Ewald Fabian - Zahnarzt, kritischer Publizist, Widerstandskämpfer
Fabian wurde 1885 in Berlin geboren, in Greifswald studierte er Zahnmedizin. 1907 erhielt er die Approbation und wurde dort 1920 promoviert. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er als „feindlicher Ausländer“ in französischer Zivilgefangenschaft.2
Nach Kriegsende kehrte er nach Berlin zurück und wurde in der Weimarer Republik nacheinander Mitglied unterschiedlicher politischer Parteien und Gruppen des linken Spektrums: Zunächst schloss er sich dem Spartakusbund und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an, die die Zustimmung der deutschen Sozialdemokraten zum Ersten Weltkrieg kritisierten. Später wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD), dann ihrer Abspaltung KPD-O (Kommunistische Partei-Opposition), um dann 1931 zu den Gründungsmitgliedern der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) zu zählen.3 An diesem Beispiel zeigt sich, wie zersplittert die politische Linke in der Zwischenkriegszeit war.4 Dies gilt als einer der Gründe, weshalb sich kein geschlossener Widerstand gegen die Nationalsozialisten formieren konnte.5
Heute wird Fabian vor allem als Herausgeber des zwischen 1934 und 1939 erschienenen „Internationalen Ärztlichen Bulletins“, als Vorstandsmitglied6 des bis 1933 bestehenden „Vereins sozialistischer Ärzte“ und als Herausgeber und Autor in seiner Zeitschrift „Der sozialistische Arzt“ erinnert.7
Bereits in der Weimarer Republik hatte er dabei gegen die Monarchie und für den Sozialismus geschrieben. Neben allgemeinen gesundheitspolitischen und sozialhygienischen Themen wandte sich Fabian immer wieder der Zahngesundheit zu. 1927 forderte er etwa die Einführung der unentgeltlichen zahnärztlichen Behandlung in allen öffentlichen Krankenhäusern. Er begründete dies mit der großen Bedeutung der Mundhygiene für die „Volksgesundheit“. Fabian schloss seinen Beitrag mit dem konkreten Appell, die Behandlung in „Stadtgemeinden mit sozialistischer Mehrheit“ bald umzusetzen.8
Rassismus ist für ihn „unwissenschaftlich“
Es überrascht nicht, dass Fabian 1930 „törichte Angriffe gegen Krankenkassen und Sozialversicherungen“ ablehnte, die er etwa in den Zahnärztlichen Mitteilungen gelesen habe. Gleichzeitig sind seine Positionen in anderen gesundheitspolitischen Fragen der Zeit differenzierter. Er sprach sich gegen einen „Klinikzwang“ aus, bei dem Krankenkassen zum Teil nur die Behandlung in von ihnen selbst betriebenen Zahnkliniken übernahmen. Dies stehe jedoch nicht im Gegensatz zur Forderung des Vereins sozialistischer Ärzte nach „gut geleiteten, nur das Interesse der Werktätigen vertretenden Ambulatorien“. Fabian kritisierte zudem die „Willkür in der Zulassung zur Krankenkassenbehandlung“, war also hier auch den Kassen gegenüber kritisch. In der „Zahntechnikerfrage“ - dem von der Zahnärzteschaft lange bemängelten Umstand, dass Dentisten ohne Universitätsstudium weiterhin zur Patientenbehandlung zugelassen waren - gibt Fabian Argumente des Bonner Professors Alfred Kantorowicz wieder, der „auf Grund praktischer Erfahrungen eine handwerksmäßige Ausbildung zum Studium der Zahnheilkunde oder gar zur Ausübung des zahnärztlichen Berufs für unzureichend“ hielt. Man solle sich in Zukunft an anderen Staaten wie „Sowjet-Rußland, Amerika [und] Oesterreich“ orientieren, wo auf der Basis von „wissenschaftlichen Grundsätzen und Arbeitsmethoden“ entschieden worden sei, die Zahnheilkunde nur durch universitär ausgebildete Zahnärzte durchführen zu lassen. Hier stand Fabian also ganz auf der Seite der Mehrheit der Zahnärzte in Deutschland.9
Bereits 1931 kritisierte Fabian Rassismus und Antisemitismus, die Säulen der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik darstellten. „Wissenschaftlichen Rassismus“ und Rassenreinheit10 bezeichnete er als Fanatismus und nicht am Stand von Anthropologie und Wissenschaft orientiert. Antisemitismus erklärte er als falsche Reaktion auf „alle Schäden des kapitalistischen Systems, für jede Krise auch im ärztlichen Beruf“.11
Redakteur im Kampf gegen den Faschismus
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Fabian 1933 die Kassenzulassung entzogen. Sein Name findet sich nicht im jüdischen Adressbuch für Groß-Berlin und in einer „Ausschlussliste“ wird er nicht als jüdischer, sondern als „staatsfeindlicher“ Zahnarzt geführt.12 Alle acht hier verzeichneten Zahnärzte, die als politisch missliebig verfolgt wurden, ohne gleichzeitig von den Nationalsozialisten als „nicht arisch“ klassifiziert worden zu sein, waren jüdischer Abstammung. Michael Köhn berichtet, dass Fabian noch im Juli 1933 Beschwerde gegen den Entzug der Kassenzulassung einlegte, die jedoch abgelehnt wurde. Nachdem er als Sozialist in Berlin-Plötzensee inhaftiert wurde und seine Schwester ihn „freikaufen“ konnte, floh Fabian noch im gleichen Jahr nach Prag, wo er illegal in der Praxis des Prager Kollegen und Vorsitzenden der Prager Gruppe sozialdemokratischer Ärzte Karl Tamele arbeitete. Gleichzeitig baute er in Prag das „Internationale Ärztliche Bulletin“ auf.13
Täter und Verfolgte
Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ läuft das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 8/2020 folgen Helmut Kunz und Josef Elkan, in der zm 9/2020 Walter Sonntag und Jenny Cohen.
Als Redakteur und Autor in dieser Zeitschrift firmierte Fabian unter dem Pseudonym E. Silva, das er bereits seit 1927 gelegentlich verwendet hatte.14 Das Internationale Ärztliche Bulletin beschäftigte sich vor allem mit gesundheitspolitischen und sozialmedizinischen Themen sowie mit dem Kampf gegen den Faschismus. Medizinhistoriker schätzen ein, dass die Autoren vor Kriegsbeginn noch damit rechneten, dass die Zeit der Nazi-Diktatur in Deutschland (bald) vorbeigehen würde und dass naturwissenschaftlich orientierte Ärzte (und Zahnärzte) sich gegen „Scharlatanerie und Obskurantismus“ der Neuen Deutschen Heilkunde wenden würden. Anderen zeitgenössischen Themen wie der Eugenik standen die Autoren des Bulletins differenziert gegenüber. So kritisierten sie einerseits den Zwangscharakter der rassenhygienischen Gesetzgebung in Deutschland, waren aber andererseits für starke staatliche Interventionen im Gesundheitsbereich offen, die auch Eugenik einschließen konnten. Florian Tennstedt, Christian Pross und Stephan Leibfried bezeichnen die Autoren des Bulletin als „im biologistischen Zeitgeist befangen“, ihre Artikel spiegelten „die damalige internationale Akzeptanz der Eugenik wieder, und entsprechen nicht durchweg der Meinung der Herausgeber“.15
In seinen Beiträgen beschrieb Fabian knapp, pointiert und mit einer Klarheit, die den heutigen Leser schaudern lassen muss, die nationalsozialistische Gesundheitspolitik und deren Umsetzung in den 1930er-Jahren. Hier seien nur einige Beispiele angeführt: In einem Beitrag aus dem Jahr 1935 klagte Fabian sowohl die Verdrängung von „nichtarischen und politisch nicht zuverlässigen Elementen“ aus dem deutschen Gesundheitswesen und dessen „Gleichschaltung“ an. Er erkannte die Medizin im Nationalsozialismus als auf Zwang anstatt auf freier Wahl beruhend und bemerkte nicht ohne Sarkasmus den Kontrast zwischen der Einführung eines Tierschutzgesetzes und dem Umstand, dass „Zehntausende aufrechter Männer und Frauen edelster Gesinnung seit zwei Jahren in den Konzentrationslagern sadistisch [gequält]“ würden.16
An anderen Stellen griff Fabian die „Neue Deutsche Heilkunde“ entschieden als unwissenschaftlich an.17 Als nach dem Anschluss Österreichs die rassistischen und anderen gesundheitspolitischen Gesetze mit einem Schlag dort wirksam wurden, beschrieb Fabian anschaulich deren Effekt.18
Im Exil in New York Als Kassenbote und Packer
Im Jahr 1938 musste Fabian Prag verlassen. Er ging nach Paris, wo er wieder illegal in der Praxis eines Kollegen arbeiten konnte. Nach Kriegsbeginn wurde er 1939 dort interniert19 ,konnte aber im November nach New York auswandern. Dort erhielt er - wie die meisten anderen seiner in die USA emigrierten Kollegen - keine Arbeitserlaubnis als Zahnarzt und arbeitete als Kassenbote und Packer für einen Verlag.20 Ewald Fabian starb 1944 in New York.
Hervorzuheben ist Fabians Rolle als aktiver Gegner des Nationalsozialismus. Durch seine Arbeit als Redakteur und Autor für das Internationale Ärztliche Bulletin ermöglichte er Ärzten, Zahnärzten und anderen Angehörigen der Gesundheitsberufe in Deutschland und darüber hinaus bis 1939 eine kritische Perspektive auf die Medizin im Nationalsozialismus. Dafür nahm er persönlich große Risiken in Kauf. Wolfgang Kirchhoff und Caris-Petra Heidel bezeichnen Fabian deshalb als einzigen Zahnarzt, der aus primär gesundheitspolitischen Motiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet hat.21
Dr. Matthis Krischel
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
Fußnoten
1 Krischel et al., 2017, 477-480;
2 Loewenstein und Tennstedt, 1980;
3 Kirchhoff, 1987, 137
4 Kaak, 1971;
5 Peukert, 1987;
6 o. A. (1925) Vereinsmitteilungen. Mitteilungsblatt des Vereins sozialistischer Aerzte 1 (1), 5;
7 o. A. (1926) Der Sozialistische Arzt 2 (1), 1;
8 Fabian, 1927, 40-41;
9 Fabian, 1930, 79-80;
10 Kressing und Krischel, 2016, 19-41;
11 Fabian, 1931, 22;
12 Verzeichnis der nichtarischen und staatsfeindlichen Ärzte, Zahnärzte und Dentisten, Signatur 55/82/2600
13 Köhn, 1994, 113-114;
14 Tennstedt et al., 1989, XV;
15 Tennstedt et al., 1989, XVIII-XIX;
16 Fabian, 1935, 1-3;
17 Ewald, 1937, 25-27;
18 Ewald, 1938, 44-47;
19 Guggenbichler, 1988;
20 Köhn, 1994, 114;
21 Kirchhoff und Heidel, 2016
Literaturliste
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