zu einer sensiblen Beeinträchtigung der genannten Nerven. In einem zweiten Eingriff wurde der Zahn entfernt, wobei eine sofortige Regeneration der Nervenfunktion beobachtet wurde.

Ein 16-jähriger gesunder Patient stellte sich – überwiesen vom Vorbehandler – mit einem intraoperativ in das lingual gelegene Weichgewebe dislozierten Zahn 38 zur Therapieübernahme in der Klinik vor. Anamnestisch sollten aufgrund eines relativen Platzmangels alle Weisheitszähne entfernt werden (Abbildung 1). Der Eingriff war in einem zweizeitigen Vorgehen mit der Osteotomie je einer Kieferseite geplant gewesen. Nach der komplikationslosen Osteotomie des Zahns 28 wurde der Zahn 38 dargestellt. Dieser dislozierte im Verlauf der Entwicklung jedoch ins linguale Weichgewebe. Die sofortige Bergung scheiterte, woraufhin zur besseren Lokalisierung eine digitale Volumentomografie (DVT) angefertigt wurde. Hier zeigten sich eine hoch-mandibuläre Verlagerung nach lingual unterhalb des Nerveneintritts des N. alveolaris inferior sowie die Fraktur der lingualen Knochenlamelle (Abbildungen 2 und 3). Im Praxisumfeld war bei der gegebenen Dislokation eine sofortige Bergung nicht ohne ein erhöhtes Risiko der Nervschädigung möglich, so dass der Patient für eine Entfernung in Intubationsnarkose in die Klinik überwiesen wurde. Bei Aufnahme ließ sich eine Hypästhesie der linken Unterlippe und des Kinns sowie der linksseitigen Zungenspitze mit einer Einschränkung des Geschmacksinns nachweisen. Enoral zeigte sich eine reizfreie, frische Wunde im Bereich der linken Retromolar-Region im Oberkiefer und eine adaptierte reizfreie Wunde regio 37–38 im Unterkiefer.

Es erfolgte die notfallmäßige Bergung des Zahns in Intubationsnarkose. Hierbei wurde über den bereits angelegten Zugang im Unterkiefer entlang des aufsteigenden Unterkieferastes (Abbildung 4) das lingual gelegene Weichgewebe exploriert. Die leere Alveole 38 wurde gespült und auf weitere Zahnfragmente inspiziert. Der dislozierte Zahn ließ sich schließlich direkt unterhalb des in den Unterkiefer eintretenden N. alveolaris inferior und mit enger Lagebeziehung zum N. lingualis darstellen (Abbildung 5) und konnte komplikationslos geborgen werden (Abbildung 6). Postoperativ zeigte sich sofort eine vollständig hergestellte Sensibilität der Unterlippe, des Kinns und der Zunge.

Bei stabilen Wundverhältnissen konnte der Patient wieder in sein häusliches Umfeld entlassen werden, wobei es auch im Rahmen der postoperativen Nachkontrolle zu keinen Beeinträchtigungen oder Komplikationen kam. 

Diskussion

Die häufigsten Risiken der Weisheitszahnentfernung sind lokale Wundheilungsstörungen, Infektionen, Nachblutungen oder Sensibilitätsstörungen [Ghaeminia et al., 2016]. Die Dislokation von Zähnen oder Zahnanteilen ist eine entsprechend seltene Komplikation bei der Weisheitszahnosteotomie [Huang et al., 2007]. Am Unterkiefer kommt es hierbei häufiger zu einer Verlagerung in die submandibuläre Loge; Dislokationen sind aber auch parapharyngeal und cervikal beschrieben, wobei die Verlagerung nicht abhängig von der Art des chirurgischen Zugangs zu sein scheint [Coulthard et al., 2014].

Allerdings kommt es häufiger zu einer Verlagerung, wenn der Zahn lingual lag, eine linguale Fenestrierung des kortikalen Knochens mit freiliegender Zahnwurzel vorhanden war und letztendlich eine inadäquate chirurgische Technik verwendet wurde [Huang et al., 2007]. Vor allem Schädigungen der benachbarten Nervi linguales und Nervi alveolares inferiores können hierbei auftreten [Huang et al., 2007]. Die Dislokation von Weisheitszähnen findet in der S2k-Leitlinie zur „Operativen Entfernung von Weisheitszähnen“ unter den Risiken keine namentliche Erwähnung, doch wird die daraus entstehende Komplikation einer möglichen postoperativen Infektion oder einer Schädigung der Trigeminus-Äste adressiert [Kunkel et al., 2013].

Die Symptome einer Verlagerung variieren je nach Lokalisation; so sind beispielsweise Sensibilitätsausfälle, Mundöffnungsstörungen oder Schluckstörungen bei einer Dislokation der Unterkiefersapientes typisch und können einen Hinweis auf die Lokalisation des Objekts geben. 

Während für eine „Standard-Weisheitszahnosteotomie“ eine konventionelle Bildgebung ausreichend ist [Kunkel et al., 2013] sollte im Fall eines dislozierten Zahns eine radiologische Darstellung in mehreren Ebenen erfolgen, um eine sichere Lokalisierung und eine genaue Planung des chirurgischen Zugangs zur Bergung zu ermöglichen [Huang et al., 2007]. Ist eine DVT verfügbar, kann diese – wie im beschriebenen Fall – für eine genaue dreidimensionale Raumzuordnung erfolgen. Alternativ wird eine Bildgebung mittels Mundbodenübersicht/Panoramaschichtaufnahme oder mittels Computertomografie empfohlen [Huang et al., 2007]. 

Die Bergung von dislozierten Weisheitszähnen ist in den meisten Fällen über den bereits vorhandenen Zugang möglich, wobei selten eine Erweiterung oder gegebenenfalls sogar ein zusätzlicher Zugang von extraoral notwendig werden können [Yeh, 2002]. Eine zusätzliche apparative Unterstützung durch Endoskopie oder intraoperative Bildgebung kann in komplizierten Situationen ebenfalls sinnvoll sein [Huang et al., 2007]. 

Generell sollten dislozierte Zähne zeitnah geborgen werden, um eine Infektion durch den Fremdkörper zu vermeiden. Insbesondere bei neurologischen Ausfällen wie im vorliegenden Fall ist ein rascher Eingriff sinnvoll, da bei längerer Kompromittierung die Wahrscheinlichkeit eines bleibenden Nervenschadens steigt [Renton, 2010; Kämmerer, 2018]. Bei frühzeitiger Bergung und intakten Nerven ist so eine vollständige Wiederherstellung der Sensibilität – wie im vorgestellten Fall – möglich. Sollte es zu einer sichtbaren Nervschädigung gekommen sein, ist diese operativ zu versorgen, wobei die therapeutischen Alternativen aus direkten Nervennähten oder der Rekonstruktion mit autologen oder allogenen Transplantaten bestehen [Kämmerer, 2018].

Dr. Elisabeth Goetze

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 3, 55131 Mainz

PD Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, M.A., FEBOMFS

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 3, 55131 Mainz
peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de

Fazit für die Praxis

  • Alle Extraktionen/Osteotomien von dritten Molaren sollten im Vorab sorgfältig geprüft und signifikante Risiken in die Besprechung der Einwilligungserklärung aufgenommen werden. 

  • Die allgemeinen Regeln für einen angemessenen Zugang, eine angemessene Knochenentfernung und die Vermeidung von übermäßigem Kraftaufwand sollten befolgt werden. 

  • Insbesondere bei nur eingeschränktem chirurgischem Training können Rettungsversuche dazu führen, dass das Fragment tiefer ins Gewebe gedrückt wird und/oder sensible Strukturen beschädigt werden.

  • Empfohlen wird daher, den Patienten so bald wie möglich an einen chirurgischen Spezialisten mit allen relevanten Informationen zu überweisen. Diese sollten die Größe des Fragments, die Umstände der Extraktion und die Röntgenaufnahmen umfassen. 

  • Bei Therapieverzögerungen sollten der Bereich gereinigt und die Wunde vernäht werden. Zusätzlich sollten Antibiotika verabreicht werden.

Literatur

1. Ghaeminia, H., Perry, J., Nienhuijs, M. E., Toedtling, V., Tummers, M., Hoppenreijs, T. J., Van der Sanden, W. J. und  Mettes, T. G. (2016). „Surgical removal versus retention for the management of asymptomatic disease-free impacted wisdom teeth.“ Cochrane Database Syst Rev(8): CD003879.

2. Huang, I. Y., Wu, C. W. und  Worthington, P. (2007). „The displaced lower third molar: a literature review and suggestions for management.“ J Oral Maxillofac Surg 65(6): 1186-1190.

3. Coulthard, P., Bailey, E., Esposito, M., Furness, S., Renton, T. F. und  Worthington, H. V. (2014). „Surgical techniques for the removal of mandibular wisdom teeth.“ Cochrane Database Syst Rev(7): CD004345.

4. Kunkel, M. und  al., e. (2013). „S2k-Leitlinie: Operative Entfernung von Weisheitszähnen.“ AWMF online AWMF-Register Nr. 007/003.

5. Yeh, C. J. (2002). „A simple retrieval technique for accidentally displaced mandibular third molars.“ J Oral Maxillofac Surg 60(7): 836-837.

6. Renton, T. (2010). „Prevention of iatrogenic inferior alveolar nerve injuries in relation to dental procedures.“ SADJ 65(8): 342-344, 346-348, 350-341.

7. Kämmerer, P. W. (2018). „Behandlung von iatrogenen Schäden von Ästen des Nervus trigeminus. Abwarten, Medikamente oder chirurgische Therapie?“ Zahnärztliche Mitteilungen 108(15-16): 82-85.

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Dr. med. Dr. med. dent. Elisabeth Goetze

Oberärztin
Klinik für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie,
Universitätsspital Zürich, Schweiz

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

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