Ergonomie in der Praxis

Bitte Haltung zeigen!

Jerome Rotgans
Wer sich ständig krumm macht für seine Patienten, sollte auf seinen Rücken achten. Stress, Zeitdruck und falsche Bewegungsabläufe können eine schlechte Haltung noch begünstigen. Wichtig ist, sich Fehlhaltungen und ungesunde Bewegungsabläufe bewusst zu machen.

Eine ergonomisch eingerichtete Praxis folgt dem Grundkonzept, dass der Aufbau wie auch die Instrumente und Utensilien auf die Arbeitsabläufe und die Personen abgestimmt sind. Dafür sollten die Behandlungseinheiten und die Arbeitsstühle von Zahnarzt und Assistenz so positioniert sein, dass nach einer unnatürlichen Position während einer Behandlung automatisch, also intuitiv, wieder eine gesunde Haltung eingenommen wird. „Am besten lernt man diese Haltung schon während der Ausbildung, um sie später als feste Gewohnheit mit in die Praxis zu übernehmen“, sagt Prof. Dr. Jerome Rotgans, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Ergonomie in der Zahnheilkunde“ (AGEZ).

Der Schlüssel liegt Rotgans zufolge im Workflow. Ist der Arbeitsablauf bestmöglich an die eigene, gesunde Haltung angepasst, hat man die Ergonomie großenteils mitberücksichtigt. Das heißt: Man vermeidet Rotationen der Wirbelsäule, hochgezogene Schultern, vom Körper abgespreizte Ellbogen, einen geneigten und verdrehten Kopf und nicht zuletzt das gestreckte „Fußschalterbein“ für die Bedienung der dynamischen Geräte. Denn das sind Arbeitsbewegungen, die den Körper aus der Balance bringen. Wirbel und Bandscheiben können Schaden erleiden, Beschwerden wie Kopf-, Nacken-, Schulter- und Rückenschmerzen folgen.

Aus einer aktuellen Untersuchung unter Zahnärzten und Zahnmedizinstudierenden zur Prävalenz von Muskel-Skelett-Erkrankungen geht hervor, dass 65,5 Prozent der 450 Befragten zwischen 23 und 75 Jahren in den vergangenen sieben Tagen Schmerzen oder Beeinträchtigungen festgestellt haben. 95,8 Prozent leiden ihr gesamtes Berufsleben darunter [Ohlendorf et al., 2020]. 

Hauptsache der Patient liegt bequem? Falsch!

Eine ungesunde Körperhaltung fängt mit dem halb liegenden Patienten auf dem Behandlungsstuhl an: Hier ist die Ergonomie beim sitzenden Behandler deutlich eingeschränkt, der Oberkörper vorgebeugt, der Kopf verdreht. Diese unnatürliche Position führt auf Dauer zu einer Überlastung der Wirbelsäule. Die regelmäßige Kontrolle von Haltung und Sitzposition im Arbeitsalltag ist daher elementar. „Im Zentrum der Behandlung steht meist die für den Patienten angenehme Position. Der Behandler sollte aber auch in gesunder Haltung arbeiten können“, sagt Rotgans. „Erklären Sie beispielsweise mit leicht amüsantem Unterton ruhig: Um gut zu arbeiten, muss ich Ihnen jetzt den Kopf verdrehen.“  Seiner Erfahrung nach sind Patienten fast immer bereit, auch mal unbequemer zu liegen (und haben das bis zum nächsten Termin wieder vergessen), wenn es der Behandlung hilft. 

Auf Frauen im Beruf ist der Markt Rotgans zufolge immer noch nicht eingestellt: „Beispielsweise sind die Sitzflächen der Stühle in der Regel auf männliche Größen ausgerichtet. Frauen sind meist schmaler und kleiner.“ Am besten also darauf achten, dass der Arbeitsstuhl (auch der der ZFA) sowie die Patientenliege entsprechend tiefenverstellbar sind und  die Einstellung von Tray und Leuchte flexibel und einfach anzupassen ist.

Die Adaption der Praxiselemente kann anatomische Unterschiede ausgleichen und so Fehlhaltungen vorbeugen. Rotgans rät zusammenfassend, eine aufrechte Sitzhaltung als Ausgangsposition einzunehmen, in die immer wieder zurückgekehrt wird (Abbildung 1). Alle für die Behandlung benötigten Utensilien sollten in Reichweite liegen. Der Greifraum erreicht dabei maximal eine Armlänge, so wird der Arm nicht überstreckt. Der Patient sollte im Idealfall so platziert werden, dass er vom Zahnarzt ohne viele Drehbewegungen und ohne Neigen seiner Halswirbelsäule und der Schultern behandelt werden kann. Die Schultern sollte er entspannt unten halten. Mit Assistenz ist es für die Haltung besser, schräg und verzahnt gegenüber zu sitzen (Abbildung 2).

Ideal sitzt man wie auf einem Küchenstuhl

 „Eine aufrechte, leicht erhöhte und symmetrische Sitzposition wie auf einem Küchenstuhl ist ideal und eine gute Voraussetzung für eine gute Körperhaltung bei der Behandlung. Der Kopf ist nur leicht gebeugt, etwa um zehn bis 15 Grad. Die Unterarme sind leicht angehoben und die Ellenbogen befinden sich am Körper“, fasst Rotgans zusammen. 

Tipps für den Rücken

  • Immer die eigene Haltung überprüfen, um nicht in ungesunden Gewohnheiten zu verharren.

  • Zwischen Gehen, Stehen und Sitzen wechseln. Den Arbeitsplatz entsprechend ausstatten und einrichten.

  • Nach Möglichkeit in der 12-Uhr-Position arbeiten. Maximal zwischen der 9-Uhr- und der 3-Uhr-Stellung.

  • Auf den Greifraum und die individuelle Größe achten.

  • Pausen und Lockerungsübungen einlegen.

  • Bei der Planung einen Wechsel von kurzen und langen Terminen beachten, um langes Sitzen über viele Stunden zu vermeinden – auch an kürzeren Arbeitstagen.

  • Entspannungsphasen mit Spaziergängen einbauen. Regelmäßige Sporteinheiten einbauen, die das Muskelkorsett aufbauen und stärken.

  • Regelmäßig lüften, um die Sauerstoffversorgung zu verbessern. 

  • Nicht zuletzt ist der Lärmpegel eine Stressquelle und kann zu einer verkrampften Sitzhaltung führen.

Eine zentrale Rolle spielt auch die Beleuchtung. Eine gut eingestellte Lichtquelle über der Behandlungseinheit, die den Mundraum des Patienten ideal ausleuchtet, trägt neben einer allgemein guten Raumbeleuchtung zu einer besseren Arbeitshaltung bei. Der Körper muss sich dann nicht verrenken, um dem Schatten auszuweichen. Dabei sollte die Raumbeleuchtung etwa die Intensität von Tageslicht haben und der Strahl der Behandlungsleuchte parallel zum Sehstrahl ausgerichtet sein (Abbildung 3). „Der Kontrast der beiden Lichtquellen sollte nicht zu groß sein, sonst wird es für das Auge zu anstrengend“, betont Rotgans. „Mit einer passenden Lupenbrille oder Prismenlupenbrille (beispielsweise Bajohr), mit der man um die Ecke gucken kann, wird eine haltungsschonende Arbeitsweise besser möglich.“

Ein regelmäßiger Sehtest sollte alle Brillen und Sehhilfen umfassen und in jedem Fall das scharfe Sehen überprüfen. 

Pausen gehören zum Arbeitsalltag dazu

Für eine gesunde Ergonomie ist der Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen entscheidend. „Wer immer wieder seine Haltung wechselt, tut sich einen Gefallen“, so der Experte. Zum Arbeiten gehören übrigens zwingend auch Pausen. Rotgans: „Pausen sind wichtig für die Propriozeption. Angefangen bei einer Mini-Pause im Workflow, in der man kurz die Muskeln entspannt und einmal in sich ‚zusammensacken‘ kann, über eine Makro-Pause zwischen den Behandlungen mit der Zeit für einen Kaffee, bis hin zur normalen Pause, in der man den Arbeitsplatz verlässt und sich draußen bewegt.“ 

Im Laufe des Arbeitsalltags und mit Zeitdruck im Nacken nimmt man schnell wieder die alte, gewohnte und vielleicht ungesunde Haltung ein. „Es ist also wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, eine möglichst korrekte Körperhaltung im Sinne einer guten Ergonomie einzunehmen und zu halten“, verdeutlicht Rotgans. Kleine Hinweise wie ein Post-it, eine Erinnerung per Smartwatch oder eine Kalendernotiz helfen dies einzuhalten. Aber auch im Team kann man sich untereinander regelmäßig an die Haltung erinnern. Rotgans verweist in dem Zusammenhang auf die Achtsamkeit und Selbstbeobachtung während der Arbeit: „Ich muss immer auf meine Haltung und Gesundheit achten, um bestmöglichen Einsatz leisten zu können.“ 

Prof. Dr. Jerome Rotgans

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Ergonomie in der Zahnheilkunde“ (AGEZ)

in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-,Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK)

Ohlendorf D, Naser A, Haas Y, Haenel J, Fraeulin L, Holzgreve F, Erbe C, Betz W, Wanke EM, Brueggmann D, Nienhaus A, Groneberg DA: Prevalence of Musculoskeletal Disorders among Dentists and Dental Students in Germany. Int J Environ Res Public Health. 2020 Nov 24;17(23):8740. PMID: 33255491; PMCID: PMC7727829

Literatur-Tipps

  • Hilger R: Arbeitssystematik und Infektionsprävention in der Zahnmedizin – Praxisgestaltung, Teamarbeit und Hygiene. Quintessenz Verlags-GmbH. Berlin, 2007. ISBN: 978 3 876526690

  • Reitemeier B: Der zahnärztliche Arbeitsplatz sowie Ergonomische Arbeitsweisen in Zahn-Mund-Kieferheilkunde – Einführung in die Zahnmedizin. Hrsg.: Reitemeier B, Schwenzer N, Ehrenfeld M. Georg Thieme Verlag. Stuttgart, 2006. ISBN: 978 3131391919

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Prof. Dr. Drs. Drs. Jerome Rotgans

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Ergonomie in der Zahnheilkunde“ (AGEZ) in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK)

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