„Nachhaltigkeit ist kein Modethema!“
Wo sehen Sie einen Bezug zwischen Aspekten der Nachhaltigkeit und der Zahnmedizin?
PD Dr. Daniel Hellmann: Bei dieser Frage ist zunächst zu hinterfragen, was wir unter dem Begriff der Nachhaltigkeit verstehen wollen. In der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe haben wir uns darauf verständigt, dass wir uns an der Agenda 2030 der Vereinten Nationen orientieren wollen. Von den darin postulierten 17 Nachhaltigkeitszielen sehen wir einen direkten Bezug der Zahnmedizin zu den Zielen Nr. 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ und Nr. 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“.
Vermutlich werden auch die meisten Leser den Begriff der Nachhaltigkeit mit Klima- und Umweltschutz in Verbindung bringen. Aber bedeutet Klima- und Umweltschutz tatsächlich (auch) Gesundheitsschutz?
Der Einfluss der globalen Erwärmung auf die Gesundheit hat viele Aspekte. Häufig angeführt werden zum Beispiel eine steigende Allergenexposition, der Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und besondere Herausforderungen durch hitzebedingte Arzneimittelwechselwirkungen. Aus der Klimaerwärmung resultieren Herausforderungen an die institutionelle Organisation des Gesundheitswesens in den Bereichen der Prävention, der Begleitung von längerfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen sowie für Ad-hoc-Interventionen in Hochrisikosituationen – wir reden hier in der Medizin also über die Notwendigkeit einer strukturellen Anpassung in der Organisation unserer Gesundheitsversorgung.
Wenn Sie es global betrachten wollen, ist festzustellen, dass in einigen wissenschaftlichen Publikationen rund ein Viertel aller Todes- und Krankheitsfälle auf eine von Menschen gemachte Umweltverschmutzung und -zerstörung zurückgeführt wird. An dieser Stelle sollte jedem Menschen klar werden, dass wir bei der Nachhaltigkeit nicht über ein Modethema sprechen.
Wo sehen Sie den direkten Zusammenhang zur Zahnmedizin?
Beim direkten Bezug zwischen Klimaschutz und Zahnmedizin gibt es definitiv Forschungsbedarf. Gegenstand von Untersuchungen in der Vergangenheit waren zum Beispiel der direkte Einfluss des Klimawandels auf die Modulation der Immunantwort auf einen dysbiotischen Biofilm oder der indirekte Einfluss von Allgemeinerkrankungen auf die Parodontitis. Ein Einfluss auf die Intensität der Beschwerden einer bestehenden CMD wird ebenfalls diskutiert. Es bleibt allerdings festzustellen, dass die hier angeführten Hypothesen einer vertiefenden Untersuchung bedürfen und noch nicht als tatsächlich gesichert betrachtet werden können.
Wo sehen Sie in der Zahnmedizin die größten Möglichkeiten einer Reduktion des CO2-Fußabdrucks einer Praxis?
Natürlich beginnt alles im Kleinen. In der Praxis kann mithilfe von Einsparungen an Energie, dem schonenden Umgang mit Ressourcen und der Vermeidung von Abfall schon viel getan werden. Allerdings zeigen erste wissenschaftliche Daten aus der Zahnmedizin, dass knapp 50 Prozent der Kohlenstoffemissionen auf das Konto der Mobilität zu verbuchen sind. Gemeint sind tatsächlich die Wege, die das Praxisteam und die Patienten zum Erreichen der Praxis zurücklegen. Hier ist das Handeln einer jeden Person gefordert, um Emissionen zu verringern.
Können Sie hier noch konkreter werden?
Ja, sicher. Also, wir müssen uns als Gesellschaft auch umwelt- und gesundheitspolitischen Fragen stellen. Neben der Verhaltensänderung in Bezug auf die individuelle Mobilität ist die Reduktion der Anzahl der Patientenkontakte ein nachhaltiger Weg. Als Beispiel führt mein Vertreter in der Akademie, PD Dr. Andreas Bartols, gerne die Endodontie an. Wir wären heute in vielen Fällen in der Lage, eine perfekte endodontische Versorgung in nur einer Sitzung zu realisieren. Ebenfalls sehr großes Einsparpotenzial an Patientenkontakten läge in der Digitalisierung der prothetischen Zahnmedizin. Die Ausbildung in solchen Verfahren und die Schaffung der technischen Voraussetzungen zur Durchführung solcher modernen Versorgungsformen müssten aber über das Honorar vergütet werden. Hier müssen politische Wertentscheidungen getroffen werden.
Karlsruher Konferenz 2022
Die Karlsruher Konferenz 2022 der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung mit dem Schwerpunkt „Nachhaltige Zahnmedizin“ findet am 18. März von 9 Uhr bis 18.30 Uhr als reine Online-Veranstaltung statt. Am 19. März um 11 Uhr schließt sich der Karlsruher Vortrag an, ebenfalls online. Auf dem Programm stehen zahlreiche Vorträge von Prävention bis Klimaschutz für Zahnärztinnen und Zahnärzte wie auch für Praxisteams. Mehr dazu unter: www.karlsruher-konferenz.de
Weitere relevante Faktoren sind die Herstellung der Dentalprodukte und die Lieferketten. Hier sind also auch die Industrie und die Depots gefordert, eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Natürlich kann die Zahnärzteschaft durch eine veränderte Nachfrage einen gewissen Druck aufbauen, aber bei den genannten Punkten ist ebenfalls die Politik gefordert.
Welche Initiativen und Strategien gibt es in Deutschland, um Zahnärztinnen und Zahnärzte für nachhaltige Maßnahmen zu sensibilisieren?
Es gibt eine Vielzahl an Initiativen aus der Medizin, innerhalb derer die Zahnmedizin bisher jedoch kaum oder nicht beteiligt ist. Daher ist es das Ziel der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe, die Zahnmedizin auf breiter Ebene mobilisieren zu wollen. Zu diesem Zweck haben wir für Mitte März 2022 die „Nachhaltige Zahnmedizin“ zum Thema der Karlsruher Konferenz gemacht. An diesem Tag werden wir uns den eingangs angeführten Zielen Nr. 3 und Nr. 13 der Agenda 2030 widmen und hoffen, damit einen Impuls in die Kollegenschaft geben zu können.
Mit welchen thematischen Schwerpunkten werden Sie sich dort befassen?
Neben den zahnmedizinischen Themen geht es um die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf den Menschen. In einem weiteren Schwerpunkt wird Prof. Dr. Brett Duane aus Dublin als einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet über den Stand der Nachhaltigkeit und die in der Zahnmedizin zu bewältigenden Aufgaben berichten. Es werden ärztliche Initiativen zum Klimaschutz vorgestellt, die uns Vorbild und Partner sein können und wir werden informieren, wie wir am Ende des Tages die unvermeidbaren Emissionen unserer Tätigkeit kompensieren können. Für den an die Konferenz angegliederten Karlsruher Vortrag 2022 haben wir Prof. Dr. Michael Braungart aus Hamburg gewinnen können. Er gehört zu den Begründern der „Cradle to Cradle“-Bewegung – also der Kreislaufwirtschaft und der Idee der Wiederverwertung – und kann sicher als ein Visionär und Vordenker auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit bezeichnet werden.
Welche Vision haben Sie persönlich, um das Thema in der Kollegenschaft weiter zu verankern?
In der Akademie haben wir eine Stelle für eine Mitarbeiterin geschaffen, die sich auf dem Weg der Qualifizierung zur Expertin im Umweltmanagement im Gesundheitswesen befindet. Auf der Basis von Initiativen im eigenen Haus und mithilfe der fundiert ausgebildeten Kollegin werden wir interessierten Praxisteams Hilfestellung auf dem Weg in die Nachhaltigkeit geben.
Zusätzlich hoffe ich als Beauftragter für Umwelt und Nachhaltigkeit der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg im Rahmen der Standespolitik auf Landes- und Bundesebene Akzente setzen zu können, mit denen eine nachhaltige Entwicklung in der Zahnmedizin vorangetrieben werden kann.
Die Fragen stellte Gabriele Prchala.