Warum ging das wieder schief?
Fehler und Abweichungen gehören zum normalen Praxisalltag. Das bedeutet, Fehlerkompetenz ist eine Kernkompetenz. Denn ein Team, das jeden Fehler bestenfalls nur einmal macht und ihn als Lernchance nutzt, ist klar im Vorteil.
Für die Praxisführung ergeben sich daraus einige grundlegende Fragestellungen zur Fehlerkultur:
Welche Fehler sind Lernchancen und welche sollte ich kritisieren?
Wie können wir im Team aus Fehlern lernen und Fehlermöglichkeiten systematisch „entschärfen“?
Wie kann ich meine Mitarbeiterinnen dazu motivieren, dass sie mich (oder zumindest eine leitende Mitarbeiterin) direkt informieren, wenn Fehler aufgetreten sind?
Wie gehe ich mit der Mitarbeiterin um, die einen Fehler gemacht hat?
Damit so wenig Fehler wie möglich auftreten, ist eine positive Einstellung zu Fehlern am nützlichsten. Maturana und Bunnel [2001] haben Fehler durch den Gegensatz zur Lüge charakterisiert. Eine Lüge wird mehr oder minder vorsätzlich in dem Moment begangen, in dem die Person lügt. „Ein Fehler passiert nicht in dem Augenblick, in dem wir – aus späterer Sicht – ‚falsch‘ gehandelt haben, sondern immer erst dann, wenn wir uns dessen bewusstwerden, dass das Handeln unpassend war.“ Echte Fehler geschehen unbeabsichtigt.
Daraus ergibt sich die Frage nach den Ursachen des jeweiligen Fehlers. Hier gibt es einige hilfreiche Fragen zur Analyse:
Was genau ist passiert? Wie lässt sich der Fehler so genau wie möglich beschreiben?
Wann, bei wem und an welchem Ort genau tritt er auf?
Wann wird der Fehler bemerkt?
Was könnten die möglichen Ursachen sein?
Derartige Fragen nach Prozessfehlern lassen sich besonders erfolgreich stellen, wenn die Mitarbeiterinnen den Fehler möglichst zeitnah und vollständig bemerken, melden und beschreiben. Eine wesentliche Frage kann man hingegen getrost beiseitelassen: „Wer war das?“ Diese Frage bewirkt nur, dass die Angst vor Fehlern steigt und aus Angst vor Scham und Bloßstellung mehr vertuscht wird.
Dazu ein Beispiel: In einer Praxis kam es mehrfach zum Bruch von Lichtleitern von Lichtleiterwinkelstücken. Niemand war – trotz deutlicher Fragen – schuld. Die Stimmung in der Praxis war angespannt. Eine genaue Fehleranalyse im Rahmen eines Coachings ergab, dass im Sterilisationsraum eine Ablage für die Winkelstücke so angebracht war, dass diese herunterrutschen konnten und dabei auf die Kante des Waschbeckens fielen. Nach einer Veränderung der Ablage trat der Fehler nie wieder auf. Durch die systematische Besprechung und die exakte sachliche Analyse entspannte sich die Stimmung schnell wieder.
Warum sind Fehler denn so peinlich?
Eine gute Fehlerkultur aufzubauen setzt ein hohes Maß von Wertschätzung und Vertrauen voraus. Nicht ohne Grund haben verschiedene Krankenhäuser ihre Fehlermeldesysteme so installiert, dass Ärztinnen Fehler anonym über geschützte Computer melden können. So werden Patientinnen geschützt, während gleichzeitig verhindert wird, dass die betroffenen Kolleginnen in peinliche Situationen kommen.
Aber warum sind Fehler so peinlich? Gemäß Grawe [2004] haben Menschen prinzipiell vier Grundbedürfnisse:
nach Bindung
nach Orientierung und Kontrolle
nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
nach Unlustvermeidung beziehungsweise nach Lust
Wenn nun einer Mitarbeiterin ein Fehler unterläuft, so ist ihr etwas Unkontrolliertes passiert. Ihr Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung wird dadurch verletzt. Gleichzeitig hat sie etwas nicht geschafft. Damit wird ihr Selbstwert belastet. Das bewirkt definitiv Unlust. Drei der vier Grundbedürfnisse sind verletzt. In dieser Situation soll die Mitarbeiterin nun zu ihrer Chefin gehen und ihr sagen, dass sie diesen Fehler gemacht hat. Das erzeugt – neben der Scham über den Fehler – zusätzlich Angst. Wie ist die Chefin bisher mit Fehlern umgegangen? Macht die Chefin Fehler? Hat sie schon einmal darüber berichtet? Wie wird sie diesmal reagieren?
Wenn die Zahnärztin ein gutes, vertrauensvolles Betriebsklima mit einer positiven Praxiskultur aufgebaut hat, berichtet sie auch über eigene Prozessfehler. Irgendwann wird eine Mitarbeiterin den Mut haben, einen Fehler anzusprechen. Dann wird sie eine positive Erfahrung machen. Die erste Reaktion einer solchen Chefin auf eine Fehlermitteilung ist der Dank für die sofortige Mitteilung. Daran schließt sich dann die gemeinsame Analyse und die Problembeseitigung an. Den Abschluss findet der Prozess dann in der Überprüfung und gegebenenfalls Optimierung der entsprechenden QM-Checkliste.
Je unklarer die Regeln, desto öfter wird gepetzt
Solche Prozessfehler sind jedoch nur ein (kleiner) Teil der auftretenden Schwierigkeiten. Eine weitere Fehlermöglichkeit liegt in der „Verantwortungsdiffusion“ – also darin, dass die Verantwortlichkeiten nicht eindeutig geregelt und nachvollziehbar sind. Je unklarer die Regelungen, desto häufiger kommt es zu Schuldzuschreibungen und zum „Petzen“. Niemand will den Fehler gemacht haben.
Oft sind zwar die generellen Zuständigkeitsbereiche in den Praxen abgegrenzt, jedoch fehlen die konkreten, tagesaktuellen Absprachen: „Wer ist wirklich heute (wann genau) wofür zuständig?“ Hier klärt sich dann auch die Frage nach klar geregelten Vertretungsdetails in Abwesenheitsfällen. Über eine generelle Festlegung der Verantwortlichkeiten hinaus, kann eine kurze Morgenbesprechung (fünf bis sieben Minuten) mit den tagesaktuellen Absprachen zu einer sehr starken Reduzierung von Problemen führen.
Eine weitere Fehlerquelle liegt in einer unvollständigen Einarbeitung. Oft wird davon ausgegangen, dass neue Mitarbeiterinnen ja ausgebildet sind. Sie werden schon nach extrem kurzer Einarbeitung alleine in den Zimmern eingesetzt. Vergleicht man dies mit den Onboarding-Prozessen größerer Unternehmen, ist es nicht verwunderlich, dass hier in den Praxen leicht Fehler auftreten.
Wenn die neue Mitarbeiterin ängstlich ist, wird sie versuchen, ihre Unsicherheit aus Scham zu verbergen. Unterlaufen ihr dann Fehler, werden diese oft vertuscht. Die Scham in Kombination mit der neuen Situation verhindert teilweise auch ein Nachfragen bei den Kolleginnen. Damit schleifen sich die Fehler dann unbemerkt ein. Werden sie irgendwann erkannt, entsteht eine peinliche Situation. Danach werden dann noch weniger Fehler mitgeteilt.
Generell gilt, dass neue Fertigkeiten und Tätigkeiten sehr effektiv durch positive Verstärkung während des Lernprozesses erlernt werden. Anders ist es beim Auftreten von Fehlern in bereits bekannten Prozessen. Bei einem Fehler hat die Mitarbeiterin hier das Beste getan, was sie in der speziellen Situation gerade konnte. Hier helfen die Analyse und das klare Kennzeichen als Fehler. Verbunden werden sollte dies immer mit einer exakten Beschreibung der erwünschten Handlung. Am effektivsten ist es gemäß Ellis et al. [2014], wenn die Lernende, die einen Fehler gemacht hat, diesen selbst erkennt. Wenn sie dann anschließend das richtige Vorgehen selber beschreibt und durchführt, wird das neue Verhalten am schnellsten und sichersten erlernt.
Von den Fehlern lassen sich die Unachtsamkeiten und Flüchtigkeiten abgrenzen. Hierbei handelt es sich um fehlerhaft erledigte Routineaufgaben, die zu anderen Zeiten korrekt und vollständig erledigt werden. Auch hier hilft wieder eine Ursachenanalyse. Wenn etwa zu bestimmten Zeiten die Anmeldung sehr stark frequentiert ist und dann Flüchtigkeitsfehler bei der Datenerfassung geschehen, handelt es sich um Überforderung. Dann geht es um Fragen der Organisation der Arbeitsabläufe. Auch dies kann gut in einer Teambesprechung geschehen. Anders verhält es sich, wenn Mitarbeiterinnen nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit den alltäglichen Aufgaben nachkommen. Hier sind kritische Feedbackgespräche mit einer klaren Kommunikation von Erwartungen angezeigt. Unter Umständen ist es dann auch erforderlich, einige Zeit zu kontrollieren und so sicherzustellen, dass die notwendige Sorgfalt bei der Arbeit systematisch umgesetzt wird.
Bestrafen ist nicht immer richtig
Jede Fehlerart erfordert also eine andere Behandlung. Ein Flüchtigkeitsfehler durch Überlastung sollte keine Strafe nach sich ziehen. Eine Strafe wird bei ohnehin schon vorhandener Überlastung nur zu einer Erhöhung des Drucks und zu einer weiteren Erhöhung der Fehlerrate führen. Kommt der gleiche Flüchtigkeitsfehler hingegen durch Gleichgültigkeit oder mangelnde Konzentration auf den Arbeitsprozess zustande, wird konstruktive Missbilligung der zielführende Weg sein. Derart konstruktive Missbilligung erhöht auch insgesamt die Zufriedenheit im Team, weil dadurch nicht geduldet wird, dass die Arbeit ungleich verteilt wird.
* In dem Artikel wurde aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit diesmal ausschließlich die weibliche Form gewählt.
Dr. Med. Dent. Anke Handrock
Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie, Coaching und Mediation, Speakerin und Autorin
Maike Baumann
Diplompsychologin, Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin