Abseits der Praxis

Dieser Zahnarzt ist auch Fischhändler

Wenn Michael Enke an die Zeit vor fünf Jahren denkt, denkt er an Schmerzen. Starke gesundheitliche Probleme mit der Halswirbelsäule zwangen den Zahnarzt aus Offenbach damals, vorübergehend kürzerzutreten – verhalfen ihm aber auch zur Umsetzung einer schon vergessen geglaubten Geschäftsidee. 2017 gründete der Hobbyangler eine nachhaltige Aquakultur für Barramundi. Heute arbeitet Enke reduziert als Zahnarzt und verkauft parallel den angesagten australischen Speisefisch an die gehobene Gastronomie der Metropole Frankfurt.

Dass er irgendwann Fischhändler würde, habe er sich „auf keinen Fall träumen lassen“. Die Kette von Ereignissen, die letztlich zur Gründung seiner nachhaltigen Aquakultur führten, gehörten eindeutig in die Kategorie „Dinge, die einem ohne Vorwarnung im Leben begegnen“. Ohne Ankündigung kam auch die Vollbremsung für das Geschäft im März 2020. Aktuell versucht sich Enke noch von dem Rückschlag zu erholen, der durch die Pandemie und die Infektionsschutzmaßnahmen entstand. „Das war wie Lichtausschalten“, sagt er. Von einem Tag auf den nächsten brachen Absatz und Lieferketten weg. Der Betrieb ruhte monatelang. Jetzt befinde sich alles wieder im Aufbau, erklärt der Zahnarzt, der den Speisefisch, der als „weißer Lachs“ gilt, bei einem Australien-Trip kennenlernte.

Bei einer Rundreise durchs Land besuchte er damals eine Aquakultur mit angeschlossenem Restaurant – eine prägende kulinarische Erfahrung, die ihm Jahre später in der gesundheitsbedingten Arbeitspause in Erinnerung kam. Durch die räumliche Nähe zur Messestadt Frankfurt am Main mit seinen Hotels und Restaurants witterte Enke gute Rahmenbedingungen für ein leicht abgeändertes Geschäftsmodell in Deutschland. „Die Nähe zum Verbraucher und die kurzen Lieferwege sind ein großer Vorteil“, sagt er, „und der potenzielle Absatzmarkt in der Metropole Frankfurt ist groß genug.“ Die Aquakultur möglichst ökologisch aufzubauen, ist für Enke dabei mehr als nur ein zusätzliches Verkaufsargument. „Davon bin ich persönlich überzeugt.“

Barramundi für die Messestadt

Da die importierten Barramundi-Jungfische 28 Grad Celsius Wassertemperatur benötigen, um in zehn bis zwölf Monaten zur Schlachtreife von etwa einem Kilogramm zu wachsen, baute Enke seine Anlage in die ehemaligen Gewächshäuser einer Gärtnerei im Umland, 18 Kilometer von seiner Offenbacher Praxis entfernt. Dank der Glasdächer ist es nur vier bis fünf Monate im Jahr nötig, über eine Holzschnitzelheizung das Wasser zu erwärmen. Beim Standort hatte der Zahnarzt einfach Glück. „Auf der Suche nach günstigen Räumlichkeiten kam mir zufällig das Gelände in Hainburg vor die Nase, wo schon einmal jemand versucht hatte, Fische zu züchten“, erinnert er sich. Letzteres habe er aber erst bei der Gewerbeanmeldung bemerkt.

Heute mietet Enke knapp 800 Quadratmeter auf dem insgesamt zwei Hektar großen Gärtnereigelände, auf dem der Vermieter gezielt Start-ups mit ökologischen Konzepten Raum bietet. Besitzer der Fläche ist die Africa GreenTec AG, die mithilfe von Solarpanels auf Schiffscontainern eine Strom-Erstversorgung vor allem in abgelegenen, ländlichen Regionen in Afrika liefert. Entsprechend wird auch der Strom für Enkes Aquakultur mithilfe von Solarpanels gewonnen. 

20.000 Tiere in zehn riesigen Becken

Zwei Mitarbeiter und temporäre Aushilfen betreuen aktuell knapp 20.000 Tiere in zehn riesigen Becken, während sich Enke und sein – kürzlich gewonnener – Kompagnon darum kümmern, weiter den Markt für den australischen Fisch zu erschließen. „Wir müssen den Barramundi jetzt erst einmal als hochwertiges Lebensmittel bekannter machen“, erklärt Enke. Zwar würden 90 Prozent aller Australienreisenden den Fisch und seinen besonderen Geschmack kennen und schätzen – bei alle anderen sei er aber eher noch unbekannt.

Perspektivisch wollen sie auch versuchen, selbst Jungtiere zu züchten. Aktuell sei das aber noch Zukunftsmusik, erst müsse das Geschäft wieder anspringen. Trotz der anhaltenden Herausforderungen – rund 600.000 Euro hat Enke bislang investiert – bereut der Zahnarzt nicht, mit seiner Idee den Weg in die Selbstständigkeit gegangen zu sein. Denn kurz vor der Pandemie hat der 62-Jährige seine gut laufende Praxis nach mehr als 30 Jahren an eine große Praxiskette verkauft. Heute arbeitet er dort noch auf einer Zwei-Drittel-Stelle – und nimmt sich Zeit für sein Hobby.

Trotzdem sei mittlerweile allein der administrative Aufwand für die Aquakultur zu groß geworden, um alles als Einzelkämpfer zu stemmen. „Irgendwann ist mir aufgefallen, dass man auf Fotos von Start-ups immer gut gelaunte Gruppen von zwei, drei Gründern sieht und ich alles alleine mache“, berichtet Enke, der nach kurzer Suche einen Geldgeber und Unterstützer fand. Jetzt will er die gemeinsame Aquakultur auf ein neues Niveau heben – und das Licht wieder einschalten.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.