Die Causa Straumann
Nachdem die Straumann-Gruppe im Sommer 2020 bereits das Dental-Start-up DrSmile übernommen hat, kauft sie jetzt also auch den direkten Konkurrenten PlusDental – ehemals Sunshine Smile GmbH. Damit gehören dem Unternehmen bald zwei Aligner-Anbieter, die wegen ihrer Geschäftspraktiken heftig kritisiert werden.
„Der Hersteller trägt auch fachlich Verantwortung“
Nach eigenen Angaben behandeln DrSmile und PlusDental zusammen mehrere Zehntausend Patienten pro Jahr in ganz Europa. Mit der aktuellen Übernahme befinde sich der Markt der Direct-to-Consumer-Alignerbehandlungen somit weitgehend in der Hand der Straumann Group, konstatiert der BDK in einer Stellungnahme. „Damit trägt der Hersteller von Dental-Produkten nun auch die fachliche Verantwortung für die Behandlung von mehreren Tausend Patienten in Deutschland in ganz Europa. Dieser Verantwortung muss Straumann gerecht werden und die Behandlung in die Hände der Zahnärzte legen.“
Darum steht das Modell in der Kritik
Als DrSmile (ehemals „Dr.Smile.xyz“), PlusDental (damals „SunshineSmile.de“) und SmileMeUp.de (mittlerweile insolvent) vor fünf Jahren das US-Geschäftsmodell des Aligner-Direktanbieters SmileDirectClub (SDC) in Deutschland einführten, ernteten sie scharfe Kritik. „Anbieter überschreiten durch Heilpraktiker- und Zahnheilkundegesetz gezogene Grenzen und führen insoweit strafbare Heilbehandlungen durch“, stellte die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) im Mai 2017 fest.
Als „generell fragwürdig“ stufte die Deutsche Gesellschaft für Aligner Orthodontie (DGAO) 2018 die Therapieversprechen der Dienstleister ein. Die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) bewertete es generell als medizinisch unverantwortlich und potenziell gesundheitsgefährdend, Patienten in Eigentherapie oder „mit nur einmaligem persönlichem Kontakt zum Behandler“ zu therapieren. Vor allem das Angebot von PlusDental und SmileMeUp, Patienten selbst Zahnabdrücke anfertigen zu lassen, auf deren Grundlage die Behandlung geplant wurde, sorgte für Ärger. Dies stelle „eine Unterschreitung des fachzahnärztlichen Standards dar“, betonte der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK).
In der Folge urteilten die Landgerichte Kiel, Düsseldorf und Berlin zu Ungunsten der deutschen Start-ups, die Kritik an ihren Behandlungsstandards oder an ihrer aggressiven Werbepraxis juristisch zu bekämpfen versuchten.
Dann stellte die FDP-Fraktion einen Antrag, gewerbliche Aligner-Behandlungen ohne vollumfängliche zahnheilkundliche Begleitung zu unterbinden. Die BZÄK machte dazu einen Vorschlag zur Änderung des Zahnheilkundegesetzes der vorsah, Aligner-Direktanbieter der berufsrechtlichen Aufsicht der Landeszahnärztekammern zu unterstellen. Es kam zwar zu einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages – am Ende aber versandete der Vorstoß in den gesundheitspolitischen Wirren der Pandemie.
Dentalriesen wie Dentsply Sirona und Straumann kauften sich zudem in die Direct-to-Consumer-Märkte USA und Europa ein – Straumann schließt mit dem Zukauf von PlusDental diesen Prozess nun ab. Allerdings haben die Aktien des einstigen Marktbereiters SDC seit dem Börsengang 2019 fast 90 Prozent an Wert verloren; aus dem deutschen Markt hat sich SDC wieder zurückgezogen.
2022 gingen die ersten potenziell geschädigten Patienten juristisch gegen DrSmile und PlusDental vor. Ausgang ungewiss.
Denn sowohl DrSmile als auch PlusDental sind laut BDK „erheblicher Kritik“ ausgesetzt, da in vielen Fällen die Anforderungen an die notwendige Diagnostik und die Behandlungskontrollen nicht erfüllt würden.
Im November 2021 hatten zahnärztliche und kieferorthopädische Organisationen aus 25 europäischen Ländern in einer gemeinsamen Erklärung Behandlungskonzepte wie die der neuen Straumann-Töchter verurteilt. In zahlreichen Medienberichten seien jüngst zudem geschädigte Patienten zu Wort gekommen, berichtet der BDK. Dabei habe in vielen dieser Fälle nicht einmal ein zahnärztlicher Kontakt stattgefunden.
„Straumann haftet für Behandlungsfehler“
Der BDK-Vorsitzende Dr. Hans-Jürgen Köning betont, Straumanns Expertise in der Herstellung von Medizinprodukten sei unbestritten, „Straumann muss jetzt aber auch die Gewähr dafür übernehmen, dass diese Medizinprodukte bei der Behandlung der Kunden von PlusDental und DrSmile ordnungsgemäß verwendet werden”. Straumann werde sich überlegen müssen, „ob der Versuch, weiterhin Zahnärzte möglichst weitgehend aus der Behandlung der Patienten herauszuhalten, der richtige Weg ist“.
„Eine zahnmedizinische Behandlung ist immer mit erheblichem Kontrollaufwand verbunden, sodass sie der echten Selbstbehandlung entzogen ist. Gerade bei der kieferorthopädischen Bewegung von Zähnen oder Zahngruppen wirken bisweilen starke Kräfte dauerhaft auf die Zähne und den Zahnhalteapparat ein, die einer kontinuierlichen Kontrolle seitens eines Zahnarztes bedürfen.“
Bundeszahnärztekammer
BDK-Geschäftsführer Stephan Gierthmühlen ergänzt: „Nach unserer Einschätzung werden die Behandlungsverträge zwischen den Patienten und den Anbietern geschlossen. Die Anbieter setzen die Partnerzahnärzte in unterschiedlichem Umfang nur als Erfüllungsgehilfen ein. Natürlich haften die Partnerzahnärzte aus unerlaubter Handlung, wenn ein Schaden eintritt.” Daneben sei aber auch Straumann selbst als Vertragspartner verantwortlich und hafte für Behandlungsfehler, sagt der Fachanwalt für Medizinrecht (siehe Interview weiter unten).
„Möchtegern-Einhorn blamiert sich“
Auch in der Start-up-Community ist die Übernahme Thema: Unter dem Titel „Möchtegern-Einhorn: Plusdental blamiert sich mit 131-Millionen-Exit” mokiert sich Businessinsider darüber, dass die Tech-Firma statt der kolportierten Milliardenbewertung nur für einen Bruchteil der Summe verkauft wurde. Noch vor einem Jahr habe PlusDental-Chefin Eva-Maria Meijnen angekündigt, man werde bei der nächsten Finanzierungsrunde mit einer Milliarde Euro bewertet, schreibt das Portal. Damals lag der Wert eigenen Angaben zufolge bei mehr als 100 Millionen Euro. Woran es lag, dass sich das Geschäft nicht wie erwartet entwickelte, dazu wollte sich PlusDental Businessinsider uns gegenüber nicht äußern.
Europas Kieferorthopäden wehren sich
Die europäischen Kieferorthopäden drängen Straumann, die Behandlung der Patienten vollständig in die Hände spezialisierter Kieferorthopäden zu legen. Auf der Generalversammlung der European Federation of Orthodontic Specialists Associations (EFOSA) in Limassol, Zypern, billigten die Delegierten einstimmig eine Gemeinsame Erklärung zur Fernbehandlung von Malokklusionen. Darin haben 31 zahnärztliche und kieferorthopädische Organisationen die Mindeststandards für eine patientensichere kieferorthopädische Behandlung festgelegt.
„Mit der Übernahme von DrSmile und PlusDental ist die Straumann-Gruppe für die kieferorthopädische Behandlung von vielen Tausend Patienten in Europa verantwortlich“, heißt es im Beschluss.
Bereits im November 2021 hatten zahnärztliche und kieferorthopädische Organisationen aus 25 europäischen Ländern aus Sorge um die Sicherheit ihrer Patienten auf die Mindeststandards aufmerksam gemacht.
Die Straumann Group sei zurecht stolz auf ihre tiefen Wurzeln in der legendären Schweizer Tradition der Premiumqualität. „Hält die Straumann Group an den Behandlungskonzepten von DrSmile und PlusDental fest, würde sie mit dieser Tradition brechen.“
Die EFOSA fordert Straumann darum auf, Verantwortung für die Patienten zu übernehmen und die Behandlung der Patienten vollständig in die Hände spezialisierter Kieferorthopäden zu legen. „Als spezialisierte Kieferorthopäden werden wir nicht aufhören, uns für die Sicherheit von Patienten einzusetzen, die sich einer kieferorthopädischen Behandlung unterziehen“, sagte EFOSA-Präsidentin Melissa Disse, Niederlande. „Ohne eine gründliche klinische Untersuchung, Röntgenaufnahmen und eine regelmäßige klinische Überwachung ist eine Zahnbewegung für den Patienten nicht sicher. Die Zeit wird zeigen, ob Straumann die Erwartungen von Kieferorthopäden und Patienten erfüllt.“
Der Hildesheimer Kieferorthopäde Prof. Dr. Dr. Christian Scherer, der als EFOSA-Vorstandsmitglied die Unterzeichnung der Joint Declaration Ende 2021 maßgeblich betreute, lobte die Einigkeit im Berufsstand. Es habe sich gezeigt, dass die Behandlungsstandards der Direct-to-Consumer-Anbieter kein nationales, sondern ein paneuropäisches Problem seien, sagt er. Aber auch aus Amerika, Kanada und selbst Pakistan habe der Verband kritische Berichte erhalten.
Die EFOSA vertritt die Interessen von mehr als 11.000 Kieferorthopäden aus 29 Ländern.
In einer Unternehmensmitteilung mit Straumann sagte Meijnen, der Kauf sei „eine großartige Gelegenheit, da beide Unternehmen die Vision einer qualitativ hochwertigen Zahnmedizin, bei der die Patientinnen und Patienten an erster Stelle stehen, teilen“. Gemeinsam werde man „in Zukunft vielen Menschen Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung ermöglichen“. Guillaume Daniellot, Chef der Straumann Group, kommentierte den Kauf in selbiger Mitteilung: „Die Lösung des Unternehmens [PlusDental] ergänzt unser bestehendes Angebot an Konsumentinnen und Konsumenten von kieferorthopädischen Behandlungen unter ärztlicher Betreuung perfekt und wird uns helfen, schneller zu expandieren.“
Mit seinem medizinischen Qualitätsanspruch und einem technologie- und datengetriebenen Ansatz helfe PlusDental Straumann, „medizinisches Fachwissen in diesem Bereich weiter auszubauen“. Erklärtes Ziel sei, eine „qualitativ hochwertige Patientenversorgung“ sicherzustellen. „Außerdem eröffnet dies Zahnärztinnen und Zahnärzten zusätzliche Möglichkeiten, ihren Patientinnen und Patienten bequeme, klinisch fundierte und qualitativ hochwertige Behandlungen anzubieten, und so das Wachstum ihrer Praxen zu unterstützen.“ Bis es soweit ist, müsse die Transaktion noch von den Aufsichtsbehörden genehmigt werden, was in den kommenden Wochen abgeschlossen sein soll, teilte Straumann mit.
Wie Straumann als Premium-Dentalunternehmen der Kritik an den Geschäftsmodellen seiner Tochterunternehmen begegnen will und welche Pläne es für den europäischen Aligner-Direktmarkt gibt, ließ das Unternehmen bis zu unserem Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet. [Anm. d. Red.: Hierbei handelt es sich um die ursprüngliche Formulierung des Printartikels, siehe Hinweis zum Statement Straumanns].
Interview mit Stephan Gierthmühlen zum Kauf von PlusDental
„Straumann steht in der Pflicht!“
„Straumann steht vor der Entscheidung, sich auch in der Kieferorthopädie als Anbieter hochwertiger Dentalprodukte zu positionieren – oder als Zahnkosmetiker ohne medizinischen Anspruch“, sagt Stephan Gierthmühlen, Geschäftsführer des Berufsverbands der Deutschen Kieferorthopäden (BDK). Dann müsse sich das Unternehmen aber von seinem Premiumanspruch verabschieden.Herr Gierthmühlen, der BDK will Straumann nach dessen jüngstem Zukauf in die Pflicht nehmen, Verantwortung für die Patienten zu übernehmen. Wie müsste der Konzern das Geschäftsmodell seiner Start-ups umbauen, damit das sichergestellt ist?
Herr Gierthmühlen, der BDK will Straumann nach dessen jüngstem Zukauf in die Pflicht nehmen, Verantwortung für die Patienten zu übernehmen. Wie müsste der Konzern das Geschäftsmodell seiner Start-ups umbauen, damit das sichergestellt ist?
Stephan Gierthmühlen: Wir wollen Straumann nicht in die Pflicht nehmen, Straumann steht in der Pflicht! Es ist etwas völlig anderes, ob ein Unternehmen Medizinprodukte anbietet und diejenigen, die diese Medizinprodukte im Rahmen ihrer Therapie einsetzen, unterstützt, oder ob ein Unternehmen meint, mit Telemedizin, Callcenter und zentralisierten „Dental Consultants“ Patienten behandeln zu können.
Straumann sollte sich daran erinnern, dass das Unternehmen als Partner der Zahnärzte zu dem geworden ist, was es heute ist. Aus meiner Sicht tut Straumann sowohl den Patienten als auch sich selbst einen großen Gefallen, wenn die Behandlung der Patienten vollständig in der Hand der Zahnärzte liegt, die diese auch gegenüber dem Patienten voll verantworten. So kann jeder seine Stärken ausspielen.
Gerade die jüngste Straumann-Tochter PlusDental hat ja die Erfahrung gemacht, dass es ohne Zahnärzte nicht geht. Sie erinnern sich sicher daran, dass PlusDental als SunshineSmile gestartet ist und Abdruckboxen durchs Land geschickt hat. Nach einem Jahr und erheblichen Investitionen in die Markenbekanntheit wurde SunshineSmile begraben und PlusDental geboren, die dann mit Partnerzahnärzten zusammenarbeiteten. Wenn aber die Partnerzahnärzte gar nicht die Vorstellung haben, sie würden eigene Patienten behandeln, ist das doch nur ein Feigenblatt.
Natürlich kann auch die Unterstützung durch Künstliche Intelligenz einen Beitrag leisten, wenn der Zahnarzt bei besonderen Risiken durch Straumanns KI gewarnt wird. Welcher Befund sich aber tatsächlich zeigt und wie darauf zu reagieren ist, lässt sich nur durch zahnärztlichen Sachverstand und im Mund des Patienten klären. Ich würde mir also wünschen, dass sich Straumann aus dem Behandlungsverhältnis zurückzieht, damit die Zahnärzte wieder ihre Patienten und die Patienten ihren Zahnarzt haben.
Die Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung von DrSmile im Sommer 2020 hatte ja keinen Effekt auf das Geschäftsgebaren des Aligner-Anbieters. Es gibt unverändert kritische Medienberichte und Gerichtsurteile zu dessen Ungunsten. Warum denken Sie, dass das jetzt anders läuft?
Dass Straumann das Geschäftsmodell von DrSmile zumindest bisher nicht signifikant verändert hat, bedauere ich sehr. Ein Mitarbeiter von Straumann hatte uns in einem Gespräch nach der Übernahme gebeten, dem Unternehmen Zeit zu geben, um die Qualität zu verbessern. Ich nehme das in meiner täglichen Arbeit leider nicht wahr.
Ich denke aber, dass die Übernahme von PlusDental einen Wechsel der Strategie anzeigen könnte. Ich gehe nicht davon aus, dass Straumann die beiden Start-ups übernommen hat, um damit einen konzerninternen Wettbewerb zwischen zwei Töchtern zu veranstalten. Eine Fortführung beider Marken halte ich deshalb für unwahrscheinlich. Ich denke, Straumann hat mit dieser Übernahme Zugang zu einem europaweiten Netz von Kooperationspartnern gewonnen, die auch – und sogar besser – dazu genutzt werden können, die bestehenden Produkte von Straumann in den Markt zu bringen.
Straumann steht nun also vor der Entscheidung, sich auch in der Kieferorthopädie als Anbieter hochwertiger Dentalprodukte zu positionieren – oder als „Social-Six-Designer“, als Zahnkosmetiker ohne medizinischen Anspruch. Dann muss sich Straumann aber von seinem Premiumanspruch verabschieden. Da ich das Unternehmen bisher eher in diesem Segment gesehen habe, glaube und hoffe ich, dass sich hier etwas ändert.
Womöglich bekommt Straumann bei einer konsequenten Einbindung von Zahnärzten und Kieferorthopäden in den Behandlungsprozess ein Problem mit der Marge. Zuletzt hieß es, DrSmile hätte Marketingausgaben von 500 bis 700 Euro pro Vertragsabschluss. Ist das das Ende der niedrigen Preise für Verbraucher?
Vermutlich bekommt Straumann doch auch so Probleme mit der Marge, wenn das Geschäftsmodell weiterläuft. Sehen Sie sich doch die letzten Zahlen von PlusDental an. 2020 stieg der Jahresfehlbetrag von 8 auf 10 Millionen Euro – und ich glaube nicht, dass die Situation 2021 besser geworden ist. Ob sich Straumann Kosten pro Behandlungsabschluss zwischen 500 und 700 Euro, die wohl bei DrSmile anfielen, dauerhaft leisten will, halte ich auch für zweifelhaft. Am Ende steht die Frage, ob Straumann mit den zahnärztlichen Leistungen wirklich Geld verdienen kann.
Je deutlicher es wird, dass der Partnerzahnarzt sich nicht hinter dem Unternehmen verstecken kann, desto eher werden auch Begehrlichkeiten nach einer besseren Bezahlung geweckt. Unabhängig davon steht auch noch die Klärung der Frage aus, ob die Partnerzahnärzte nicht ohnehin im Verhältnis zu den Anbietern an die GOZ gebunden sind.
Womit rechnen Sie als Nächstes auf dem Direct-to-Consumer-Alignermarkt?
Was den weiteren Kurs von Straumann angeht, habe ich meine Hoffnung ja schon formuliert. Im Übrigen rechne ich damit, dass die Marktbereinigung weitergeht. Es gibt ja noch einige kleinere Anbieter, die vermutlich mit ähnlichen Zahlen zu kämpfen haben wie PlusDental. Und ich denke, dass gerade die Berichterstattung der letzten Monate viele Interessenten zu der Erkenntnis gebracht hat, dass es vielleicht doch besser ist, Patient statt Kunde zu sein.
Was den reinen Kaufpreis betrifft, war die Übernahme des US-Aligner-Anbieters Byte durch Dentsply Sirona Ende 2020 ja eine deutlich größere Sache – der Dentalriese bezahlte fast achtmal so viel für ein vergleichbares Start-up und hält sich auch eine Expansion nach Europa offen. Was könnte es für die Behandlungsqualität bedeuten, falls demnächst nicht mehr Start-ups, sondern Dentalriesen den Verbrauchern Direktangebote machen?
Der Kaufpreis bei PlusDental war in der Tat überraschend, auch wenn es mich nicht gewundert hat, dass PlusDental weit von einer Einhorn-Bewertung entfernt war. Dass aber wahrscheinlich nur wenig mehr als das eingelegte Risikokapital gezahlt wird, zeigt die angespannte Situation.
Die Situation dürfte in Europa auch eine andere sein als in den USA, wo zum Beispiel in Kalifornien der Gesetzgeber aktiv werden musste, um sicherzustellen, dass zahnmedizinische Behandlungen nur von Zahnärzten durchgeführt werden dürfen. Entsprechende Regelungen mit Strafdrohung haben wir in Deutschland natürlich schon lange.
Für die „Dentalriesen“ wird sich in Europa und gerade in Deutschland die Frage stellen, ob sie die notwendige Qualität der Behandlungen darstellen können und die Risiken, die mit einer Remote-Behandlung verbunden sind, tragen wollen. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob ich mit einer Start-up-Mentalität oder mit einer gut ausgestatteten Compliance-Abteilung an die Regulatorik herangehe.
Ich vermute, dass die Marktentwicklung in Deutschland – SmileMeUp insolvent, SmileDirectClub nicht mehr am Markt, PlusDental wird, wie Businessinsider es schrieb, von einem „Fast-Einhorn zu einem Fast-Firesale“ – nicht unbedingt die Idee weckt, noch einen Disruptionsversuch zu unternehmen.
Zuletzt hatten Sie uns Mitte Februar über das laufende Klageverfahren berichtet. Gibt es hier etwas Neues?
Drei Monate sind in Arzthaftungsprozessen nicht viel Zeit. Insgesamt ist die Situation weitgehend unverändert. Es sind einige Klagen mehr ausgebracht, einige Beweisbeschlüsse ergangen und es melden sich immer noch regelmäßig geschädigte Patienten bei uns, die wir ans Beratungsnetzwerk der Medizinrechtsanwälte verweisen.
Eine interessante Entwicklung habe ich allerdings aus dem Schlichtungsausschuss einer Zahnärztekammer gehört. Hier hatte sich der Partnerzahnarzt eines Unternehmens damit verteidigt, dass er die Behandlung ja gar nicht durchgeführt habe. Dies hat den Schlichtungsausschuss nicht überzeugt, der von der Haftung des Partnerzahnarztes ausging.
Das Gespräch führte Marius Gießmann.
Statement der DGKFO
„Das Ansehen der Aligner als Therapieform könnte Schaden nehmen“
„Eine kieferorthopädische Behandlung ist eine zahnmedizinische Maßnahme, die mit verschiedenen Behandlungsmitteln durchgeführt werden kann. Auch Aligner gehören neben vielen anderen Optionen zum kieferorthopädischen Repertoire. Jede zahnmedizinische Behandlung bedarf unabhängig von der Fachdisziplin vor ihrer Initiierung einer zahnärztlichen Diagnostik und Indikationsstellung sowie im Verlauf einer kontinuierlichen ärztlichen Überwachung, um Schaden vom Patienten abzuwenden und die Risiken zu minimieren. Der Zahnarzt hat die Fachexpertise und trägt die fachliche, ethische und juristische Verantwortung.
Immer wieder gab es in der Medizin Geschäftsmodelle, die den Versuch unternommen haben – aus ökonomischen oder sonstigen Beweggründen – den Zahnarzt aus dem Zentrum des Therapiegeschehens zu verdrängen, was sich letztendlich nie bewährt hat, auf dem Rücken der Patientengesundheit ausgetragen wurde und auch längerfristig zu einer ungünstigen Entwicklung des Unternehmens geführt hat.
Nun hat ein großer, etablierter und bisher als seriös bekannter Medizinproduktehersteller wie Straumann kleinere Unternehmen übernommen, die sich zuvor durch unseriöses Geschäftsgebaren zum Leid des Patienten öffentlich hervorgetan haben. Auch wenn eine Monopolstellung auf dem Dentalmarkt sicherlich kritisch zu betrachten ist, besteht aber auch die große Chance, dass diese Fehlentwicklung durch eine neue Führung beendet wird. Dies wäre besonders für die Patienten, aber auch für die Kollegenschaft eine positive Entwicklung.
Sollte diese Weichenstellung in nächster Zeit allerdings fehlerhaft erfolgen, gehe ich davon aus, dass die Zahl geschädigter Patienten, notwendiger Zweitbehandlungen und juristischer Auseinandersetzungen zunehmen wird. Dies könnte wiederum dazu führen, dass die Therapieform mit Alignern in der öffentlichen Wahrnehmung kritischer gesehen und zunehmend gemieden wird. Der Markt würde dann schrumpfen und seriöse Kolleginnen und Kollegen und medizinische sowie zahnmedizinische Fachgesellschaften werden sich zunehmend von einem derartigen Medizinproduktehersteller in allen Vertriebsbereichen abwenden.“
Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO)
Laut der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird der Behandlungsstandard von PlusDental womöglich dem von DrSmile angeglichen. Der Kauf könnte Kunden aber auch eine Ausstiegschance bieten.
Position der Verbraucherzentrale
Übernahme bringt gegebenenfalls ein Sonderkündigungsrecht
Herr Weinberg, wie viele Beschwerden sind bei der Verbraucherzentrale NRW zu den Aligner- Start-ups DrSmile und PlusDental bislang insgesamt eingegangen?
Arne Weinberg: Dies lässt sich leider nicht genau beziffern, da die Beschwerden auf unterschiedlichen Wegen an uns herangetragen werden. Viele VerbraucherInnen wenden sich an die Beratungsstellen in ihrer Kommune, manche schicken eine E-Mail ans Servicecenter, andere wenden sich über unser Portal „Kostenfalle-Zahn“ an uns. Wir können aber sagen, dass wir Beschwerden über DrSmile im Vergleich zu PlusDental deutlich öfter zu hören bekommen. Das hat natürlich auch mit unterschiedlichen Marktanteilen zu tun.
Wie bewertet die Verbraucherzentrale NRW den Kauf von PlusDental durch Straumann? Rechnen Sie mit einer Anpassung des Geschäftsmodells?
Man kann das als Zwischenergebnis eines harten Wettbewerbs der Aligner-Anbieter bewerten, den wir seit Jahren nicht nur im Bereich der Werbung beobachten, sondern auch im Umgang mit VerbraucherInnen, die aus ihren Verträgen raus wollen. Da PlusDental schon vor der Übernahme stark investorenfinanziert war und beispielsweise die Jebsen Group zu seinen Geldgebern zählte, ist das aber in Bezug auf diesen Anbieter keine völlig überraschende Entwicklung. Wenn die Straumann-Gruppe nun in beiden Unternehmen das Sagen hat, dürfte sich das Geschäftsmodell von PlusDental noch mehr dem von DrSmile annähern. Wir haben schon gerichtliche Auseinandersetzungen mit beiden geführt und werden dies bei Verstößen gegen Verbraucherschutzvorschriften auch weiterhin tun.
Ändert sich durch den Eigentümerwechsel etwas für die Verbraucher, die eine Behandlung bei PlusDental begonnen haben?
Das kommt darauf an, wie diese Übernahme gesellschaftsrechtlich vollzogen wird, insbeson - dere ob die Sunshine Smile GmbH als Vertragspartnerin der Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeführt wird. Sollten diese Gesellschaft und ihre laufenden Verträge in ein neues oder anderes Unternehmen übertragen werden, muss PlusDental dies vier Wochen im Voraus ankündigen und die PatientInnen haben ein Sonderkündigungsrecht.
Haben Sie Rückmeldungen von Verbrauchern, wie der SmileDirectClub – der keine Neukunden in Deutschland mehr annimmt – begonnene Behandlungen zu Ende führt?
Nein, hierzu haben wir leider keine Erkenntnisse. Die Webseite mit Informationen zu den „Smile- Shops“, an die sich VerbraucherInnen vor Ort wenden konnten, ist jedenfalls nicht mehr erreichbar.
Das Gespräch führte Marius Gießmann.
Stellungnahme von DrSmile zum zm-Artikel „Die Causa Straumann“ vom 15. Juni:
„Entgegen Ihrer Darstellung ist für DR SMILE eine Einbindung von qualifizierten Zahnmedizinern im gesamten Verlauf der Aligner-Therapie wesentlich für den Behandlungserfolg und damit für die Patientenzufriedenheit. Zum korrekten Verständnis unserer Zusammenarbeit mit Zahnärzten halten wir Folgendes fest: DR SMILE-Experten begleiten alle Patienten individuell durch die gesamte Behandlung. Neben einer wöchentlichen Dokumentation des Behandlungsfortschritts wird der Behandlungsverlauf mindestens einmal monatlich von entsprechend qualifizierten, approbierten Zahnärzten oder Kieferorthopäden individuell überprüft (sog. ‚Medical Check-Up’). Patienten unterstützen dies durch die Bereitstellung von Daten über die DR SMILE-App. Deren regelmäßige Nutzung zur Übermittlung aktueller Daten an unser medizinisches Fachpersonal ist über die ganze Dauer der Therapie vorgeschrieben. Erforderlichenfalls bittet DR SMILE die Patienten im weiteren Behandlungsverlauf zu einem erneuten persönlichen Termin in eine Zahnarztpraxis zur klinischen Überprüfung. Selbstverständlich können die Patienten auf Wunsch auch jederzeit selbst einen persönlichen Termin in einer der Partnerpraxen vereinbaren. Zudem besteht für alle Patienten die Möglichkeit, sich jederzeit von Zahnärzten und Kieferorthopäden im Rahmen einer Video-/Online-Sprechstunde beraten zu lassen. Dieses digitale Zusatzangebot hat insbesondere in Pandemiezeiten großen Zuspruch gefunden. Eine engmaschige Verlaufskontrolle durch angemessen qualifiziertes medizinisches Fachpersonal ist damit zu jedem Zeitpunkt gewährleistet. […]
DR SMILE wird seiner fachlichen Verantwortung für eine sichere, qualitativ hochwertige Behandlung seiner Patienten gerecht. Deren Behandlung liegt in den Händen von Zahnärzten. Zur Klarstellung: sämtliche zahnmedizinische Entscheidungen bei unseren Patienten werden ausschließlich von Zahnmedizinern getroffen.
[…] Wir kennen und schätzen unsere DR SMILE-Partnerpraxen und deren Zahnmediziner als zuverlässige Partner. Partnerpraxen haben sich dem von uns zentral überwachten Qualitätsstandard von DR SMILE verpflichtet. Dazu gehört auch, jeden Patienten persönlich zu untersuchen und eine individuelle Befundung persönlich vorzunehmen. DR SMILE führt diesbezüglich regelmäßige Kontrollen durch und setzt dafür auch sogenannte ‚Mystery Shopper’ ein. Von Partnern, die unsere Qualitätsstandards nicht teilen, trennen wir uns und dulden auch keine Abweichungen.”