Risiken und Fehlentwicklungen der Telematikinfrastruktur
Dass die Vertragszahnärzteschaft die Digitalisierung des Gesundheitswesens mehrheitlich als Chance versteht und die Schaffung einer Telematikinfrastruktur (TI) grundsätzlich im Interesse von Patienten und Praxen begrüßt, habe ich schon des Öfteren betont. Angesichts einer extrem hohen Unzufriedenheit der Zahnärzteschaft, die – falls Deutschlands größtes Gesundheitsnetz weiter als kostentreibendes Ärgernis wahrgenommen wird – noch steigen könnte, sehen wir es als handelnder Akteur aber als unsere Aufgabe an, auf immanente Risiken und Fehlentwicklungen der hochkomplexen Infrastruktur hinzuweisen.
Denn Ereignisse wie die fast zweimonatige Störung des Versichertenstammdatenmanagements (VSDM) einhergehend mit einer mangelhaften Kommunikation seitens der gematik machen es uns schwer, Akzeptanz für die TI in unserem Berufsstand zu fördern. Fest steht: Zahnärztinnen und Zahnärzte sollten endlich den versprochenen Mehrwert erleben. Dies kann mit den geplanten Anwendungen Elektronischer Medikationsplan, Notfalldatenmanagement und dem Kommunikationsdienst KIM sowie später mit der Elektronischen Patientenakte (ePA) möglich sein, wenn der stabile Betrieb der TI und ihrer medizinischen Anwendungen gewährleistet sind. Klar ist, die TI sollte für Heilberufe eine positive Ergänzung im Versorgungsalltag sein. Sie muss zur Entlastung etwa bei Anamnesen und Diagnosen beitragen, so dass Zahnärztinnen und Zahnärzte mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten haben, anstatt mühsam relevante Unterlagen anzufordern.
Daher fordern wir, dass künftig ausschließlich Anwendungen in die Fläche gehen, die ausreichend unter Praxisbedingungen getestet wurden sowie stabil und sicher laufen. Erst dann kann die maßvolle Einführung neuer Anwendungen angegangen werden. Die Reduktion von Feldtests bei wichtigen Komponenten und Diensten hingegen ist kontraproduktiv. Schnelligkeit um jeden Preis vor Praktikabilität und Zuverlässigkeit darf nicht das Mittel der Wahl sein, um unrealistische gesetzliche Fristen zu halten. So hatten von der KZBV geforderte Feldtests von KIM und der qualifizierten elektronischen Signatur – mittlerweile behobene – Fehler offenbart, die Labortests von gematik und Herstellern nicht identifizieren konnten.
Ohne den Einsatz der Test-Praxen und Test-KZVen würde es einmal mehr viel Unmut beim Ausrollen von KIM geben. Die umsichtige Entwicklung nutzenbringender und nutzerfreundlicher Anwendungen ist wichtig. Ausführliche Tests und Evaluationen sind aber ein absolutes Muss, um Akzeptanz für digitale Neuerungen zu schaffen. Andernfalls wird die Mitwirkung der Leistungserbringer verspielt. Hier setzen wir auch auf die Rückendeckung anderer Gesellschafter und der gematik gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Leider ist es so, dass Beschlüsse der gematik zu häufig gegen uns gefasst werden, obwohl wir unverzichtbare Multiplikatoren sind. Denn auf uns wird es bei Anwendungen wie der ePA ankommen, wenn diese erfolgreich sein sollen. Wenn gematik-Gesellschafter Anliegen von Praxen übermitteln, dann sollten diese von der gematik ernst genommen und konstruktiv gewürdigt werden. Das Erstellen technischer Spezifikationen darf nicht „am Reißbrett“, losgelöst von aktuellen Ausstattungen der Praxen, sondern nur unter Einbeziehung bestehender Komponenten erfolgen. Ein Beispiel sind die sogenannten G0- oder Vorläufer-Karten, zu denen neben dem eZahnarztausweis auch die weit verbreiteten ZOD-Karten zählen. Diese sollten als bewährter Vorläufer des elektronischen Heilberufeausweises der Stufe G2 „per Federstrich“ zum Auslaufmodell werden. Daher haben wir uns bei gematik und BMG intensiv für einen tragfähigen Kompromiss eingesetzt.
Wir befürworten deshalb eine Stärkung der gematik dahingehend, dass sie nach außen Verantwortung übernimmt und im Sinne der Nutzer agiert. Dazu ist es erforderlich, dass sie zu einer von Vertrauen und Respekt geprägten Zusammenarbeit zurückfindet.
Dr. Karl-Georg Pochhammer,
Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der KZBV