Kommunikation mit dementen Patienten

Ein kleiner Plausch wirkt Wunder

Fünf verschiedene Tabletten nimmt er jeden Tag, deren Namen hat er vergessen, eine ist jedenfalls gegen den hohen Blutdruck. Ja, ein Patient mit Demenz kann Sie an die Grenzen bringen. Wenn Sie aber vorbereitet in die Behandlung gehen, verläuft der Besuch zumeist für alle Seiten entspannter. Der Schlüssel liegt (wie so häufig) in der richtigen, zugewandten Kommunikation.

Der Besuch beim Zahnarzt ist bei den meisten älteren Patienten fest in ihrem Gedächtnis eingeschrieben. Seit der Kindheit gehört dieser Gang zum Leben irgendwie dazu und wird daher auch im hohen Alter noch relativ gut erinnert und akzeptiert – selbst wenn anderes schon zu verblassen beginnt. Da hat der Zahnarzt gegenüber seinen Arztkollegen einen Vorteil. Nachteilig kann natürlich sein, dass sich der Besuch als negatives Erlebnis eingebrannt hat, etwa aufgrund von Schmerzen. Dann erhöht diese Assoziation zusätzlich zur nachlassenden geistigen Fähigkeit die Herausforderung.

Eine ruhige Kommunikation schafft Vertrauen und beruhigt die oft verwirrten Patienten.

Diplom-Pädagogin Melanie Feige, Pflegeexpertin für Menschen mit Demenz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Der Umgang mit Patienten mit Demenz erfordere besonderes Feingefühl und eine entsprechende Kommunikationsstrategie, bescheinigt Dr. Elmar Ludwig, Landesbeauftragter von der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ): „Nicht nur die zahnmedizinische Behandlung selbst kann komplizierter sein, auch die Verständigung wird schwieriger.“

So können Menschen mit beginnender bis mittelgradiger Demenz Informationen noch relativ gut aufnehmen, allerdings dauert das kognitive Verarbeiten, das Verstehen, länger. Daher gilt es, das „normale“ Tempo zu verlangsamen und möglichst eindeutig zu sprechen. Im Behandlungsgespräch hilft es den Patienten außerdem, wenn jeder gesprochene Satz nur eine Information enthält. „Kleine Aufgaben können als genaue Anweisungen besser verstanden und umgesetzt werden“, erklärt DGAZ-Präsidentin Prof. Dr. Ina Nitschke. Statt zu sagen „Wir machen jetzt eine kurze Pause“ solle man besser eine klare Bitte mit der Aufforderung zum Ausspülen formulieren, gibt Nitschke als Beispiel.

Wichtig sei, dass die PatientInnen das gesamte Gesicht der Zahnärztin oder des Zahnarztes während des Behandlungsgesprächs sehen können, denn dann sind sie nachweislich weniger ängstlich und unsicher. Daher sollten die Haube, der Mundschutz und auch die eventuell getragene Lupenbrille abgenommen werden. Und Nitschke betont, dass „auf ein besonders freundliches, fast schon übertriebenes Lächeln häufig sehr gut reagiert wird“. Denn stark positive Emotionen in der Kommunikation seien tief im Gedächtnis verankert und können so angesprochen werden. Außerdem sei wichtig, den Blickkontakt während des Gesprächs zu halten.

Strategie Nummer Eins: mehr Zeit einplanen!

„Das Plaudern ist eine der wichtigsten Kommunikationsstrategien im Umgang mit dementen Patienten“, erläutert die Diplom-Pädagogin Melanie Feige. Sie ist Pflegeexpertin für Menschen mit Demenz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Ihre Erfahrung hat gezeigt, dass das lockere und freundliche Einbetten der Behandlung in einen kleinen Alltagsplausch der Entspannung der PatientInnen zugute kommt. Demente Menschen nähmen Stimmungen und so auch Stress in der Praxis sehr intensiv wahr, könnten ihn aber, anders als nicht erkrankte Menschen, häufig nicht direkt zuordnen und verstehen. Das wiederum löse Unbehagen aus und verstärke die Zerstreutheit bis hin zur Blockade.

Grundsätzlich hilft es den Patienten, wenn der Zahnarzt und sein Team eine möglichst entspannte Behandlungsatmosphäre schaffen. Für den Termin sollte man also mehr Zeit veranschlagen, um Stress durch Zeitdruck zu vermeiden. „Stimmungen und Affekte übertragen sich schnell auf demente Patienten“, gibt Feige zu bedenken. Bei einer vegetativen Entspannung seitens des Patienten, also einem Pulsschlag von 65 bis 85, sei die Behandlung für beide Seiten besser praktikabel.

Schließlich werde durch die Ansprache mit dem vollständigen Namen und die Wiederaufnahme von persönlichen Bezügen im Gespräch – die Erwähnung des Partners, eines Kindes oder auch eines besonderen Kleidungsstücks – die Identitätswahrnehmung und somit die eigene Erinnerung gestärkt. „All das trägt auch zum Vertrauensaufbau zwischen dem Zahnarzt und dem dementen Patienten bei. Und Vertrauen ist im Umgang mit Demenz von größter Bedeutung für eine erfolgreiche Behandlung“, sagt Feige. „Je weiter fortgeschritten die Erkrankung ist, umso mehr brauchen die Menschen eine Bezugsperson, die sie betreut und begleitet.“

Das Krankheitsbild

  • Wer an Demenz erkrankt, büßt nach und nach seine kognitiven Fähigkeiten ein bis hin zu deren komplettem Verlust. Das Wort Demenz leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet „ohne Geist“.

  • Die Erkrankung ist ein hirnorganisches Psychosyndrom und wird in verschiedene Stadien unterteilt. Während zunächst das Kurzzeitgedächnis und die Merkfähigkeit beeinträchtigt sind, geht dieser Prozess mit der Zeit auf das Langzeitgedächnis über und löscht neben Erinnerungen auch die im Leben erworbenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse. Ebenfalls lassen Sprache, Orientierung und Auffassungsgabe mit fortschreitendem Stadium immer mehr nach. Die Demenzerkrankung verändert so das Handeln und Verhalten des Betroffenen, auch auf sozialer und emotionaler Ebene.

  • Die Demenz tritt in primärer und in sekundärer Form auf, wobei 90 Prozent der Erkrankten an der primären, irreversiblen Form leiden. Diese ist in zwei Dritteln der Fälle und somit am häufigsten auf die Alzheimer-Erkrankung zurückzuführen. Das andere Drittel leidet an einer gefäßbedingten Demenz oder einer Mischform aus beiden Erkrankungen. Bei der sekundären Form sind Faktoren wie Stoffwechselkrankheiten, chronische Vergiftungen durch Medikamente oder Alkohol sowie Vitaminmangel einflussreich; diese können über die Zeit behandelt und so die Symptome verbessert werden. Die primäre Form hingegen ist unheilbar. Hier können lediglich die Verbesserung der Lebensqualität und eine Linderung der Symptome erzielt werden.

Wann immer dem Patienten mit Demenz eine Begleitperson zur Seite stehen kann, gewinnt er an Sicherheit, was zur Folge hat, dass auch der Informationsaustausch mit dem Zahnarzt besser läuft. Daher empfiehlt Feige der Praxis, der Begleitperson schon bei der Terminvergabe insoweit entgegenzukommen, dass sie den Arztbesuch möglichst einfach in ihren Alltag einplanen kann. Erfahrungsgemäß ist die Begleitperson nämlich häufig das eigene Kind, das selbst arbeiten geht und gegebenenfalls noch anderen Verpflichtungen nachkommen muss. Ein Termin in den Abendstunden sei daher in der Regel besser zu organisieren, sagt Feige zum Thema Vereinbarkeit.

Gibt es im Praxisteam eine Person, die besonders empathisch ist und im Umgang mit älteren und demenziellen Patienten sicher? Dann ist es ratsam, diese für die dauerhafte Betreuung einzusetzen. Sie sollte sogar der Sprecher während der Behandlung sein, um dem Patienten Sicherheit und Wiedererkennung zu ermöglichen, rät Nitschke. Im Idealfall werde der Patient mit Demenz stets im selben Zimmer behandelt und habe keine Wartezeit.

Kommunikation mit Dementen

  • Mehr Zeit für Anamnese und Behandlung einplanen

  • Medikamentenabfrage schriftlich nach Hause schicken

  • Gesicht zeigen – Mundschutz, Haube und Lupenbrille beim Gespräch abnehmen

  • Anbahnung – langsam über Hand und Arm Kontakt aufbauen

  • Langsam und deutlich sprechen

  • Informationen Satz für Satz aufzählen

  • Zeit fürs Verstehen einräumen

  • Entspannte Atmosphäre schaffen und „plauschen“

  • Ansprache mit Vor- und Zunamen, persönliche Merkmale als Erinnerungsanker ansprechen

  • Hände des Patienten während der Behandlung beschäftigen

  • Im Worst Case keinen Druck aufbauen, sondern einen neuen Termin vereinbaren

Ludwig empfiehlt zudem die sogenannte Anbahnung. Das heißt, über einen kleinen Plausch und mit ersten sanften Berührungen an der Hand und am Arm wird die Behandlung eingeleitet, anstatt direkt und ohne Umschweife im Mund zu beginnen. So könne Stress beim Patienten vermieden werden und die Behandlung werde etwas mehr zur „Nebensache“. Die Taktik der Anbahnung ist allgemein im Umgang im älteren Menschen eine erfolgreiche Strategie.

Sie haben zehn Minuten – für das Wesentliche

Bei Demenz, die sich in verschiedenen Stufen entwickelt, nehmen die kognitiven Fähigkeiten zunehmend ab. Ab einer mittelgradigen Demenz beträgt die Aufmerksamkeitsspanne rund zehn Minuten. In dieser Zeit sollte das Wesentliche zur Behandlung erklärt werden. „Dabei muss nicht lauter, sondern vielmehr eindeutiger gesprochen werden“, betont Expertin Feige. Für das bessere Verständnis empfiehlt sie den Einsatz von Piktogrammen oder Bildern in der Behandlungskommunikation, so dass das Gesagte mit eindeutigen Abbildungen verknüpft wird und dadurch kognitiv besser erfasst werden kann. Außerdem unterstütze das Vormachen von Handlungsabläufen das Verständnis. Zum Beispiel könne man zeigen, dass der Mund geöffnet oder ausgespült werden soll.

Für eine erfolgreiche Ablenkung dient Feige zufolge auch die Beschäftigung der Hände des Patienten – besonders, wenn er rücklings und weit nach unten gefahren auf dem Behandlungsstuhl liegt. Die Aufforderung, als helfende Hand etwas zu halten, lenke ab und binde gleichzeitig aktiv ein. Apropos: Bei dieser Lagerung heißt es fürs ganze Behandlungsteam ‚Aspiration vermeiden‘, erinnert Ludwig.

Bei Patienten mit Demenz ist das Risiko viel höher, dass bei der Nennung der eingenommenen Medikamente die Liste unvollständig ist und etwas vergessen wird. Um Kreuzwirkungen, Gerinnungs- und Wundheilungsstörungen zu vermeiden, kann die Praxis ein Formular zum Ausfüllen nach Hause schicken, das dort vom Patienten in Ruhe und gegebenenfalls mit Betreuungshilfe ausgefüllt wird. Selbstverständlich kann der Patient auch seine Medikamente mitbringen – wenn er daran denkt.

Entschärfen können die Situation nur Sie

Darüber hinaus hat der Zahnarzt die Möglichkeit mittels offener Fragen herauszufinden, ob und welche Mittel eingenommen werden. „Das kann beispielsweise so erfragt werden: ‚Frau Müller, welches Mittel nehmen Sie gegen Ihren hohen Blutdruck?‘ – ‚Ich nehme keins.‘ – ‚Ach so, alles klar.‘ Oder auch : ‚Was nehmen Sie zum Einschlafen?‘ – ‚Das aus der Apotheke, nicht das vom Arzt.‘“, führt Feige aus und veranschaulicht zugleich, wie man auch rezeptfreie Medikamente bei der Abfrage einbezieht.

Neben Verunsicherung, Angst und der Zerstreutheit, können demente Patienten in manchen Situationen auch aggressiv reagieren. Experte Ludwig empfiehlt dann die Techniken der Validation, sprich auf den Patienten mit einer wertschätzenden Haltung einzugehen anstatt ihn zu konfrontieren oder zu belehren. „Der Zahnarzt kann durchaus das Verhalten des Patienten spiegeln und auf seine Gefühle eingehen. Damit signalisiert er die Wahrnehmung der Befindlichkeit und bringt Respekt entgegen, was deeskalierend wirkt“, verdeutlicht Ludwig. „Außerdem kann er ihm auch ganz bewusst beipflichten, etwa mit ‚Ja, da kann man wirklich verrückt werden, das verstehe ich.‘ oder ‚Ärgerlich ist das, ja. Und deshalb unternehmen wir jetzt etwas!‘. In brenzligen Momenten kann auch einfache Ablenkung zur Hilfe kommen.“

Diese Patientengruppe wird in Zukunft immer größer. Darauf müssen die Zahnärzte vorbereitet sein.

Dr. Elmar Ludwig, Landesbeauftragter von der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ)

Wenn der Patient einen „wirklich schlechten Tag“ hat und sich gegen die Behandlung sträubt, macht es tatsächlich Sinn, einen neuen Termin zu vereinbaren, räumt Ludwig ein. Auch das gehöre zur Deeskalation bei demenziell Erkrankten. Dann könne auch noch einmal reflektiert werden, was man anders machen kann – vielleicht eine andere Tageszeit auswählen und dadurch die Bereitschaft des Patienten erhöhen.

Manchmal helfe es aber bereits, eine Minute Pause einzulegen und aus der Situation herauszutreten, weiß Ludwig. „Wenn ich nicht verärgert, sondern verständnisvoll reagiere, und einen Moment lang so tue, als würden wir heute keine Behandlung durchführen, reagieren Demente zum Teil wie Kinder und lassen dann doch das Vorhaben zu. Grundsätzlich empfiehlt sich, nicht alle Behandlungspunkte in einem Termin unterzubringen. Oder man startet mit einem Schritt und guckt dann, wie weit es heute geht“, so Ludwig. Lob und Geduld wirken zudem ermunternd.

Lächelnd geben Sie einfach einen neuen Termin

Nitschke bestätigt, dass Belehrungen keinen Erfolg bringen, sondern Verständnis und Empathie die weiteren Schlüssel zum Erfolg sind. „Je stärker die Demenz beim Patienten, desto mehr muss sich der Zahnarzt zurücknehmen!“ Vor allem dürfe die eigene Erwartungshaltung nicht zu hoch sein. „Es kann auch mal nichts klappen“, macht Ludwig klar. „Auch wenn hier das Frustpotenzial groß ist, muss man sich darauf einstellen. Dann gilt es, den Fahrplan zu ändern und Alternativen zu finden. Deshalb noch einmal: Im Vorfeld mehr eingeplante Zeit wirkt für alle entstressend.“

Um die Praxis für ältere Patienten mit besonderen Anforderungen barrierearm zu halten, ist es wichtig, dass das gesamte Team geschult wird. Die DGAZ bietet jährlich Curricula an.

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