Editorial

Die Halbwertszeit von Wissen ...

Die Corona-Krise zeitigt ja so einige Nebenwirkungen, bei denen man sich fragt, ob diese wirklich alle dem Virus zugeschrieben werden dürfen. Zugegeben, die Zeit für Erkenntnisgewinnung ist extrem kurz. Erst Ende Dezember vergangenen Jahres konnte das krankmachende Agens isoliert werden, seit Anfang März hat es einen endgültigen Namen: SARS-CoV-2, die manifeste Erkrankung lautet auf COVID 19. Das war übrigens auch die Zeit, in der insbesondere in Deutschland erste Meldungen für einen alsbaldig zur Verfügung stehenden Impfstoff von der Firma eines badischen Computermilliardärs und Fußballmäzens die Runde machten. Während man therapeutisch der Natur der Sache folgend derzeit mehr experimentiert, ist man diagnostisch bereits erheblich weiter. SARS-CoV-2 kann mittlerweile indirekt via Antikörper mittels ELISA oder direkt via Rachenabstrich mittels PCR nachgewiesen werden. Sensitivität wie auch Spezifität liegen über 98 Prozent. Für den Rachenabstrich gilt jedoch die einschränkende Aussage: unter Laborbedingungen! Denn im realen Leben ist wie immer die Präanalytik für die diagnostische Sensitivität und Spezifität entscheidend, die wiederum abhängig von der tatsächlichen Menge der Virusausscheidung sowie der Probenbeschaffenheit ist. Korrekte Rachenabstriche sind nicht ganz einfach, hier ergeben sich erhebliche Streubreiten. Betrachtet man die Bilder von den eigens für die Probenentnahme eingerichteten Drive-ins beschleichen einen jedoch Zweifel angesichts der hohen Zahl negativer Testergebnisse.

Statistiken sind deshalb in diesen Zeiten mit größter Vorsicht zu betrachten, manche Meldungen darüber erfüllen gar den Tatbestand von Fake News. Derzeit werden im öffentlichen „Diskurs“ auffallend gerne Statistiken aus Italien verwendet, dem nach der publizierten Mortalitätsrate am stärksten von SARS-CoV-2 heimgesuchten Land in Europa. Zu Beginn der zweiten Aprilwoche waren 128.948 Fälle als infiziert sowie 15.887 Todesfälle gemeldet, was gemäß der Angabe des dortigen Zivilschutzes einer Mortalitätsrate von 12,3 Prozent entspricht. Abgesehen davon, dass auch hier die Mortalitätsrate nur auf Basis der positiv getesteten Fälle und nicht der Infizierten berechnet wurde, wird auch in dieser Statistik nicht nach Todesursachen differenziert. Mithin steht die entscheidende Frage nach wie vor im Raum – ob die Patienten „an“ oder „mit“ dem Virus starben.

Und da ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung des nationalen Istituto Superiore di Sanità (ISS) bemerkenswert. Von untersuchten 710 „Corona“-Sterbefällen mit einem mittleren Sterbealter von 78 Jahren und diversen Komorbiditäten wurden nur 2,1 Prozent der Fälle als kausal der Virusinfektion und der Ausprägung von COVID-19 zugeschrieben. Die tatsächliche Mortalitätsrate wäre somit deutlich geringer.

Allerdings gilt dies nicht nur für Italien. In fast allen Ländern wird auf diese Weise statistisch erfasst, auch hierzulande. Und nur nebenbei: Fährt man die Zahl der Testungen massiv hoch, steigt auch die Anzahl der positiv getesteten. Was als absolute Zahl dramatisch erscheint, relativiert sich jedoch bezogen auf die Anzahl der Tests. Haben Sie diese Zahl jemals gesehen?

Den publizierten Statistiken ist also mit großer Vorsicht zu begegnen, wie einmal mehr die neuesten Zahlen aus China zeigen, die jedem Epidemiologielehrbuch Hohn sprechen. Aber immerhin ist die Botschaft klar: Die Behörden haben alles im Griff. Und so kommt es, dass die derzeit aus China gemeldeten Infektionszahlen im Verhältnis unter denen von Luxemburg liegen.

Es geht hier weder um Entwarnung noch um das derzeit bei den Politikern so beliebte „Malen nach Zahlen“, mithilfe fragwürdiger Statistiken öffentlichkeitswirksam die jeweils passenden (notwendigen?) Szenarien zu kreieren, um massive Veränderungen herbeiführen, wie zum Beispiel die Einführung eines „Versorgungsarztes“ in Bayern. Dieser untersteht dem jeweiligen Landrat oder Oberbürgermeister. Wo ist da der Sinn, wenn dies an allen etablierten Versorgungsstrukturen vorbei geschieht? Der Staat als Bessermacher? Und das angesichts mehr freier Intensivbetten als unbenutzter MNS-Masken für die ambulante Versorgung – der überzogene Vergleich nur, um die Absurdität mancher Maßnahmen zu verdeutlichen. Vielmehr sollten wir u. a. über die Ergebnisse von Prof. Dr. Zhuan Bian, Dekan der Zahnklinik der Universität Wuhan, nachdenken, die er im „Journal of Dental Research“ berichtete. Denn obwohl sich die Klinik im Zentrum des Infektionsgeschehens befand und ohne Kenntnis über das Virus, führte er die trotz maximaler Auslastung äußerst geringe Infektionsrate unter den Mitarbeitern auf die konsequenten Schutz- und Hygienemaßnahmen in der Zahnklinik zurück – alles Maßnahmen, die im Übrigen auch in der hiesigen Zahnmedizin gelebter Standard sind. Nur derzeit eben Mangelware – was eigentlich alles sagt ...

Dr. med. Uwe Axel Richter

Chefredakteur

Dr. Uwe Axel Richter

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