36. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI)

Die Biologie als Orientierung in der Vielfalt

„Biologie – unser Kompass in der Implantologie“ – unter diesem Motto stand der 36. Kongress der DGI, der vom 
24. bis zum 26. November 2022 in Hamburg stattfand. Das wissenschaftliche Programm war breit aufgestellt: 
Das Themenspektrum reichte von der Augmentation der Hartgewebe über das Weichgewebemanagement bis zu 
den digitalen Arbeitsprozessen und der Materialwahl.

Mit der fortschreitenden Aus­weitung der Indikationen für dentale Implantationen und einer gleichzeitig gestiegenen Zahl an Therapieoptionen und Materialien erhält die Implantologie immer komplexere Aspekte. Vieles ist heute möglich, aber viel zu selten noch ist der Erfolg neuer Therapien auch tatsächlich sicher vorhersagbar beziehungsweise gibt es nur die eine „beste“ Therapie­option. Studien und Langzeitdaten sind in vielen Fällen nicht oder nur begrenzt verfügbar. Deshalb ist — gerade wenn es um neue Materialien und Therapieoptionen geht —  der Austausch über die klinischen Erfahrungen mit dem Neuen notwendig und hilfreich. Hier bot der DGI-Kongress reichlich Experten und Plattformen für die Kommunikation.

Trotz der Vielfalt an Möglichkeiten bleibt jedoch eine Konstante verlässlich erhalten: Der Erfolg der zahnärztlichen Implantattherapie entscheidet sich letztlich an der Biologie des individuellen Patienten. Es ist zweifellos das Verdienst der Veranstalter, mit dem Kongressthema auf die Fortgeltung des zentralen Koordinatensystems von Therapie und Heilung hinzuweisen: „Die Biologie ist der entscheidende Katalysator, der alle beteiligten Gebiete miteinander vernetzt, sie ist der Kompass für uns in der Implantologie und wir haben sie darum auch in den Mittelpunkt unseres Kongresses gestellt“, sagte Kongresspräsident Beuer.

Die Teilnehmer erwartete ein umfangreiches wissenschaftliches Programm mit insgesamt acht themenspezifischen Sessions, dazu Workshops, ein Forum Wissenschaft mit Kurzvorträgen, Tischdemonstrationen, Posterpräsentationen und einem Forum der AG Keramik. Darüber hinaus legten die Kongresspräsidenten Wert auf klare und verbindliche Aussagen in den Präsentationen: Jeder Referent hatte drei vorab festgelegte Fragen, die mit konkreten Take-home-Messages beantwortet werden mussten. Für die zm berichten fünf Teilnehmer aus den Sessions des Hauptprogramms. br

Session „Implantat – Ja oder nein?“

Dentale Implantate und der implantatgetragene Zahnersatz zeigen hohe klinische Erfolgsraten [Schubert et al., 2022]. Doch ab wann sind Implantate therapeutisch sinnvoll? In der Session „Implantat – Ja oder nein?“ versuchten Dr. Josef Diemer (Meckenbeuren), Prof. Dr. Matthias Kern (Kiel) und Dr. Claudio Cacaci (München) diese Frage zu beantworten.

Diemer thematisierte einen Fall, bei dem eine Extrusion eines prothetisch nicht mehr zu versorgenden Zahnes durchgeführt wurde. Ob die Extrusion der Implantation überlegen ist, stellt grundsätzlich eine schwierige, therapeutische Entscheidung dar. Diemer machte dabei insbesondere auf die Rot-Weiß-Ästhetik als entscheidendes Kriterium für die Therapieplanung aufmerksam. Im Fall einer implantatprothetischen Versorgung bei einer Schaltlücke im Frontzahnbereich besteht die Gefahr von ästhetischen Einbußen, wenn benachbarte natürliche Zähne im Laufe der Zeit extrudieren, wobei eine Infraposition des Implantats und der Verlust des Approximalkontakts auftreten können [Bernard et al., 2004; Thilander, 2009].

Auf die Bedeutung der Rot-Weiß-Ästhetik, wenn es um die konventionelle Versorgung einer Schaltlücke im Frontzahnbereich mit einer Adhäsivbrücke geht, wies auch Kern in seiner Präsentation hin. Er betonte, dass jede Ausgangssituation individuell unter Berücksichtigung des vorhandenen Knochenangebots, der Lückenausdehnung und des Zustands der Nachbarzähne betrachtet werden sollte. Darüber hinaus sind das Alter, die allgemeine sowie die spezielle Anamnese des Patienten von Bedeutung. Studien bestätigen, dass Adhäsivbrücken im Vergleich zu implantatprothetischen Versorgungen bei Schaltlücken im Frontzahnbereich ästhetisch vorteilhafter und weniger komplikationsbehaftet sein können [Lam Walter, 2013; Sassea und Kern, 2013].

Kern betonte weiterhin, dass eine adäquate ovoid-pontic-Gestaltung des Brückenzwischenglieds im Frontzahnbereich ideale, ästhetische Ergebnisse liefert und das Weichgewebe erhalten kann. Auf den Erhalt des Weichgewebes und des Kieferknochens wies auch Cacaci hin, der auf die richtige Abutmentgestaltung aufmerksam machte. Wenn es um die Langzeitprognose der Behandlung geht, sollen außerdem die Ursache des Zahnverlusts und die entstandene Lückensituation berücksichtigt werden. Vor implantologischen Eingriffen sollte der Patient parodontal stabil eingestellt werden, da der therapeutische Langzeiterfolg ansonsten negativ beeinflusst wird. Neben dem parodontalen Ausgangsbefund ist auch auf die allgemeine Anamnese des Patienten zu achten — so geht Studien zufolge beispielsweise die Einnahme von Antidepressiva mit höheren Implantatverlustraten einher.

Alle Referenten stimmten zusammenfassend darin überein, den Patienten intensiv in den Entscheidungsprozess der Therapieplanung einzubinden. Ob das Implantat immer die Therapie der Wahl darstellt, sollte individuell vom Behandler gemeinsam mit dem Patienten entschieden werden.

ZÄ Hannah Bleiel, Berlin

Session „Implantat-Abutment-Interface“

Dr. Marco Degidi (Bologna), Dr. Oliver Hanisch (Paris) und Dr. Tomas Linkevicius (Vilnius) erörterten die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Schnittstelle zwischen Implantat und Abutment. Dabei wurde deutlich, dass dem Zusammenspiel von Implantat und Abutment eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung von Knochenverlusten im Zuge der Implantation zukommen könnte.

Trotz der Entwicklungen in der Implantologie in den vergangenen Jahren fällt der Knochenverlust an Implantaten noch immer höher aus als an natürlichen Zähnen. Es besteht daher ein dringender Bedarf an klinischen Studien, in denen verschiedene Einflussfaktoren wie Implantattyp (Tissue level versus Bone level), der Zeitpunkt der Implantation (Sofortimplantation versus Spätimplantation) oder der Zeitpunkt der Belastung des Implantats (Sofortbelastung versus Spätbelastung) untersucht werden. So zeigte Linkevicius, dass sich eine konische Implantat-Abutment-Verbindung positiv auf die marginale Knochenhöhe und das Emergenzprofil auswirken kann. Auch das Eingliedern eines definitiven Abutments zu einem frühen Zeitpunkt (One-time-abutment-concept) zeigte bereits einen reduzierten Knochenverlust nach Implantation, wie Hanisch ausführte. Ein definitives Abutment mit einem reduzierten Durchmesser im Vergleich zum Implantat (Platform-Switching) erwies sich ebenfalls als ein positiver Einflussfaktor für ein erhöhtes Knochenwachstum an der Implantatschulter und ist für Degidi einer der Schlüsselfaktoren für den Erfolg.

Ziel der Forschung sollte sein, Bedingungen zu finden, die eine konstant funktionierende und reproduzierbare Implantatumgebung ermöglichen. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, den Prozess des Knochenabbaus und dessen Ursachen zu verstehen. Darin waren sich die Referenten einig, auch wenn ihre Konzepte durchaus unterschiedlich waren.

Dr. Elisabeth Prause, Berlin

Session „Weichgewebeaugmentation: Weichgewebeverdickung am Implantat“

Weichgewebeaugmentationen können in der Implantattherapie bedeutsam werden, um adäquate Ergebnisse im Blick auf die biologischen, funktionellen und ästhetischen Aspekte am Implantat zu erzielen. Welche aktuellen Methoden sich für eignen, das wurde von Prof. Dr. Michael Stimmelmayr (Cham), Prof. Dr. Daniel S. Thoma (Zürich) und PD Dr. Gerhard Iglhaut (Memmingen) diskutiert.

Wenn es um Augmentationen mit autologem Gewebe geht, gibt es verschiedene Möglichkeiten, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Beliebt sind das freie Schleimhauttransplantat (dünn/dick), das freie oder auch gestielte Bindegewebstransplantat sowie das kombinierte Schleimhaut-Bindegewebstransplantat. Dabei kommen diese je nach Indikation unterschiedlich zum Einsatz. So eignet sich das freie Schleimhauttransplantat einerseits zur Verbreiterung der keratinisierten Gingiva mit Vestibulumplastik und andererseits zur Verdickung der Gingiva mit Socket Seal Surgery oder Implantatfreilegung. Das freie oder gestielte Bindegewebstransplantat hingegen eignet sich zur Verdickung und Stabilisierung der Gingiva und kann dabei vor, während und/oder nach der Implantatsetzung/Implantatfreilegung verwendet werden. Die Bindegewebstransplantate können hierfür entweder vom anterioren Gaumen mittels Single-Incesion-Technik oder vom posterioren Gaumen durch Trap-Door-Technik entnommen werden. Darüber hinaus kann auch die Lappentechnik oder auch offene Technik zur Bindegewebsentnahme eingesetzt werden. Auch Transplantate vom Tuber sind möglich. Das kombinierte Schleimhaut-Bindegewebstransplantat findet Verwendung zur Verdickung und Stabilisierung der Gingiva im Zuge einer Socket-Seal-OP oder einer Sofort­implantation.

Eine Alternative ist die Augmentation mit porciner Kollagenmatrix oder auch porciner azellulärer dermaler Matrix (PADM). PADM ermöglicht eine Augmentation von Weichgewebe und eine Verbreiterung von fixierter Mukosa. Vorteile sind die unbegrenzte Verfügbarkeit und eine geringere Morbidität.

ZA Maximilian Jentsch, Berlin

Session „Hartgewebeaugmentation“

In dieser Session wurden verschiedene Aspekte der Anwendung von auto-, xeno- und allologen Knochenersatzmaterialien erläutert. Dr. Frank Zastrow aus Heidelberg berichtete über die vertikale und horizontale Augmentation mit autologen Schalentransplantaten. Laut aktueller Studienlage zeigen die autologen Augmentate eine vertikale Resorption von weniger als 1 mm. Diese können klassischerweise mit einer Mikrosäge oder Ultraschall­instrumenten im Bereich des Ramus gewonnen werden. Demonstriert wurde unter anderem eine Technik mit der Anwendung eines modifizierten Trepanbohrers. Somit kann bei einem peripheren Ansatz mit der Eindringtiefe des Trepanbohrers von zehn Prozent ein Semilunar-Schall-Block entnommen werden. Solch ein abgerundetes Transplantat sorgt für eine niedrige Dehiszenzrate. Sollten Dehiszenzen doch auftreten, ist ein autologes Augmentat im allgemeinen leichter zu retten.

Prof. Dr. Stefan Fickl aus Fürth berichtete über die GBR-Technik mit xenogenen Materialien, die bei größeren Defekten mit zusätzlichen, horizontal angebrachten Osteosynthesenschrauben stabilisiert werden sollen. Laut aktuellen Studien gibt es keinen Unterschied zwischen allogenem und xenogenem Knochenersatzmaterial im Sinne von vertikalem und horizontalem Knochenvolumenzuwachs, der im Durchschnitt im Bereich vom 3,7 ± 1,2 mm mit partikulärem Material zu erreichen ist. Zur Verbesserung von xenogenem Knochenaugmentat kann dieses mit zehn Prozent autologen „Knochenchips“ vermischt werden. Außerdem kann Hyaluronsäure zur Erhöhung der Vaskularisation verwendet werden.

Dr. Frank Maier aus Tübingen sprach zum Thema „Allogene Knochenersatzmaterialien“. Hier stehen allogene Spongiosa und Kortiko-Spongiosa-Blöcke zur Verfügung. Der Spongiosa-Anteil dient als Platzhalter mit konfluierendem Kanalsystem, während die Kortikalis für den Resorptionsschutz sorgt. Laut aktuellen Studien ist der Unterschied im Knochenzuwachs zwischen autogenen und allogenen Materialien nicht signifikant. Die allogenen Knochenblöcke haben eine geringe Morbidität, eine bessere Adaptation am Knochenlager, besonders wenn diese im Vorfeld demineralisiert sind, und erlauben die Durchführung von größeren Eingriffen unter Lokalanästhesie.

Alle drei Materialgruppen können zum klinischen Erfolg führen, wenn sie korrekt verwendet werden.

PD Dr. Alexey Unkovskiy, Berlin

Session „Prothetischer Workflow“

Dr. Oliver Hugo (Schweinfurt), PD Dr. Guido Sterzenbach (Berlin) und Prof. Dr. Petra Gierthmühlen (Düsseldorf) referierten über den prothetischen Workflow in der Implantatprothetik. Bei der prothetischen Versorgung von Implantaten wird generell zwischen einer Sofort-, einer Früh- und einer Spätbelastung unterschieden. Dabei können die Begrifflichkeiten „Versorgung“ und „Belastung“ gleichgesetzt werden, zumal bei einer prothetischen Versorgung, unabhängig von den Okklusionskontakten, eine Belastung in der Mundhöhle einhergeht.

Beim Konzept der Sofortversorgung erfolgt das Einsetzen einer provisorischen Versorgung direkt nach Implantatinsertion. Implantate können erfolgreich sofortbelastet werden, wenn diese eine Primärstabilität von mindestens 35 Ncm vorweisen und eine präzise Planung der Implantatposition und des darauf abgestimmten Zahnersatzes mithilfe von Backward-Planning erfolgt. Eine Frühbelastung von Implantaten, die eine Belastung in dem Zeitraum von einer Woche bis zu zwei Monaten nach Implantatinsertion darstellt, dient lediglich der Ausformung der Weichgewebe. Der Augmentationsbedarf und die patientenbezogenen Risikofaktoren sollten in der Entscheidungsfindung für eine Sofortimplantation mit Sofort- oder Frühbelastung berücksichtigt werden. In der Literatur gibt es valide Protokolle für eine Spätimplantation mit Spätversorgung und nur klinisch gut dokumentierte Fälle für eine Sofort- und Frühbelastung bei Sofortimplantationen.

Dr. Maren Soetebeer, Berlin

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