Hier arbeite ich gerne!
Die einen bezeichnen sie als „Perlen“, ohne die sie ihre Praxis schlicht zumachen können. Andere finden den Hype um ihre Angestellten fast schon übertrieben. Doch den Fachkräftemangel spüren viele Praxen. Recruiting und Mitarbeiterbindung stehen daher weit oben auf der Agenda.
Eine aktuelle Umfrage des PKV-Instituts zur Zufriedenheit im Beruf unter 200 Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten ergab, dass 45 Prozent unzufrieden mit ihrem Job sind. Ein Großteil bemängelte, dass Gehalt und Wertschätzung nicht im Verhältnis zu ihrem Arbeitseinsatz stünden. Diese Mitarbeiterinnen sind auf dem Sprung.
„In einem Jahr sehe ich dich in dieser Position“
Zahnärztin Michaela Sehnert hat 2016 eine Praxis in Halle übernommen und zwei Mitarbeiterinnen mitgebracht. Die beiden sind heute immer noch an ihrer Seite, plus acht weitere. Die Praxis „gesundesweiss“ ist über die Jahre größer geworden. Inzwischen hat die Chefin auch eine Kollegin und eine Assistenzzahnärztin eingestellt. Sehnert investiert in ihre Mitarbeiterinnen, um die Praxis gemeinsam weiterzuentwickeln. Dabei ist sie überzeugt, dass Geld bei Weitem nicht alles ist: „Für sehr wichtig halte ich die Definition der persönlichen Perspektive der Mitarbeiterinnen. Wir legen von Anfang an gemeinsam fest, wie sich die Stelle in welchem Zeitraum entwickeln kann. Das gibt ihnen auch Sicherheit.“ Dafür macht sie klar, wie die Erfolge aussehen könnten und dass diese auch gesehen werden, wenn sie sich einstellen. „Ich sage zum Beispiel: „In einem Jahr kannst du das selbstständig und ich sehe dich in dieser oder jenen Position. Gleichzeitig habe ich für mich im Hinterkopf, Aufgaben ab dann delegieren zu können.“ Bei ihr sind einige Angestellte zum Beispiel „Behandlungskoordinatoren“. Sehnert: „Sie wachsen an ihren Aufgaben enorm und das motiviert!“
Selbstverständlich spielt das Gehalt eine Rolle. Sehnert fragt ihre Mitarbeiterinnen direkt, wie viel sie verdienen wollen und stimmt dem in aller Regel zu. Gebunden ist diese Zusage allerdings an die Forderung, ihr durch vollen Einsatz und ständiges Lernen zu beweisen, dass sie diese Leistungen wert sind. Das Motto „Zeig´ mir, was Du kannst!“ funktioniere sehr gut, erzählt sie. Außerdem gebe es zehn Prozent Umsatzbeteiligung als weiteren monetären Anreiz.
„Ein Firmenwagen ist eine starke Bindung“
Die Praxischefin fährt darüber hinaus eine Vielzahl an sogenannten Incentives auf, also geldwerten Vorteilen und Anreizen – und kalkuliert dabei mit einer langfristigen Zusammenarbeit. Ihre Mitarbeiterinnen bekommen einen Firmenwagen inklusive Tankkarte. Sie können fahren und müssen sich um nichts kümmern: keine Versicherung, kein Sprit, keine Unterlagen, keine Organisation. Sehnert ist überzeugt: „Auch wenn es mal nicht so gut läuft – und solch eine Phase kennt jeder –, ist das Auto eine Annehmlichkeit, auf die nicht so gerne wieder verzichtet wird.“ Zusatzbenefit: Durch diese Mobilität kommen ihre Angestellten auch von weiter her als nur aus Halle, zum Beispiel aus Dessau oder Merseburg. Alternativ gibt es die BahnCard auf Praxiskosten. Alle Mitarbeiterinnen arbeiten vier Tage die Woche und haben somit einen Werktag frei. Auch das komme der Arbeitsmotivation zugute. Wenn sich mal ein längerer Arbeitstag anbahnt, gebe es wenig Murren.
Als kleine aber sehr geschätzte Geste stellt die Praxischefin zudem eine „Haushaltskasse“ zur Verfügung, wie sie es nennt. „Für Kaffee, Tee, Snacks oder die Zutaten fürs Mittagessen, das eine im Team abwechselnd für alle kocht“, zählt Sehnert auf. Ihr sei bewusst, dass die Mitarbeiterinnen auch mal unter sich sein wollen. Sie könnten trotzdem jederzeit kommen und ihre Anliegen besprechen. Um mehr über die Stimmung im Team in Erfahrung zu bringen und zu den Wünschen und Nöten, führt sie regelmäßig eine Umfrage durch – schriftlich und anonym.
Verwöhnt sie ihr Team? „Mir ist bewusst: Je mehr man gibt, desto mehr steigen wahrscheinlich auch nach und nach die Ansprüche. Aber durch die festgelegten Ziele bei jedem Einzelnen wissen wir alle, wo wir hinsteuern. Wenn man sich gesehen und wertgeschätzt fühlt, bleibt man doch eher.“ Sie gibt zu: Wenn man so viel tut für seine Mitarbeiterinnen, muss man durchaus mit Neid im Team rechnen und damit umgehen können. „Wenn ich Unmut bemerke, spreche ich das direkt und unter vier Augen an. Das ist wichtig. Ich investiere schließlich Geld in die Mitarbeiterinnen und schaffe einen Arbeitsplatz. Es wäre kurzsichtig, sich nicht um seine Probleme zu kümmern. Denn dann geht diese Investition nicht auf. Wir ziehen am Ende alle an einem Strang, das ist eh klar!“
Zehn Wochen Urlaub und ein christmas shopping
Dr. Thomas Greßmann leitet seit 32 Jahren seine Praxis in Neudrossenfeld bei Bayreuth. Er setzte von der ersten Sekunde an auf offene Kommunikation und selbstständiges Arbeiten. Wenn eine Neueinstellung ansteht oder auch bei Materialbestellungen, bezieht Greßmann das Team ein. „Das bindet“, findet er.
Der Zahnarzt behandelt derzeit allein, weil er keinen Kollegen findet. Ein gut funktionierendes Team sei da umso wichtiger. Eine gute Stimmung in der Praxis helfe da enorm und er als Chef gebe dafür sein Möglichstes. So schöpft auch er aus dem Vollen, wenn es um zusätzliche Anreize geht. „Jede Mitarbeiterin bekommt ein leistungsbezogenes Gehalt weit über jeglichen Tarifverträgen oder dem Mindestlohn.“ Darüber hinaus bekommen sie je nach Bedarf einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt – Modell und Farbe dürfen sie selbst aussuchen. Den Sprit bezahlt die Praxis. Außerdem überlässt der Praxisinhaber Verantwortungsträgern im Team ein Tablet, Smartphone oder Notebook. Einkaufsgutscheine, Zuzahlungen zur KiTa und vermögenswirksame Leistungen gibt es obendrauf.
Interview mit Führungscoach Maike Klapdor
„Menschen möchten in ihren Stärken erkannt und gefördert werden“
Was ist für gute, langfristige Zusammenarbeit wichtig?
Maike Klapdor: Aus der Sicht der Mitarbeiter geht es um zentrale Fragen: Macht es mir Freude, morgens hinzugehen? Fühlt sich das Teamklima gut für mich an, gibt es verlässliche Organisationsstrukturen, werde ich in meinen Fähigkeiten gesehen und gefördert, bekomme ich regelmäßig ein konstruktives Feedback und qualifizierte Entwicklungsgespräche?
Sich selbst einbringen zu können ist auch ein wichtiger Aspekt: Werde ich nach meiner Meinung gefragt, werde ich eingebunden in Entscheidungsprozesse, sind meine Ideen willkommen? Habe ich Aufgaben, die meinen Stärken entsprechen? Erlebe ich Wertschätzung für meine Arbeit? Fühle ich mich fair bezahlt? Muss ich mit Weggang drohen, damit die dringend nötige Gehaltsanpassung kommt oder kann ich mich darauf verlassen, dass die Praxis aus sich selbst heraus auf ein zeitgemäßes Gehaltsniveau und angemessene Anpassungen achtet? Entlang dieser Mitarbeiter-Bedürfnisse sind operative Führungsaufgaben auszurichten.
Wie können sich Praxisbetreiber als Arbeitgeber von der Konkurrenz abheben?
Mit einer persönlichen Haltung, aus der Mitarbeiter erkennen können: Hier wurde verstanden, was zukunftsfähige Kultur ausmacht. Hier sind die Führungskräfte bereit, vor der eigenen Tür zu kehren, sich selber zu entwickeln und sich dafür zu engagieren, dass das gesamte Team gut untereinander kooperiert und jeder einzelne ausreichend Aufmerksamkeit bekommt. Dafür ist es entscheidend, Führung nicht nebenbei im Minimalmodus vom Praxismanagement erledigen zu lassen. Sondern zu erkennen, welcher Schatz sich in qualifizierter Führung verbirgt, entsprechende Kapazitäten dafür einzurichten und Sachkompetenz aufzurüsten.
Außerdem wichtig: ein ausreichendes Personalkostenbudget. Dazu gehört eben auch, sich positiv damit zu arrangieren, dass die Gehaltsniveaus grundlegend gestiegen sind. Wer gute Mitarbeitende haben möchte, muss sie anständig bezahlen. Bei den ZFAs und ZMPs, insbesondere den bewährten, langjährig loyalen Kräften, gibt es hier in vielen Praxen noch erheblichen Nachholbedarf.
Was schweißt auf lange Sicht noch zusammen im Praxisalltag?
Ich empfehle, darauf zu achten, dass die Team-Meetings (der Modus ist abhängig vom Praxiskonzept und der Praxisgröße) regelmäßig durchgeführt werden und zwar in guter Qualität, so dass die Leute sich darauf freuen und sich aktiv beteiligen. Das befördert den Schulterschluss im Team und ist ein wichtiges Instrument, um die Praxisziele zu erreichen. Wie das genau geht, kann man lernen.
Außerdem sind Team-Events wichtig – und zwar mehrere im Jahr, nicht nur zu Weihnachten. Vom gemeinsamen Trommel-, Töpfer- oder Kochkurs über die klassische Grillparty oder Teamtage bis hin zum mehrtägigen Ausflug, in den bei Interesse auch ein Workshop für Praxisthemen integriert werden kann.
Wie kann man Fallstricke im Recruiting vermeiden?
Für neue Mitarbeiter gilt: Bauen Sie eine niedrige Kontaktschwelle. Ermöglichen Sie eine schnelle Kontaktaufnahme mit wenigen Klicks per WhatsApp oder über einen anderen digitalen, einwandfrei und schnell funktionierenden (!) Online-Kanal. Und erwarten Sie für ZFA- oder ZMP-Stellen kein perfekt ausformuliertes Anschreiben oder das Mitschicken eines (womöglich lückenlosen) Lebenslaufs mit Zeugnissen. Gehen Sie sehr schnell in den persönlichen Austausch und schauen Sie, ob es menschlich passen kann und lassen Sie die notwendigen Unterlagen erst zum persönlichen Gespräch mitbringen oder nachreichen.
Und genauso wichtig: die guten, loyalen Mitarbeiter, die sich in der Praxis engagieren, nicht aus den Augen verlieren! Hören Sie hin, wie die individuellen Bedürfnisse sind und tun Sie etwas dafür, dass die Menschen sich wohlfühlen und an Bord bleiben wollen.
Das Gespräch führte Laura Langer.
Jede Mitarbeiterin bekommt darüber hinaus zehn Wochen bezahlten Urlaub im Jahr und ein 13. Monatsgehalt. Alle Mitarbeiterinnen arbeiten dreieinhalb bis vier Tage die Woche und teilen sich die Zeit flexibel ein. Teamevents, zu denen auch mal ein Christmas Shopping in New York oder London gehört oder zu Fasching vier Tage gemeinsames Skifahren, sollen den Zusammenhalt stärken und Wertschätzung vermitteln.
„Wir lachen auch nach einem Zehn-Stunden-Tag“
Und was tut der Chef fürs Arbeitsklima? „Wir reden viel miteinander – und zwar völlig unbefangen. Meine Mitarbeiterinnen wissen, dass sie immer und immer wieder zu mir und den Kolleginnen kommen können. Dieser Austausch erleichtert die Arbeitsabläufe sehr und ich weiß, wo die Angestellten stehen“, erklärt Greßmann seine Führungskultur. Jeden Morgen gibt es eine Teambesprechung mit allen und jeder kann dort alles fragen. „Wenn aber einer unter vier Augen sprechen will, steht meine Tür stets offen.“
Etabliert hat er auch, dass die Angestellten sich gegenseitig helfen. „So können wir auch nach einem Zehn-Stunden-Tag noch miteinander lachen, statt dass es Unmut gibt, weil die Arbeit ungleich verteilt war. Keiner ist sich für irgendeinen Job zu schade.“ Für die Entwicklung motiviert er zu Fortbildungen zur ZMP, ZMV oder DH, die die Praxis bezahlt.
Was geht seiner Meinung nach gar nicht und kann ein Grund dafür sein, dass jemand geht? „Ein No-Go ist, die Mitarbeiter vor dem Patienten zu rügen und den Chef raushängen zu lassen oder sie ungleich zu behandeln, also ‚Lieblinge‘ zu haben“, sagt er. Jede Mitarbeiterin müsse dort abgeholt werden, wo sie steht. „Ich versuche auch keine Geheimnisse zu haben. So kann jede Mitarbeiterin bei uns die Tagesumsätze einsehen.“ Transparenz biete weniger Nährboden für schlechte Stimmung.
„Wir wollen jede Einzelne wachsen sehen“
Mit Dr. Petra Volz, die gemeinsam mit ihrem Mann zwei Praxen, die „fotzn´spanglerei“ im bayerischen Garmisch und in Partenkirchen betreibt, sprachen die zm bereits für den Beitrag zum Social Recruiting (zm 4/2022). Für sie ist nach der Mitarbeitergewinnung das Halten der neu gewonnenen Teammitglieder mindestens ebenso wichtig.
Die Praxischefin und ihr Mann führen 22 Mitarbeiterinnen und versuchen, einen freundschaftlichen Umgang mit ihnen zu pflegen. Volz war selbst einmal ZFA und kennt die Perspektive der Mitarbeiterinnen. Wertschätzung braucht man ihr nicht zu erklären. Die junge Praxis ist noch dabei eine Feedback-Kultur zu entwickeln und zu etablieren. Eine flache Hierarchie, viel Eigenverantwortung und Vertrauen in die Mitarbeiterinnen sollen gelebt werden.
Interview mit dem Praxisberater René Ramcke
„Das Gehalt ist bekanntlich nur ein Hygienefaktor“
Worauf achten Mitarbeiter von Beginn an?
René Ramcke: Bevor ein erster Kontakt mit der Praxis zustande kommt, analysieren die meisten Bewerber sämtliche Informationen, die sie über den möglichen neuen Arbeitsplatz finden können. Das bedeutet, sie schauen sich auf jeden Fall den gesamten Online-Auftritt an. Die Praxis-Website und die Social-Media-Accounts sind also das Fenster zur Praxis und vermitteln erste Eindrücke.
Dabei stellen die Bewerber sich womöglich diese Fragen: Wie sieht es in der Praxis aus? Ist sie modern und gut ausgestattet? Wie sehen meine Teamkollegen und meine Vorgesetzten aus? Machen sie einen sympathischen Eindruck? Welche Behandlungen bietet die Praxis an und welche Arbeitsmittel stehen zur Verfügung? Professionelle Bilder sowie ein modernes Webdesign sind da essenziell, um die Bewerber nicht zu verschrecken. Auch Accounts bei Facebook, Instagram und TikTok vermitteln erste Eindrücke aus der Praxis, können Bedenken verringern und zur Bewerbung motivieren. Kurz gesagt: Mitarbeiter achten durchaus auf die Ausstattung und die Stimmung in der Praxis.
Was können Praxischefs tun, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren?
Um aus der Masse anderer Zahnarztpraxen hervorzustechen und neue Mitbewerber für sich zu gewinnen, reicht es nicht mehr aus, einfach nur ein gutes Gehalt zu zahlen. Zusatzleistungen, die über ein gutes Gehalt hinausgehen, sind erforderlich, um das knappe Gut qualifizierter Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Darüber hinaus sollte die Wertschätzung und Anerkennung gegenüber den eigenen Mitarbeitern selbstverständlich sein. Ein kleines Lob kann einen großen positiven Effekt auf die Motivation haben. Wertschätzende und lobende Praxisinhaber, die das Team regelmäßig nach Feedback fragen und eine Atmosphäre schaffen, in der sich Arbeit nicht nur nach Arbeit anfühlt, haben einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil. Denn zufriedene Mitarbeiter, die eben diese Zufriedenheit nach außen tragen, sind die beste Werbung, die man haben kann.
Doch die besten Mitarbeiter-Benefits und die stärkste Arbeitgebermarke sind fast wertlos, wenn Sie dies nicht nach außen kommunizieren. Professionell oder gut geführte Social-Media-Accounts bei Facebook, Instagram und TikTok sollten zu jeder Praxis gehören, die sich als begehrenswerter Arbeitgeber positionieren und künftig qualifizierte Mitarbeiter gewinnen möchte – das raten wir heute jedem.
Wie sehen diese begehrten Zusatzleistungen für die Bindung aus?
Arbeitgeberseitige Zusatzleistungen sind ein exzellentes Instrument, um einerseits bestehende Mitarbeiter an sich zu binden und andererseits neue Mitarbeiter für sich zu gewinnen. Hierbei sind der eigenen Kreativität keine Grenzen gesetzt: Neben Klassikern wie Jobticket, Tankgutscheinen, Mitgliedschaft im Fitnessstudio sowie betrieblicher Altersvorsorge bieten viele Praxen ihren Mitarbeitern auch betriebliche Smartphones, Firmenwagen, Extra-Urlaubstage oder auch kostenlose Massagen an. Besonders gern gesehen seitens der Arbeitnehmer werden gemeinsame Team-Events, bezahlte Fortbildungen, Entwicklungsmöglichkeiten und regelmäßige Feedbackgespräche.
Was sind Fehler, die eine Praxisführung vermeiden sollte?
Zu den größten Fehlern bei der Mitarbeiterbindung gehört, sich nicht regelmäßig im Team auszutauschen, also keine regelmäßigen Mitarbeitergespräche zu führen. Auch Team-Events zu vernachlässigen oder allgemein keine gute Struktur und Organisation in der Praxis zu haben und natürlich die Wertschätzung jedes einzelnen Mitarbeiters im Praxisalltag zu vergessen, dies alles ist fatal für die Bindung.
Was ist der psychologische Background dazu?
Durch wiederkehrende Feedback-Gespräche geben Sie den Mitarbeitern die Möglichkeit, den eigenen Arbeitsplatz mitzugestalten und sich persönlich zu entfalten. Klare Strukturen und Praxisprozesse, eine festgelegte Rollenverteilung und eine gute Führung der Mitarbeiter sind elementar, um für ein gutes Arbeitsklima und einen geregelten Praxisalltag zu sorgen. Das motiviert unserer Erfahrung nach um einiges mehr, als 100 Euro im Monat obendrauf zu verdienen. Das Gehalt ist bekanntlich nur ein Hygienefaktor, der Unzufriedenheit vermeiden, aber nicht wirklich die Zufriedenheit fördern kann.
Das Gespräch führte Laura Langer.
Warum die Mitarbeiterbindung bereits mit dem Kennenlernen beginnt, erklärt René Ramcke hier.
Auch Volz setzt auf Persönlichkeitsentwicklung. Sie selbst besucht Führungskräftecoachings. Ihr Credo: „Wir pflegen das Selbstverständnis als Förderer und Coach der Mitarbeiter, nicht als Vorgesetzter. Wir wollen jede Einzelne wachsen sehen, persönlich wie fachlich.“ Sie weiß aber auch, dass dieses Selbstverständnis von Führung die Gefahr birgt, zu nett zu sein und junge Mitarbeiter zu überfordern. „Dieser Führungsstil setzt eine gewisse Reife voraus, damit die Mitarbeiterin mit diesen Freiheiten umgehen kann. Diese Reife muss erst erlernt werden, dazu muss man den Führungsstil individuell anpassen, um die Einzelne in ihrem Tempo dahin zu entwickeln. Mündige und eigenverantwortliche Mitarbeiter erzeugen automatisch ein höheres Diskussionspotenzial beziehungsweise stellen eher etwas infrage als bei einer direktiven oder autoritären Führung.“
„Irgendwann ist man als ZFA schmerzbefreit“
Die ZFA Birte Rutkowski weiß, wie es gut laufen kann und wie nicht. Sie hat in mehreren Hamburger Praxen gearbeitet, in ländlich gelegenen, in Einzelbehandlerpraxen, in Mehrbehandlerpraxen und auch in einem MVZ. Oft konnte sie schon aus dem ersten Eindruck ableiten, was sie erwarten würde, berichtet sie. „Ich habe mich in Praxen vorgestellt, die mir nicht mal die Räumlichkeiten gezeigt haben. Dabei möchte ich doch meinen zukünftigen Arbeitsplatz kennenlernen.“
Einmal habe sie einen Vorstellungstermin erlebt, wo der Chef sie direkt nach einer Behandlung in dem Raum empfing, mit noch nassen Händen ihre Mappe von einer Tischseite auf die andere legte, ohne sie zu lesen, und dann einfach nur fragte „Wann können Sie anfangen, was wollen Sie verdienen?“. Als erfahrene ZFA bezeichnet sie sich inzwischen als „schmerzbefreit“. Sie habe tatsächlich in der Praxis angefangen. „Ich habe meine Prinzipen über den Haufen geworfen, weil ich gemerkt habe, wie sehr mein damaliger Chef Mitarbeiter brauchte und dass ihm aus dieser Not heraus die Wahrung der Form egal war. Das sollte aber natürlich nicht die Regel sein. Ausgehalten habe es in dieser Praxis dann sieben Monate“, berichtet sie. Es sei einfach unmöglich gewesen, Struktur und Ordnung in den Praxisalltag zu bringen.
„Für mich zählt eigentlich schon der erste Eindruck für einen gelungenen Neubeginn und das Gefühl, hier auch länger anzukommen“, so Rutkowski. Dazu gehörten auch vermeintlich kleine Gesten, etwa ob vor Arbeitsbeginn nach der Konfektionsgröße gefragt wird, damit die Praxiskleidung passend bestellt werden kann. „Es gibt kaum etwas Geringschätzenderes, als einer neuen Mitarbeiterin gebrauchte Kleidung anzubieten!“ Zuwider ist ihr auch, wenn ihr das Gefühl vermittelt wird, sie müsste ab dem ersten Tag alles alleine schaffen. Eine Einarbeitungszeit von vier Wochen braucht ihrer Ansicht nach auch eine erfahrene ZFA. An ihre Grenzen komme sie, wenn sie für blöd gehalten wird: „Wie soll ich mich da angekommen fühlen?“
Unstimmigkeiten entstünden etwa, wenn es keinen Ansprechpartner oder Vertretungskollegen gibt oder wenn versäumt wird, eine neue Kollegin vorzustellen. Überstunden findet sie nur im Ausnahmefall gerechtfertigt, dafür flexiblere Arbeitszeiten und klare Urlaubsregelungen. Was hält sie sonst langfristig für wichtig? „Klare Linien und Strukturen. Und einen Chef, der mit gutem Beispiel vorangeht und seine Mitarbeiter mit ins Boot holt“, sagt Rutkowski. Dabei helfe ihrer Erfahrung nach eine gemeinsame Vision, an deren Umsetzung alle Spaß haben.Jeder soll Verantwortung in seinem klar definierten Bereich übernehmen dürfen. Immer wenn eine gute Leistung erbracht wurde, sollte auch gelobt werden – das möchte sie Praxisführern gerne mitgeben. Und ganz klar: Karriereperspektiven. „Unser Beruf und das Umfeld sind so abwechslungsreich. Wenn man uns zeigen kann, dass und wie wir wachsen können, pusht das ungemein.“
„Wertschätzung sollte groẞgeschrieben werden“
Gründe zu bleiben seien zum einen konstruktive Feedback- und Mitarbeitergespräche, um auf Fehler, Stärken und Potenziale aufmerksam gemacht zu werden. „Anstatt gar nicht oder hinten rum zu erfahren, dass Unzufriedenheit herrscht.“ Auch gute Arbeitsmaterialien schätze sie. Und natürlich den richtigen Spirit im Team: „Als Praxisführung muss man sich bewusst sein, dass man die Praxis nur gemeinsam im Team erfolgreich führen kann. Der Chef muss in der Lage sein, Aufgaben delegieren zu können. Er muss authentisch und verlässlich sein. Er sollte sich für die Belange seiner Mitarbeiter interessieren oder diese Aufgabe an eine geeignete Mitarbeiterin abgeben. Wertschätzung sollte großgeschrieben werden. Nichts im Leben ist selbstverständlich. Ein Team ist mehr als eine Ansammlung von Menschen. Es ist ein Prozess des Gebens und Nehmens.“
Wenn alle zusammenarbeiten und -halten, könne ein Gemeinschaftsgefühl entstehen und aus der Praxis ein erfolgreiches Unternehmen werden, in dem sich jeder verstanden fühlt und gerne bleibt.