Deutschland denkt E-Health zu akademisch
Die Autoren der neuen WIP-Analyse haben 27 E-Health-Anwendungen in sieben Ländern – Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen, Dänemark, Estland und Australien – untersucht. Ihr Fazit: In der Funktionalität der Anwendungen gibt es große Unterschiede. Während im deutschen Modell der Informationsaustausch und die Datensammlung als Basis für spätere Datenauswertungen im Vordergrund stehen, geht es in den anderen Ländern eher um Servicelösungen und den Mehrwert.
Die elektronische Patientenakte (ePA) beispielsweise ist in sechs Ländern verfügbar. Zugriffe und Familien- oder Vertreterregelungen sind in allen Systemen hinterlegt. Befunde, Arztbriefe, Medikationslisten, Informationen zu Krankenhausbesuchen sowie Notfall- und Kontaktdaten sind ebenfalls Standard. Häufig sind Informationen zu Impfungen, Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten sowie Organ- und Blutspendeausweise in die ePA integriert. Informationen zur Zahnvorsorge finden sich nur in Estland und in Dänemark.
Definition
Unter dem Begriff E-Health fasst das Bundesgesundheitsministerium Anwendungen, „[…] die für die Behandlung und Betreuung von Patientinnen und Patienten die Möglichkeiten nutzen, die moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bieten“.
BMG, 2020
Größere Unterschiede zeigen sich bei den Serviceanwendungen: Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (e-AU) und elektronische Überweisungen werden von allen Ländern angeboten. Nicht durchgehend, aber häufig vertreten sind neben dem e-Rezept Serviceplattformen wie Gesundheitsinformationsportale und persönliche Patientenportale, die beispielsweise eine Arztsuche oder – seltener – Terminbuchungen ermöglichen..
Die Anwendungen liegen in den Ländern in unterschiedlichen Ausbaustufen vor. In Deutschland ist aktuell flächendeckend nur das nationale Gesundheitsinformationsportal „gesund.bund.de“ inklusive Arztsuche verfügbar. Alle weiteren Anwendungen werden erst nach der verpflichtenden Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) eingesetzt. Die Autoren erwarten, dass die tatsächliche Nutzung wegen der oftmals noch nicht ausreichend ausgebauten TI bisher eher gering ausfallen wird.
Wie der Ländervergleich zeigt, liegt der Fokus in Deutschland auf dem Informationsaustausch und damit auf einer Weiterentwicklung der analogen Welt („Papierakten“). Der Nutzen liegt hier vor allem in einer verbesserten Dokumentation. In anderen Ländern hingegen liegt der Schwerpunkt auf Mehrwert- und Servicefunktionen. So bieten Anwendungen dort auch Tipps für das individuelle Gesundheitsmanagement oder unterstützen bei der Planung von Arztterminen, was den Autoren zufolge zu einer schnellen und hohen Akzeptanz in der breiten Bevölkerung führt. Das „deutsche Modell“ sei im Unterschied dazu eher akademisch gedacht – möglicherweise ein Grund, weshalb der Ausbau von E-Health in Deutschland nur mühsam vorankommt, heißt es in der Analyse.
Wir müssen die analoge Denke überwinden
Zum Beispiel wird die traditionelle Krankenversicherungskarte nur noch in zwei der betrachteten Länder zur Authentifizierung genutzt: Deutschland und Australien. Estland, eines der führenden Länder bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens, nutzt den elektronischen Personalausweis. Österreich bietet seinen Bürgern zwei Varianten an: die Bürgerkarte als virtuellen Ausweis, der zur eindeutigen Identifizierung im Internet dient, und die Handysignatur. Dänemark und die Schweiz haben sich für eine Authentifizierung mit Identifikationsnummer entschieden. Und vielfach ist der Zugang zu E-Health oder Gesundheitsdatenbanken eng eingebettet in den Zugang zu anderen öffentlichen Dienstleistungen oder Daten.
Frank Wild, Daria Kozica: E-Health-Anwendungen im Ländervergleich, WIP-Kurzanalyse September 2021