„Von Botox-Injektionen in den M. masseter in den Räumen einer Parfümerie rate ich ab“
Frau Dr. Görl, wie bewerten Sie diesen Therapieansatz?
Dr. Steffani Görl:
Die Botulinumtoxin-Injektion in den M. masseter hat sich in der zahnärztlichen Applikation zur Behandlung ansonsten therapieresistenter myogener Beschwerden bei Bruxismus oder CMD mit Myopathie als Bruxismusfolge bewährt. Die Anwendung ist keine zugelassene Indikation (Off-Label-Use).
Mangels entsprechender Herstellerangaben existiert dazu kein einheitliches Protokoll zur Art der Anwendung, Dosierung und dem Applikationsintervall. Zu beachten sind die eingeschränkte Indikation sowie die möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen.
Was ist davon zu halten, wenn diese Therapie in den Räumen einer Parfümerie von Fachärzten angeboten wird?
Von Botulinumtoxin-Injektionen in den M. masseter in den Räumen einer Parfümerie rate ich und rät die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) dringend ab. Bei dieser Maßnahme handelt es sich nach Vorgabe der S3-Leitlinie Bruxismus um die letzte Option bei ansonsten therapieresistentem Bruxismus beziehungsweise einer nicht erfolgreich behandelbaren CMD mit Betonung myogener Probleme.
Bevor Botulinumtoxin zum Einsatz kommt, sollte das gesamte Spektrum der konventionellen CMD-Therapie fachgerecht und für eine angemessene Dauer von spezialisierten Zahnärztinnen und Zahnärzten durchgeführt werden.
Ob diese leitlinienkonform erfolgte, lässt sich in den Räumen einer Parfümerie nicht überprüfen. Hinzu kommt, dass hierbei nach aktuellem Stand eine Injektion tief in die Muskulatur erfolgt – mit den grundsätzlichen damit verbundenen Risiken. Das Umfeld einer Parfümerie impliziert unweigerlich die Behandlung als kosmetische Maßnahme. Davon sollte sich die Zahnärzteschaft deutlich distanzieren.
Ist es für die Fachärzte in den Douglas-Filialen möglich, bei Erstterminen mit unbekannten KundInnen einen therapieresistenten Bruxismus zu diagnostizieren? Wie sieht eine leitliniengerechte Diagnosestellung hier aus?
Die Diagnostik von Bruxismus basiert auf einer Kombination von Anamnese und klinischer Untersuchung (siehe Bruxismus-Screening-Index der DGFDT). Auch die Selbstbeobachtung, gegebenenfalls mit Unterstützung durch moderne Technologien, stellt dabei einen wichtigen Aspekt dar. Bei einer gründlichen Untersuchung der Zahnhartsubstanzen und der oralen Weichgewebe können zudem Hinweise auf das Vorliegen von Bruxismus gefunden werden. Diese Diagnostik kann durch tragbare EMG-Geräte, eingefärbte Indikatorschienen oder Polysomnografie (kritische Aufwand-Nutzen-Abwägung) ergänzt werden. Ich bezweifle, dass in Parfümerie-Filialen, insbesondere bei Erstterminen, eine angemessene Diagnostik möglich ist.
Es geht bei der Indikationsstellung für Botulinumtoxin-Injektionen jedoch nicht darum, Bruxismus zu diagnostizieren, sondern die Indikation ist allein der therapieresistente Bruxismus. Dies setzt voraus, dass eine geeignete Therapie über einen angemessenen Zeitraum durchgeführt wurde und danach eine Reevaluierung der Symptome und Beschwerden erfolgt ist.
Was muss man bei der Risiko-Nutzen-Abwägung berücksichtigen?
Bei der Botulinumtoxin-Injektion in den M. masseter bei myofaszialen Schmerzen infolge CMD und Bruxismus handelt es sich um einen Off-Label-Use. Zwar belegen zahlreiche Studien die Wirksamkeit dieser Maßnahme, die Produkte sind jedoch nicht für die Anwendung bei CMD und Bruxismus zugelassen. Zudem werden diverse unerwünschte Nebenwirkungen beschrieben: Keine ausreichende Wirkung oder eine Wirkung in unerwünschten Regionen sowie die Bildung von Antikörpern und die lokale Reduktion der Knochendichte sind nur einige davon. Aufgrund unterschiedlicher Studienprotokolle existiert weder für die Dosierung noch für die exakte Applikation eine Anwendungsempfehlung.
Letztendlich sind auch die Kosten des Präparats nicht unerheblich. Daher sollten Risiko und Nutzen einer Botulinumtoxin-Injektion sehr kritisch von in der Therapie von CMD-Patienten erfahrenen KollegInnen abgewogen werden. Bisher nicht abschließend geklärt ist zudem, ob eine tiefe Injektion in den M. masseter unter Ultraschallkontrolle erfolgen sollte.
Was sind die Risiken einer tiefen Injektion?
Abgesehen von den zuvor genannten Nebenwirkungen des Präparats selbst bestehen auch aufgrund der Applikationsart multiple Risiken. Durch die extraoral angewendete tiefe intramuskuläre Injektion an mehreren Stellen des Muskels kann es zu lokalen Schmerzen, Rötungen, Schwellungen, Entzündungen, Parästhesien/Hypästhesien, Ödemen, Erythemen, Juckreiz, Blutungen, Hämatomen und Infektionen kommen. Auch vasovagale Reaktionen und applikationsferne Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Müdigkeit wurden beschrieben. Die Länge der Aufzählung unterstreicht die Notwendigkeit einer gründlichen Risiko-Nutzen-Abwägung und einer angemessenen Patientenaufklärung.
Die Fragen stellte Marius Gießmann.