Neun Tage und ausschließlich online
Trotz der Pandemie es geschafft zu haben, einen weltweiten zahnärztlichen Kongress auf die Beine zu stellen, und zwar global aufgestellt und mit Zeitverschiebung – das war die eigentliche Herausforderung der Initiatoren in diesem Jahr. Galt es doch, 189 Mitgliedsorganisationen aus 133 Ländern unter einen Hut zu bekommen. Und es war doppelt wichtig, dass der Kongress stattfinden konnte – über neun Tage hinweg und ausschließlich online –, denn er musste im vergangenen Jahr coronabedingt ausfallen. Umso mehr Klärungsbedarf gab es, und umso mehr Themen standen auf der Agenda.
Prof. Yhsane Ben Yahya, Marokko, startete ihre zweijährige Amtszeit als Präsidentin der FDI und übernahm die Amtskette von ihrem Vorgänger Dr. Gerhard Seeberger, Italien. Der US-Amerikaner Dr. Greg Chadwick ist neuer President-Elect. Neuer Schatzmeister ist Assist. Prof. Nikolai Sharkov aus Bulgarien. Als Sprecherin wurde Dr. Susie Sanderson aus dem Vereinigten Königreich wiedergewählt.
Der FDI-Rat ist sehr viel weiblicher geworden und bei den Wahlen kristallisierte sich eine starke Vertretung von Mitgliedern der europäischen Regionalorganisation ERO heraus. So wurden Dr. Anna Lella aus Polen, Assist. Prof. Duygu Ilhan aus der Türkei und Dr. Sophie Dartevelle aus Frankreich neu in das Gremium gewählt, Prof. Paulo Melo wurde für eine zweite Amtszeit bestätigt. Von zehn Ratsmitgliedern sind nun sieben Frauen.
Für den Rat hatte auch Dr. Michael Sereny, langjähriger ehemaliger Kammerpräsident aus Niedersachsen und Mitglied im Vorstand der Bundeszahnärztekammer, kandidiert. Sereny engagiert sich schon lange für die deutsche Delegation in der FDI. Er hat dort eine hohe fachliche Reputation erworben. Unter anderem hat er die „Vision 2030“ mit entwickelt – die FDI-Strategie, um Mundgesundheit weltweit als Teil der Allgemeingesundheit in nationalen Gesundheitssystemen zu verankern. Bei den Delegiertenvoten unterlag er jeweils nur ganz knapp. „Bei der Menge an qualifizierten Kandidierenden ist es schon ein Erfolg, den Einzug in den Rat nur sehr knapp verpasst zu haben“, kommentiert Sereny gegenüber den zm dazu. „Die Qualität im Rat wurde, auch durch einen starken President-Elect, erhöht und damit die Arbeit der FDI gestärkt, zu der ich auch weiterhin gerne meinen Beitrag leisten werde.“
Policy Statements
Einen Schwerpunkt der Versammlung nahm die Verabschiedung von politischen FDI-Stellungnahmen (die sogenannten Policy Statements) ein. Diese datierten sowohl aus 2020 wie aus 2021 und konnten jetzt aktuell verabschiedet werden. Die Stellungnahmen zum verbesserten Zugang zur Mundgesundheitsversorgung (2020) und zur Rolle der Zahnärzteschaft in der Tabakentwöhnung spiegeln das Engagement der FDI in der globalen Gesundheitspolitik und die Anknüpfung an Positionen der Weltgesundheitsorganisation wider. Die Zahnärzteschaft will damit eine proaktive Rolle in der Krankheitsprävention einnehmen.
Die neue Stellungnahme zur Rolle der Zahnärzteschaft beim Ausbruch infektiöser Krankheiten und die Überarbeitung der erst 2019 verabschiedeten Stellungnahmen zur Infektionsprävention und -kontrolle in der zahnmedizinischen Praxis greift die starken Veränderungen auf, die durch die Coronapandemie ausgelöst wurden. Beide Policy Statements betonen das ohnehin schon sehr hohe Level der Infektionsprävention in der Zahnarztpraxis. Sie formulieren allgemeine Richtlinien zur Umsetzung eines hohen Infektionsschutzes im Praxisalltag, nicht nur in Zeiten einer Pandemie.
2021 wurden zudem zwei Stellungnahmen zu Zahnfüllungen aus Amalgam angenommen. Zum einen werden die sichere Verwendung und die schrittweise Reduzierung von Dentalamalgam dargelegt, zum anderen wird der sichere Umgang mit Amalgamabfällen beschrieben. Beide Stellungnahmen bereiten das neueste Wissen in diesem Bereich auf, um für aktuelle Diskussionen auf europäischer und internationaler Ebene zu weiteren Einschränkung der Nutzung von Dentalamalgam gerüstet zu sein.
Ein Projekt, das im FDI intensiv vorangetrieben wird, ist die Nachhaltigkeit in der Zahnheilkunde „(Sustainability in Dentistry“). Hier fließen bereits zahlreiche Projekte und Stellungnahmen rund um eine ethische, soziale und ökologische Verantwortung der Zahnärzteschaft für die Welt der Zukunft ein.
Veränderungen in den Ausschüssen
Für die deutsche Delegation gab es auch Veränderungen in der Besetzung von FDI-Ausschüssen (Committees). Dr. Jürgen Fedderwitz, der ehemalige Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), der sich seit vielen Jahren in der FDI engagiert, schied turnusmäßig als Vorsitzender des Education Committee aus. Ebenso Prof. Dr. Reinhard Hickel, München, der Mitglied des Science Committee war. Positiv für die deutsche Delegation: Prof. Dr. Falk Schwendicke, Charité Berlin, tritt die Nachfolge Hickels an. Mit ihm zieht ein internationaler Experte auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) in das Gremium ein.
Der FDI-Council beruft zudem auch Mitglieder in Arbeitsgruppen und Task Teams. Dr. Michael Frank, hessischer Kammerpräsident, Präsident der ERO und Leiter der deutschen Delegation zur FDI, ist jetzt Teil des Governance Task Teams der FDI. Sein Mandat läuft bis zur nächsten Generalversammlung der FDI im September 2022. Das international besetzte Team hat die Aufgabe, die Satzung der FDI zu überarbeiten und zu modernisieren. So sollen unter anderem Hybrid-Formate stärker in der Satzung festgeschrieben und Wahlvorgänge vereinfacht werden. Ob Fedderwitz in die Arbeitsgruppe „Künstliche Intelligenz in der Zahnmedizin“ berufen wird, steht derzeit noch aus.
Auch in weiteren Bereichen sind deutsche zahnärztliche Repräsentanten im FDI aktiv. So ist Flottenarzt Dr. Helfried Bieber, Leitender Zahnarzt der Bundeswehr, noch bis September 2022 Vorsitzender der Section of Defense Forces Dental Services. Über 100 Militärzahnärztinnen und -zahnärzte weltweit konnten an der Online-Mitgliederversammlung teilnehmen. Auf der Agenda standen Themen wie die Einsatzbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten aus militärzahnärztlicher Sicht und ein Erfahrungsaustausch zu zahnärztlichen Behandlungseinheiten während der COVID-19-Pandemie.
Dr. Juliane von Hoyningen-Huene, Mitglied des Vorstands der Zahnärztekammer Berlin, führte als Vorsitzende der FDI-Sektion Women Dentists Worldwide (WDW) eine digitale Paneldiskussion zum Thema „Zahnärztinnen: Ungenutzte Führungspotenziale in der Mundgesundheit“ durch. Kernthema waren die ersten Ergebnisse einer weltweit durchgeführten Umfrage der WDW zur beruflichen und standespolitischen Situation von Zahnärztinnen. Erstes Zwischenfazit der Studie: Zahnärztinnen, obwohl oft die Mehrheit im Beruf, sind weder in der fachärztlichen Ausbildung noch in den berufspolitischen Gremien entsprechend vertreten.
In diesem Jahr fand auch der Wissenschaftskongress ausschließlich digital statt, und zwar vom 26. bis zum 29. September. Er wurde von der FDI zusammen mit der Australian Dental Association in Sydney ausgerichtet.
Alle FDI- Stellungnahmen können unter diesem Link in verschiedenen Sprachen abgerufen werden:https://www.fdiworlddental.org/policy-statements
Einschätzung von ERO-Präsident Dr. Michael Frank
„Online funktioniert – kann Präsenz aber nicht ersetzen“
„Im Verlauf der Corona-Pandemie hat sich deutlich gezeigt: Viele Zusammenkünfte und Veranstaltungen können im virtuellen Raum stattfinden – und erfüllen doch ihren Zweck. Dies trifft auch auf den wissenschaflichen Teil des World Dental Congress zu, der nach der Absage im vergangenen Jahr, nunmehr als Special Edition vom 26. bis zum 29. September online durchgeführt wurde. Für den Online-Kongress wurde eine eigene Plattform erstellt und ungeachtet der Zeitverschiebung hat die Durchführung für alle Teilnehmenden sehr gut funktioniert. Auch die FDI-Vollversammlung im selben Rahmen konnte einschließlich der Wahlen und anderer wichtiger Entscheidungen stattfinden.
Meine Bilanz als ERO-Präsident fällt sehr zufriedenstellend aus. Viele Kandidierende aus Mitgliedstaaten beziehungsweise -organisationen der ERO wurden in den FDI-Rat und in andere wichtige Gremien und Ausschüsse gewählt – darunter, was mich persönlich sehr freut, viele zahnärztliche Kolleginnen. Als Leiter der deutschen Delegation fällt die Bilanz nicht ganz so gut aus, da nicht alle deutschen Kandidaturen von Erfolg gekrönt waren.
Insgesamt war die Special Edition eine gelungene Alternative zum Präsenz-Kongress, die aber dennoch die Ausnahme bleiben sollte. Trotz aller sinnvollen Schonung wichtiger Ressourcen, nicht zuletzt von Klima und Umwelt, bleiben viele Diskussionen und die Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen oder aufzufrischen – gerade in den Pausen zwischen den Programmpunkten – leider auf der Strecke.“