Nach der Flutkatastrophe

Aufräumen, improvisieren, versorgen

Mitte August in Bad Neuenahr-Ahrweiler: Einen Monat nach der Flutkatastrophe gleicht Dr. Klaus Styzinskis Praxis einem Rohbau. Der Estrich ist herausgerissen, die defekten Saug- und Druckluftleitungen sind sichtbar, die Wände blank. Patienten finden an der ramponierten Eingangstür den mit Klebeband fixierten Hinweis, dass der Zahnarzt in der Praxis eines Kollegen weiterbehandelt. Vorerst nur ein paar Stunden am Tag. Und unentgeltlich.

In den nächsten Tagen könnte der neue Praxisrechner kommen, hofft Styzinski. Dann fehlt nur noch die Ersatz-SMC-B-Karte der Bundesdruckerei, um in den Räumen seines Kollegen Dr. Klaus-Dieter Hehner abrechenbare Leistungen erbringen zu können. „Im Moment ist das gar nicht möglich“, erklärt Styzinski, der mit seinem Team darum „pro bono“ anbehandelte und Schmerzpatienten versorgt. Wie anderen Kolleginnen und Kollegen auch, die im Moment noch nicht richtig arbeiten können, geht es ihm erst einmal nur darum, „die Versorgung sicherzustellen“.

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Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte
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Die BZÄK ist Schirmherrin der Stiftung HDZ.

Für seine Angestellten hat er Kurzarbeit beantragt und lässt sie im Wechsel arbeiten. „Die haben dann tageweise frei“, sagt er – was gut vier Wochen nach der Flutkatastrophe ein enormer Wert für viele Beschäftigte sei. „Jeder für sich hat daheim viel zu tun.“

Nicht viele lassen sich jetzt eine Krone machen

Nach Styzinskis bisherigem Eindruck sind etwa 90 Prozent seiner Patienten und Patientinnen direkt oder indirekt von der Flutkatastrophe betroffen. „Viele von denen haben im Moment etwas ganz anderes zu tun, als zum Zahnarzt zu gehen oder sich eine Krone machen zu lassen“, sagt er. Manche wüssten auch gar nicht, dass er bereits wieder behandelt – trotz verschiedener Zeitungsanzeigen und dem Hinweisschild an seiner alten Praxistür.

Wer trotzdem Styzinskis Nummer wählt, landet nach einer Rufumleitung auf einem Praxis-Handy und bekommt anschließend einen Termin in Hehners etwa 500 Meter weiter von der Ahr entfernt gelegenen Praxis. Diese war vom Hochwasser kaum betroffen, alle drei Behandlungszimmer können wieder genutzt werden. 

Keine Gasleitung, keine Heizung

Für Styzinski ist das vorerst eine gute Option, sagt er. Anders etwa als das von manchen Kolleginnen und Kollegen praktizierte Praxis-Hopping (siehe Kasten) oder wohlgemeinte Angebote von Kollegen, die 50 Kilometer entfernt eine Mitnutzung ihrer Räume angeboten haben. „Das ist den Patienten nicht zuzumuten und würde auch nicht funktionieren“, ist er sich sicher. Und schließlich muss er selbst parallel den Wiederaufbau seiner eigenen Praxis managen.

„Vorsichtig geschätzt“ wird es noch bis Dezember 2021 oder Januar 2022 dauern, bis er wieder in der Oberhutstraße behandeln kann. Denn aufgrund der zerstörten Hauptgasleitung könnte es allein bis Weihnachten dauern, bis die flächendeckende Gasversorgung in Bad Neuenahr-Ahrweiler wiederhergestellt ist und damit die Heizung wieder funktioniert. Plan B ist das Angebot eines ortsansässigen Unternehmens, temporär auf mobile Gastanks umzurüsten, doch ob es genug davon gibt, ist noch offen.

Es gibt ein großes Engagement an verschiedenen Stellen, lobt Styzinski – bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, vonseiten der Industrie, die Warenlieferungen spendet, und seitens der Kollegen, Nachbarn und Patienten. „Von denen hat jeder seine ganz eigene Geschichte zu erzählen – bis hin dazu, wer bei der Flut umgekommen ist“, berichtet der Zahnarzt.

Jeder hat seine ganz eigene Geschichte 

Mit den Toten der Flutkatastrophe ist auch Styzinski noch nicht fertig: Nachdem von den Leichen nun Zahnschemata erstellt worden sind, geht es darum, bei der Identifikation zu helfen. „Ich hoffe, in den nächsten Tagen ein paar Zahnfilme zu bekommen“, sagt er. 

Aktuell ist die Wiederherstellung seiner Festplatten aber noch nicht abgeschlossen. Ein halbes Terabyte ist wohl noch lesbar, aber um welche Daten es sich dabei handelt, sei Teil des „Überraschungspakets“. Eines ist für Styzinski sicher: „Was ich nie mehr machen werde, ist die Sicherung auf Festplatten.“ 

„Die Ahr darf nicht mein Lebenswerk zerstören“

Auch Dr. Catarina Sonntag versorgt weiter dringende Fälle aus ihrer Patientenschaft. Allerdings im „Praxis-Hopping“. Sie nutzt abwechselnd Behandlungsräume verschiedener Kolleginnen und Kollegen. Ihre 64-Quadratmeter-Praxis ist zerstört, der Zeitplan für den Wiederaufbau ungewiss. Sicher ist nur, dass sie weitermachen will.

„Unser Hauptproblem ist, dass wir aktuell noch nicht wissen, wann und wie es weitergeht“, sagt Dr. Sonntag mit Blick auf ihr Team bestehend aus zwei ZFA, einer Auszubildenden und zwei Aushilfen. Es ist Mitte August und ihr Vermieter wartet immer noch auf einen Gutachtertermin. Allerdings hat die Versicherung gerade – noch vor dem Gutachtertermin – „grünes Licht“ zur Entfernung des kontaminierten Putzes und Estrichs gegeben. Die Handwerkersuche beginnt, ein schwieriges Unterfangen in der Region. Und wie erfolgreich die noch laufende Wiederherstellung der Praxis- und Patientendaten ist, weiß niemand. Eine Elementarschadenversicherung für das Praxisinventar und den Betriebsausfall hatte die Zahnärztin nicht, die ihre Praxis 1989 eröffnete und noch vier Jahre bis zum Ruhestand praktizieren wollte. Das Arbeitspensum hatte sie in den vergangenen eineinhalb Jahren schon sukzessive zurückgeschraubt, weshalb sie der aktuelle Verdienstausfall nicht ganz so schwer trifft wie andere Kolleginnen und Kollegen, sagt sie. Unter den nicht geschädigten Zahnärztinnen und Zahnärzten erlebe sie viel Hilfsbereitschaft, auch das Engagement der Kammer und der KZV sei vorbildlich.

Trotz all der aktuellen Unwägbarkeiten ist es für die Zahnärztin undenkbar jetzt aufzuhören, anstatt wieder aufzubauen. „Es wäre für mich das Schlimmste, mein Lebenswerk von der Ahr weggespült zu sehen“, sagt sie. „Nein, ich will weitermachen. Wie das konkret aussieht, ist von vielen Faktoren abhängig.“ Sie könne sich vieles vorstellen, für große Visionen sei es in ihrem Fall aber noch nicht an der Zeit. Aktuell arbeite sie eher „roboterhaft“ und versuche, nicht zu weit zu denken, um die Energie des Moments positiv nutzen zu können und nicht ins Grübeln zu geraten, erzählt sie. Denn erst im Nachhinein sei ihr und ihrem Team klar geworden, dass sie sich in der Nacht der Flutwelle, einer Nacht der Beschaffung und des Verlegens von Sandsäcken zum Schutz der Praxis und des davor liegenden Grundstücks, selbst „in höchster Lebensgefahr“ befanden.

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