„Auf diese Situation konnte sich niemand vorbereiten!“
Auch für die Zahnärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ist die Pandemie eine große Herausforderung. Wie sieht derzeit die Situation bei Ihnen aus?
Dr. Michael Schäfer:
Die regelhafte Durchführung aller Maßnahmen im Rahmen der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe, wie zahnärztliche Untersuchungen, Fluoridierungsmaßnahmen, Beratung, Aufklärung, Konzeption und gutachterliche Tätigkeit sind nahezu eingestellt. Stattdessen sind viele zahnärztliche Kolleginnen und Kollegen in alle Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz eingebunden, die die Gesundheitsämter wahrzunehmen haben. Dazu gehören Schutzmaßnahmen, Beobachtung, Quarantäne und berufliches Tätigkeitsverbot.
Ist der BZÖG auf eine Problemlage wie eine Pandemie vorbereitet?
Auf eine Situation, wie wir sie derzeit vorfinden, hat sich niemand ausreichend vorbereiten können. Mir sind keine Pandemiepläne bekannt, die das abbilden, was wir momentan erleben. Für viele findet ein täglicher Lernprozess statt, der später für solche Problemlagen gut aufgearbeitet werden muss.
Und welche Aufgaben stellen sich jetzt vor allem auf Bundesebene?
Der Öffentliche Gesundheitsdienst erfüllt klassische Aufgaben der Daseinsfürsorge in den Kommunen, so dass sich für den BZÖG auf Bundesebene aktuell keine Herausforderungen stellen.
Und in den Gesundheitsämtern vor Ort?
Durch die kommunalen Gesundheitsbehörden – wie überhaupt durch die Verwaltungen in den Gebietskörperschaften – müssen aktuell Hotlines bedient, Quarantänemaßnahmen verordnet, Kontaktpersonennachverfolgungen bewältigt und Diagnostikzentren für Abstriche aufgebaut und unterhalten werden usw. Das ist eine enorme logistische und organisatorische Herausforderung.
Was sind die größten Hindernisse und Probleme – auf Bundesebene und vor Ort?
Die Probleme auf Bundesebene werden nahezu identisch mit denen auf lokaler Ebene sein. Der Nachschub für die persönlichen Schutzausrüstungen, wie Desinfektionsmittel, Mund-Nasen-Schutz, FFP2-/FFP3-Masken, Einmalkittel, Schutzbrillen oder Gesichtsvisiere, stockt und die Lieferketten funktionieren nicht so reibungslos wie gewohnt. Das stellt alle im Gesundheitsbereich Tätigen vor große Herausforderungen. Überdies darf nicht vergessen werden, dass zahlreiche Menschen im Gesundheitsbereich seit nahezu vier Wochen ohne Unterbrechung täglich 12 bis 16 Stunden arbeiten.
Was ist mit den von Ihnen betreuten Patienten?
Alle kleinen und großen Patienten sollen soziale Distanz wahren und sich solidarisch verhalten.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Egal, an welcher Stelle wir uns in der momentanen Lage befinden, mein Wunsch wäre es, dass alle Politikbereiche von der Bundes- über die Landespolitik bis hin zur Kommunalpolitik die richtigen Lehren für solche Szenarien ziehen. Nach meinem Dafürhalten werden diese unweigerlich kommen.
Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist seit Jahren immer mehr kaputtgespart worden – was heißt das für die jetzige Situation?
Ich erlebe aktuell eine Umkehrung der Verhältnisse, nämlich den Ruf nach den „Behörden“. Zumindest der Öffentliche Gesundheitsdienst hat diese Ressourcen nicht (mehr). Derzeit versuchen alle Kolleginnen und Kollegen im ÖGD dies durch Überleistung zu kompensieren, denn einen Sicherheitsvorhalt gibt es nicht. Die Lehren daraus müssen, wie beschrieben, zu einem späteren Zeitpunkt gezogen werden. Zu diesen zählt zwangsläufig auch eine deutlich bessere personelle Ausstattung des ÖGD.
Die Fragen stellte Gabriele Prchala.
Dr. Michael Schäfer ist 1. Vorsitzender des Bundesverbandes der Zahnärztinnen und Zahnärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BZÖG).