Interview mit Gefängniszahnarzt Dr. Christian Oles

„Sexualstraftäter, Betrüger oder Mörder – in all den Jahren war alles dabei!“

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Seit 27 Jahren arbeitet der niedergelassene Zahnarzt Dr. Christian Oles auch in drei ostwestfälischen Justizvollzugsanstalten (JVA). Im Gespräch beschreibt er, wie er dazu kam, im Knast zu behandeln, mit welchen Problemen die Inhaftierten zu ihm kommen und wie es ist, einen Mörder auf dem Stuhl zu haben.

Herr Dr. Oles, wie sieht Ihrer Erfahrung nach der zahnmedizinische Bedarf von Gefängnisinsassen aus?
Dr. Christian Oles: Wir haben relativ viele drogenabhängige Patienten. Die haben natürlich in der Freiheit wenig für die Zahnpflege gemacht. Deshalb ist es auch sehr, sehr viel Bruch, den wir da regelmäßig zu sehen bekommen.

Was bedeutet das konkret?
Nun, viele Zähne sind bis zum Gingiva-Niveau völlig zerstört und meistens nicht mehr zu erhalten. Gängig ist, dass die Patienten erst in der JVA beim Drogenentzug ihre Schmerzen bemerken und dann zu uns kommen. Wir können dann häufig nur noch extrahieren und anschließend den Zahnersatz planen. Und da bekommen die Inhaftierten eine Versorgung wie die gesetzlich Versicherten draußen auch. Die Grundversorgung ist auf jeden Fall gegeben.

Wie sieht es denn bei den Extraktionen oder invasiven Behandlungen mit der Compliance aus?
Das kommt ganz darauf an. Es gibt sowohl Patienten, die einsichtig sind, wie auch solche, die auf einen Zahnerhalt pochen. Aber da gibt es oft keine Chance. Manche verweigern dann die Behandlung, kommen später aber wieder. Das ist schon eine spezielle Klientel in der JVA – und mit der Arbeit in der Praxis natürlich überhaupt nicht zu vergleichen.

Stichwort Behandlungsverweigerung: In einer Doktorarbeit zum Versorgungsbedarf von Inhaftierten in Deutschland heißt es, Gingivitis oder Parodontitis würden in JVAs quasi nicht behandelt.
Das kann ich absolut bestätigen. Bei dieser Patientengruppe fehlt dafür einfach das Interesse. Wichtig ist denen einfach, dass ein Zahn versorgt oder aber gezogen wird. Dann bekommen sie eine Brücke oder beim Verlust der kompletten Bezahnung sogar eine Prothese. Und alles andere ist dann nicht so wichtig.

Worin liegt die größte Herausforderung bei der Behandlung von Inhaftierten?
Zum einen sind es oft sehr umfangreiche Versorgungen, die wir machen müssen. Zum anderen ist der Umgang mit diesen Patienten nicht immer ganz einfach. Im Großen und Ganzen läuft das aber kooperativ ab.

Wie kam es dazu, dass Sie im Gefängnis behandeln?
Das war ein reiner Zufall. In meiner Assistenzzeit hat mich ein Freund meines Vaters, der dort behandelt hat, gefragt, ob ich ihn mal vertreten könnte. Das habe ich getan – und nach seinem Wechsel in den Ruhestand dann den Job ganz übernommen.

Mittlerweile sind Sie selbst 65 Jahre alt. Haben Sie schon ans Abgeben gedacht?
Nein. Ich mache das erst einmal weiter, so wie in meiner Praxis auch. Ein zeitliches Limit habe ich mir noch nicht gesetzt.

Nachwuchs ist für den Job wahrscheinlich ohnehin schwer zu finden, oder?
Das ist richtig. Erst einmal ist die Arbeit nichts für jeden: Man muss zwar keine Angst haben, das ist alles schon relativ sicher – aber die Klientel ist eben besonders und es fällt nicht jedem leicht, mit diesen Menschen umzugehen. Außerdem sind wir budgetiert, was die Behandlung betrifft, und es gibt Abschläge, weil wir die Gerätschaften der JVA nutzen. Das Finanzielle kann also nicht der Grund sein, warum man in der JVA behandelt.

Was ist es dann?
Es gehört viel Idealismus dazu. Aber mir macht es auch einfach Spaß. Ich mache die Arbeit auch nach 27 Jahren nach wie vor gerne.

Wie viele Häftlinge haben Sie in dieser Zeit geschätzt behandelt?
Ein paar Tausend werden es schon gewesen sein. Zuletzt hatten wir etwa 700 Behandlungsfälle pro Jahr, viele haben uns aufgrund des beschriebenen hohen Bedarfs aber mehrmals aufsuchen müssen.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Ja, einige. Manche Patienten, weil wir sie lange begleitet haben – in der JVA Bielefeld sitzen viele Inhaftierte Langzeitstrafen ab. Andere Patienten waren besonders, weil sie solvent waren, auf Geld von draußen zurückgreifen konnten und als Selbstzahler Implantate gesetzt bekommen haben. In all den Jahren war alles dabei, was Rang und Namen hatte, darunter Sexualstraftäter, Betrüger oder Mörder.

Werden Sie vorgewarnt, dass bestimmte Patienten vielleicht gefährlich sind?
Nein, der Grund für die Inhaftierung spricht sich natürlich rum, steht aber auch in der Gesundheitsakte. Aber das spielt für uns so gut wie keine ­Rolle. Wofür jemand verurteilt wurde, ist mir persönlich völlig egal. Da habe ich auch überhaupt keine Hemmungen im Umgang.

Können Sie sich erinnern, wie das an ihrem ersten Arbeitstag in der JVA war, als Sie den Freund ihres Vaters vertreten haben?
Ja. Das ging von Anfang an reibungslos. Und ich hatte das Gefühl, „das passt einfach“.

Das Gespräch führte Marius ­Gießmann.

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