Aufs Rad gekommen
2013 startete Rademacher zum ersten Mal bei der L’Eroica – „der Heroischen“ –, einem Radrennen in der Toskana, das als Hommage an den Radrennsport vergangener Jahrzehnte jährlich Tausende begeistert. Und einen regelrechten Hype um historische Rennräder ausgelöst hat. Und genau die sind zur großen Leidenschaft Rademachers geworden: Der 56-Jährige sammelt Modelle des italienischen Traditionsherstellers Bianchi und besitzt aktuell rund 60 Exemplare. Bianchi wurde 1885 gegründet und ist heute der älteste Hersteller hochwertiger Rennräder.
Das älteste Model ist von 1925, das jüngste von 1989, alle im klassischen Rahmendesign, alle – bis auf eine seltene schwarze Sonderedition – in der Bianchi-Kultfarbe „Celeste“ (übersetzt „himmlisch“) lackiert. Und bei nicht wenigen dieser grün-blauen Sportgeräte handelt es sich um die originalen Rennmaschinen legendärer Radsportgrößen, die bei der Tour de France oder dem Giro d‘ Italia zum Einsatz kamen. Die Sportler könne man anhand der Rahmennummern zuordnen, erklärt der Sammler, manchmal ist es auch für Laien sichtbar – etwa, wenn die Namen der Fahrer in die Sattelstützen eingraviert wurden.
Das Erweckungserlebnis kam mit Mitte 40
Der ganze Stolz Rademachers ist aktuell jenes Rennrad, auf dem der deutsche Radrennfahrer und mehrfache Weltmeister Rudi Altig 1968 das Eintagesrennen Mailand—San Remo gewann. Von der Sensation bekam der damals zweijährige Rademacher natürlich nichts mit. Ohnehin packte ihn die Leidenschaft für den Radrennsport erst spät. Lange Zeit sei er nur ab und zu mal mit dem Hollandrad gefahren, sagt er und lacht. Das Erweckungserlebnis kam dann mit Mitte 40, als ein Freund ihn auf die Idee brachte, bei der L’Eroica zu starten – und ihm dafür einen Stahlrenner vom Typ Gazelle mondial organisierte. „Nach meiner ersten Fahrt war ich infiziert“, erinnert sich der Zahnarzt. „Ich hatte das Gefühl zu fliegen!“
Nach Erfahrungen mit Rennrädern anderer italienischer Fabrikate kam Rademacher dann vor knapp acht Jahren zum ersten Mal mit einem Bianchi in Kontakt. Wieder so ein Erweckungserlebnis. Diesmal am Hauptbahnhof Düsseldorf. „Als ich dem Vorbesitzer sagte, wie gut mir sein Rad gefiel, bot er es mir zum Kauf an. Es war rund 40 Jahre in seinem Besitz, in einem Topzustand und eines der ersten Räder, die mit den Schaltkomponenten Campagnolo Super Record ausgestattet waren“, berichtet er. Rademacher brennt seitdem lichterloh. Kunstvoll handgelötete Stahlrahmen mit Historie und in Bianchi-Hausfarbe sowie filigrane italienische Anbauteile wurden immer mehr zu seiner Welt.
Er begann jedoch nicht nur zu sammeln, sondern startete auch bei etlichen historischen Rennen. Dort kam er dann wieder mit anderen Rennradliebhabern in Kontakt und mit dem so wachsenden Freundes- und Bekanntenkreis wuchsen auch die Möglichkeiten, gezielt besonders seltene Räder zu erwerben, vor allem direkt aus Italien.
Aktuell warte er auf ein ehemaliges Profiteamrad aus dem Jahr 1949. Die Sonderanfertigung verfüge bereits über innen verlegte Bremszüge – eine Technik, die erst knapp 30 Jahre später breitere Verwendung fand, schwärmt der Zahnarzt, der seine Sammlerstücke technisch von einem Profimechaniker feinjustieren lässt. Die Liebhaberstücke aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, also zu säubern und zu polieren, übernimmt er hingegen gern selbst. Für ihn ist es ein ganz besonderen Moment, „wenn man sieht, was da unter Jahrzehnte altem Staub zutage tritt".
Die Leidenschaft hat ihren Preis
Der Zauber blieb, andere Dinge änderten sich: Früher sei er noch „kreuz und quer durchs Land gefahren“, um Räder zu sichten und zu kaufen, mittlerweile „geht aber fast alles über persönliche Kontakte zu Experten in Italien". In der Vergangenheit unterstützten andere deutsche L’Eroica-Teilnehmende Rademachers Sammelleidenschaft tatkräftig. So sei es durchaus vorgekommen, dass er, selbst mit dem Zug angereist, aus Mangel an Transportmöglichkeiten fünf vor Ort in der Toskana gekaufte Räder auf die Autos von Freunden verteilte, um diese nach Hause zu bekommen.
Diese Zeiten sind vorbei. Denn seine Sammlung, die fast jede elementare Entwicklung der Rennradtechnik der vergangenen hundert Jahre dokumentiert, ist beinahe komplett. Bis auf wenige Ausnahmen konzentriert er sich auf ganze Räder und kauft nur selten Radsport-Devotionalien oder einzelne Teile nach, höchstens, um seine historischen Räder stilecht zu komplettieren. „Wenn man dann ein seltenes Teil braucht, ist man schon bereit, Preise zu zahlen, die man selbst nicht mehr versteht“, gibt er zu. Der Wert seiner Stahlrenner liege pro Stück je nach Seltenheit zwischen etwa 3.500 und 10.000 bis 12.000 Euro.
Bei der Größe seiner Sammlung habe er sich noch keine feste Obergrenze gesetzt, sagte er. Er versuche aber, „dass es nicht viel mehr als 60 Räder werden“. Ein Platzproblem habe er bislang noch nicht, auch weil einige Räder als Dekoration in seiner Praxis stehen. Das sorgt regelmäßig für Gesprächsstoff mit den Patienten, außerdem hat er einige seiner Schmuckstücke auf diese Weise immer im Blick. Auch für den knapp 80 Kilometer weiten Anfahrtsweg zur Praxis nutzt Rademacher zuweilen das Rennrad. Denn seit ihn das Fahrradfieber befallen hat, pendelt er die Strecke nicht mehr mit dem Auto – sondern mit der Bahn und/oder dem Rad.
Da er die 2006 von seinem Vater übernommenen Praxisräume bei der Sanierung 2015 barrierefrei machte und mit einer Rampe versah, könne er bei Bedarf sogar direkt bis ins Behandlungszimmer rollen, scherzt er. Tatsächlich ist seitdem die Alterszahnheilkunde einer seiner Behandlungsschwerpunkte geworden. Heute kooperiert er mit drei Seniorenzentren.
Sein Traum ist ein Rad von Legende Fausto Coppi
Wenn er nicht praktiziert, sucht er nach den letzten fehlenden Puzzleteilen für seine Sammlung, wie etwa einem Profirad aus den 1950er-Jahren – und natürlich gibt es da einen Traum: ein Rad des dreimaligen Weltmeisters Fausto Coppi, der zweimal die Tour de France und fünfmal den Giro d’Italia gewann. „Der hat auf Bianchi legendäre Siege errungen“, weiß Rademacher und man hört ihm an, dass er Bilder im Kopf hat, wie der Italiener auf einem Stahlrenner über staubige Pisten zum Sieg raste.
Am Wochenende zum 1. Oktober wird auch Rademacher wieder auf den Schotterstrecken der Toskana starten. Und als wäre nicht schon die Beschaffenheit der gut 200 Kilometer langen Strecke mit mehr als 3.000 Höhenmetern genug Herausforderung, absolvieren der Zahnarzt und seine Mitstreiter das Rennen auch noch mit Oldtimern, die höchstens Baujahr 1987 sind. „Wenn man da unterwegs ist, rappelt und scheppert alles", erzählt der Zahnarzt. „Manchmal ist es darum berghoch leichter als bergrunter.“