30.000 Euro Startkapital — nicht nur Sonneberg erwartet Sie!
Sonneberg, die traditionsreiche Spielzeugstadt am Südhang des Thüringer Waldes hat viel zu bieten: Geschichte, Kunst, Kultur, aufwendig sanierte Sakralbauten, wunderschöne Wanderwege. Ein Ort, der Touristen anlockt und zum Entspannen einlädt — und in dem gleichzeitig keine ausreichende kieferorthopädische Versorgung mehr sichergestellt ist.
Knapp 200 Kilometer entfernt: Leipzig, Sachsen. Ein attraktiver Hochschulstandort, aber laut der KZV Sachsen ebenfalls von Unterversorgung bedroht. Nochmal 300 Kilometer weiter: Prignitz, Brandenburg. Dörfliche Idylle in der Mark, wunderschöne Landstriche mit großer Lebensqualität — aber bereits heute ist eine kritische Versorgungsstruktur erkennbar.
„Es liegt nicht an den Gebieten, es handelt sich vielmehr um eine multifaktorielle Problemlage", sagt Dr. Eberhard Steglich, Vorstandsvorsitzender der KZV Brandenburg. Ursachen dafür seien hauptsächlich der demografische Wandel, die überbordende Bürokratie und der Trend zur Anstellung – Stichwort Work-Life-Balance. „Für das Land Brandenburg kommt noch das Fehlen einer zahnmedizinischen Fakultät dazu", so Steglich.
Die KZV Sachsen sieht das ähnlich. Im Freistaat sind nicht nur ländliche Regionen betroffen. Auch Leipzig und Dresden als exzellente Hochschulstandorte werden von Unterversorgung bedroht sein. „Aufgrund fehlender oder nur gering ausgebauter Infrastruktur erscheinen manche Regionen als Niederlassungsstandort für junge Zahnärzte wenig attraktiv", erklärt die KZV Sachsen auf Anfrage.
Zu wenig Nachwuchs und zu viele Zahnärzte im Rentenalter
Die Gründe für die drohende Unterversorgung sind vielfältig – ebenso die Maßnahmen, die von vielen KZVen und Landeszahnärztekammern teils schon vor Jahren ergriffen wurden: Von Beratungsangeboten für Niederlassungswillige über groß angelegte Öffentlichkeitskampagnen bis hin zu organisierten Stammtischrunden ist alles dabei. Seit knapp zwei Jahren steht den KZVen ein weiteres Instrument zur Verfügung: Die Gründung eines Strukturfonds zur Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung gemäß § 105 SGB V. Lange hatte die KZBV dafür gekämpft.
„Wir wollen nicht warten, bis sprichwörtlich 'das Kind in den Brunnen gefallen' ist“, betont Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV. „Wir wollen handeln und drohende Unterversorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten schon jetzt proaktiv bekämpfen. Daher begrüßen wir, dass die Politik unserem Vorschlag gefolgt ist, der zahnärztlichen Selbstverwaltung Steuerungsinstrumente zur Sicherstellung der Versorgung an die Hand zu geben.“
Der Vorteil eines Strukturfonds liege vor allem im präventiven Ansatz, betont Eßer: „Das ermöglicht den KZVen zielorientierte und bedarfsgerechte Lösungen, um den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag in Zukunft im Sinne einer guten, patientenorientierten Versorgung zu gewährleisten.“ Denn gemäß § 105 SGB V haben KZVen nun die Möglichkeit, einen Strukturfonds bis zu einer Höhe von 0,2 Prozent der Gesamtvergütung einzurichten – die Hälfte davon wird von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen und die jeweilige KZV entscheidet über die konkrete Verwendung der Mittel.
„Wir können dadurch quasi prophylaktisch tätig werden", erläutert Stephan Allroggen, Vorstandsvorsitzender der KZV Hessen. „Momentan betrachten wir die vertragszahnärztliche Versorgung in Hessen als insgesamt gut. Noch ist auch im ländlichen Bereich eine wohnortnahe Versorgung der Patientinnen und Patienten gewährleistet. Um dies weiterhin aufrechterhalten zu können und eine drohende Unterversorgung zu vermeiden, investiert die KZV Hessen in viele Projekte zur zukunftsorientierten Sicherstellung." Die Bildung eines Strukturfonds wurde bereits im Sommer 2022 von der Vertreterversammlung beschlossen.
Nicht nur Hessen will sich zukunftsfähig aufstellen: Mehrere KZVen haben den Strukturfonds bereits gegründet – auch Thüringen. Aktuell werden dort Hospitanten, aber auch Weiterbildungs- und Vorbereitungsassistenten finanziell gefördert – durch eine monatliche Unterstützung in Höhe von 250 Euro bei einer Vollzeitbeschäftigung. Eine Maßnahme, die gut ankommt: „Nahezu alle Fördergelder, insgesamt 90.750 Euro für das Jahr 2022, wurden abgerufen“, erzählt Roul Rommeiß, stellvertretender Vorsitzender der KZV Thüringen. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich diese Fördermöglichkeit bereits gut herumgesprochen hat und wir hoffen, dass Assistenten animiert sind, sich auch aus diesen Gründen für eine Ausbildung in Thüringen zu entscheiden.“
Darum wurde aufgestockt: Für 2023 werden die Töpfe noch um ein Vielfaches voller sein. Insgesamt 685.000 Euro sollen dann aus dem Strukturfonds ausgeschüttet werden – allein 340.000 Euro sind eingeplant für die finanzielle Förderung von Anstellungen und Zulassungen.
Bis zu 90.000 Euro für die Niederlassung in Hessen
So ist geplant, dass Zahnärzte, die sich in unterversorgten oder drohend unterversorgten Gebieten in Thüringen niederlassen oder dort eine Anstellung aufnehmen, eine Finanzspritze erhalten: Niederlassungen werden mit insgesamt 30.000 Euro unterstützt, wobei im ersten Jahr 20.000 Euro und im zweiten Jahr 10.000 Euro ausgezahlt werden. Angestellte Zahnärzte werden monatlich mit einem Betrag von 250 Euro für drei Jahre gefördert. „Hier liegt der deutliche Fokus natürlich auf der Förderung der Niederlassung“, erläutert Rommeiß. „Wenn keine Praxen mehr zur Verfügung stehen, können auch Anstellungsverhältnisse nicht mehr ausgeübt werden. Die Intention der KZV Thüringen und der beteiligten Krankenkassen ist es also, die Niederlassung in eigenen Praxen attraktiv zu machen.“
Auch die KZV Saarland startete mit der Ausschüttung von Fördergeldern aus dem Strukturfonds zum 1. Januar 2023. Hier werden Niederlassungen in Regionen mit niedriger Versorgungsquote mit 20.000 Euro unterstützt. Für die kieferorthopädische Versorgung wurden bereits vier Regionen definiert, die von einer drohenden Unterversorgung betroffen sind – für die zahnärztliche Versorgung sind fünf Gemeinden und die Stadt Völklingen benannt worden.
In Hessen wird je nach förderfähiger Region die Niederlassung sogar mit bis zu 90.000 Euro gefördert – eine Anstellung mit bis zu 1.000 Euro. „Bei Neugründung oder bei Übernahme einer Praxis müssen die Geförderten nach Tätigkeitsbeginn allerdings auch fünf Jahre im Fördergebiet vertragszahnärztlich tätig sein“, erklärt Allroggen die Regularien. Eine Förderung ist demnach ausgeschlossen, wenn der Vertragszahnarzt bereits im Fördergebiet niedergelassen ist beziehungsweise in den vergangenen zwei Jahren niedergelassen war.
Für die KZV Hessen bietet der neu gegründete Strukturfonds viele Vorteile gegenüber anderen Maßnahmen: „Jedes halbe Jahr wird der Status der Fördergebiete überprüft und gegebenenfalls angepasst. So lässt sich auf eine Veränderung der Bevölkerungsentwicklung und der in der Region tätigen Vertragszahnärzteschaft tatsächlich schnell reagieren", betont Allroggen.
Jedoch müsse man ausdrücklich darauf hinweisen, dass „die Zahnärzteschaft Honorarmittel und die Krankenkassen Beiträge zur Korrektur politisch zu verantwortender Versäumnisse aufwenden muss“, betont Rommeiß aus Thüringen. „So wurde durch restriktive Sparmaßnahmen, zunehmende Administrations- und Bürokratielast sowie nicht zuletzt durch fehlende Studien- und Weiterbildungskapazitäten ein leistungsfeindliches, Niederlassungen behinderndes Umfeld geschaffen.“
Das sieht Allroggen aus Hessen genauso: „Fakt ist, es erfolgt gerade keine Unterstützung durch die bundesweite Gesundheitspolitik. Beispielhaft zeigt sich das in der diesjährigen Gesetzgebung zur rigiden Begrenzung der Punktwertentwicklung und der Wiedereinführung einer strikten Budgetierung. Diese Maßnahmen führen dazu, dass der zahnärztliche Beruf und die freiberufliche Niederlassung zunehmend unattraktiv werden. Es bedarf daher der Unterstützung seitens kommunaler Entscheidungsträger, die verantwortlich für die Attraktivität der jeweiligen Region sind." Die Maßnahmen der KZV Hessen seien allerdings nur ein Baustein. „Wir haben Kontakt mit den Landkreisen der förderfähigen Regionen aufgenommen und sie, wie auch die dort vertragszahnärztlich Tätigen, über die Förderungsmöglichkeiten informiert. Wir erhoffen uns eine gut funktionierende Zusammenarbeit mit den Landkreisen und Gemeinden, damit auch sie etwas zur Erhaltung der vertragszahnärztlichen Versorgung beitragen können."
Längere Wege zum nächsten Zahnarzt sind eingepreist
Solch ein Vorgehen berichtet auch Brandenburgs KZV-Chef Steglich: „Die kommunale Daseinsvorsorge und die zahnmedizinische Versorgung sind untrennbar miteinander verknüpft. Wir setzen daher auf Kooperation statt Segmentierung und streben eine Vernetzung der kommunalen Selbstverwaltung mit der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen an. Nur wenn alle wichtigen Akteure im Gesundheitswesen die zukünftige zahnmedizinische Versorgung im Flächenland Brandenburg als gemeinsame Aufgabe verstehen, kann deren Sicherstellung auf dem bisherigen Niveau gewährleistet werden."
Wie die zahnärztliche Versorgung der Zukunft aussehen wird, lasse sich nicht konkret voraussehen, glaubt Rommeiß. „Was sich aber absehen lässt, ist, dass offenbar Zahnarztpraxen vermehrt aus dem ländlichen Bereich verschwinden und dass auch die kleinen Praxen beziehungsweise Einzelpraxen zukünftig sicherlich durch größere Zusammenschlüsse der Berufsgruppe abgelöst werden. Zum einen ist es günstiger, die hohen Finanzierungskosten auf mehrere Beteiligte einer Praxis zu verteilen und zum anderen sind natürlich auch fachliche und spezialisierte Ausrichtungen in Praxen mit mehreren Behandlungseinrichtungen einfacher zu verwirklichen. Dies wird zur Folge haben, dass die zahnärztliche Versorgung spürbar abnehmen wird. Hier ist die Politik gefragt und angehalten, die Voraussetzungen attraktiver zu gestalten!“
Die KZV Sachsen sieht dies ganz ähnlich: „Die bisher bekannte flächendeckende Versorgung wird keine Selbstverständlichkeit mehr sein. Die Patienten werden längere Fahrtwege in Kauf nehmen müssen, um zum nächsten Zahnarzt zu gelangen. Demzufolge ist es entscheidend, dass die öffentlichen Verkehrsmittel so ausgebaut werden, dass der Patient möglichst mit den öffentlichen Verkehrsmitteln den Arzt und Zahnarzt erreicht. Neue Mobilitätsstrukturen sollten dazu kreiert werden.“
„Wir können die Zukunft nicht vorhersagen“, sagt Steglich. "Wir setzen aber auf unsere Instrumente und auf mutige Zahnärztinnen und Zahnärzte, die den Schritt in die eigene Niederlassung wagen und die Angestelltentätigkeit nur als Übergangsphase wählen. Denn der Mut, in die Niederlassung zu gehen, wird belohnt“ – und das im wahrsten Sinne des Wortes.