Auslandsfamulatur auf den Philippinen

Hier waren noch keine Aliens

Heftarchiv Gesellschaft
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Statt nach dem Studium direkt ins Berufsleben zu starten, haben wir bei einem Hilfseinsatz auf den Philippinen mitgeholfen — 10.318 Kilometer entfernt von zu Hause.

Schon im November 2019, da waren wir im 7. Semester, hatten wir den Wunsch, Zahnmedizin im internationalen Kontext zu verstehen und zu erleben. Die Pandemie verwehrte uns das aber in den folgenden zwei Jahren. Viele zahnmedizinische Hilfsorganisationen führen bis heute keine oder nur reduzierte Auslandseinsätze durch. Aber wir hielten an unserem Traum von einer Auslandsfamulatur fest.

Im Oktober 2021 erreichte uns dann die Zusage für unseren Einsatz über den Verein „Mabuhay – Hilfe zum Leben“. Dort half uns Dr. Georg Lindner bei der Vorbereitung, beantwortete unsere Fragen und schickte uns alle nötigen Informationen. So hatten wir ausreichend Zeit, uns um das Visum, die Impfungen und die Spenden zu kümmern.

Mabuhay! Willkommen und lebe lang!

Ein Jahr später (Oktober 2022) war es dann endlich soweit: Als nun approbierte Zahnärztinnen reisten wir ins 10.318 Kilometer entfernte Bugko, ein kleines Dorf in Nord-Samar auf den Philippinen. Mit einem freudigen „Mabuhay!“, was „Willkommen“ oder „Lebe lang“ bedeutet, empfing uns Schwester Veronica. Gemeinsam mit Schwester Sabine leitet sie die Mabuhay Saint Francis of Assisi Clinic. Dieser Komplex umfasst außer der Dentalstation unter anderem eine kleine allgemeinmedizinische Klinik, ein Labor und eine Wasseraufbereitung.

Am ersten Behandlungstag standen die Patienten direkt vor unserer Tür. Denn der Wohnbereich grenzt ans Wartezimmer und die Behandlungsräume. Täglich um 8 Uhr starteten wir mit den Behandlungen. Dabei standen uns zwei philippinische Volunteers an der Anmeldung und als Sprachvermittler zur Seite. Auf den Philippinen gibt es regionale Sprach- und Dialekt­unterschiede. Die Basics des in der Provinz Nord Samar gesprochenen Waray-Warays eigneten wir uns zügig an: „Masu-ol?“ (Haben Sie Schmerzen?) oder „Banhod?“ (Ist es schon taub?) gehörten fortan zu unserem Standardvokabular.

In entwicklungsschwächeren Ländern medizinisch tätig zu sein bedeutet Mangel und Verzicht? Das können wir nicht bestätigen! Alle Instrumente und Materialien waren in mehrfacher Ausführung vorhanden. Ausgestattet mit Stirnlampen und Improvisationstalent konnten wir Strom-, Wasserausfällen und den in die Jahre gekommen Behandlungseinheiten trotzen.

Es geht zu wie im Friseursalon!

Warum uns unsere Behandlungszeit eher an die Stimmung in einem Friseursalon als an eine Zahnklinik erinnert? Mit Betreten des Zimmers versuchten uns die meisten PatientInnen genaue Anweisungen nach ihren eigenen Vorstellungen zu geben, etwa wie viele Zähne wir wie behandeln sollten.

Nach anfänglichem Diskutieren konnten wir alle davon überzeugen, dass wir zunächst einen Zahnstatus erheben. Trotz anschließender Aufklärung über erhaltungswürdige Zähne und mögliche Füllungstherapien, blieb unser Hauptarbeitsspektrum das Extrahieren von Zähnen und Wurzelresten. Dabei spielt das mangelnde Gesundheitsbewusstsein und -verständnis eine große Rolle: nicht eingehaltene Folgetermine, 6er-Extraktionen bei 8-Jährigen und 15-jährigen Mädchen, die Vollprothesen ihrem Restgebiss vorzogen.

Nach den Eindrücken der ersten Tage war klar: Wir wollten nachhaltig arbeiten! Da Prophylaxe bekanntlich die beste Medizin ist, wollten wir ein Kariespräventionsprogramm in der Grundschule im Dorf durchführen. Obwohl uns von der Klinik wenig Hoffnung gemacht wurde, bekamen wir in unserer letzten Woche das Go von der Schulleiterin. Ausgestattet mit einem großen Modellgebiss besuchten wir vormittags die Klassen. Zusammen mit den Kindern erarbeiteten wir spielerisch die wichtigsten Fakten zu Dauer und Häufigkeit des Zähneputzens und demonstrierten die richtige Zahnputztechnik.

Leider sind zuckerhaltige Lebensmittel eine erschreckend große Herausforderung. Mit Ratespielen und kategorischen Einteilungen in gesunde und ungesunde Lebensmittel halfen wir den SchülerInnen ihr Bewusstsein für Ernährung zu erweitern. Die Freude, die die Kinder bei unserem Besuch dabei hatten, war ein Riesengeschenk für uns. Dieser Vormittag war definitiv das Highlight unserer Auslandsfamulatur.

Auf Feiern mit landestypischen Tänzen und traditionellen Gerichten tauchten wir tief in die philippinische Kultur ein. Da Nord Samar alles andere als touristisch ist, wurden unsere freien Tage zu einem einmaligen Abenteuer. StudentInnen zeigten uns Orte, die sicher noch kein „Alien“ (so werden auslän­dische Personen im Gesetz bezeichnet) gesehen hat. Sonnenbaden am unberührten Strand, Übernachten auf einsamen Inseln in Hütten am Meer und der Anblick beeindruckender Felsformationen und Wasserfälle ließen unsere Herzen höherschlagen. Besonders ist uns aber auch unsere Exkursion zur Universität mit dazugehöriger Zahnklinik in der nächstgelegenen Stadt in Erinnerung geblieben.

Wir waren die Stars

Wer sich einmal wie ein Star fühlen will, ist hier richtig. Als große, blonde, junge Frauen waren wir der Mittelpunkt – überall und jederzeit. Hunderte Social-Media-Accounts müssen übersät sein mit Bildern von uns und den Einheimischen. Dagegen waren die Kinder, die uns mit Fragen löcherten, überaus liebenswert.

Vier Wochen später endete unsere Zeit auf den Philippinen. Und: Ist eine Auslandsfamulatur empfehlenswert? Definitiv! Alle, die Freude daran haben, einen Beitrag zur Unterstützung und Stärkung des Gesundheitssystems und -bewusstseins zu leisten, mit Begeisterung Menschen helfen und über ihren Horizont schauen wollen, sollten das Abenteuer „Arbeiten im Ausland“ wagen. Wir sind unglaublich dankbar für unsere Erfahrungen und planen bereits den nächsten Einsatz abroad. Ein Jahr Vorlaufzeit passt gut, bis alles geplant, organisiert und umgesetzt ist.

An dieser Stelle möchten wir dem Zahnmedizinischem Austauschdienst (ZAD) und dem Verein zur Förderung der Zahnerhaltung in Greifswald e. V. herzlich für ihre Unterstützung danken! Ein großes Dankeschön für die Sachspenden auch an Hammacher, VOCO, NTI, Hahnenkratt, Ivoclar Vivadent, Septodont, und Frasaco! Sie alle haben uns unterstützt und den Einsatz in der Form möglich gemacht.

Der Zahnmedizinische Austauschdienst (ZAD)

Der ZAD wurde 1982 von Studierenden als Verein gegründet und vermittelt Famulaturen vor allem im außereuropäischen Raum. Er steht zur Beantwortung aller Fragen rund um den Einsatz zur Verfügung. „Local Exchange Officers“ sind die AnsprechpartnerInnen an den deutschen Hochschulen.

Annika Wiesener ergänzt aus ihren Erfahrungen: „Wer eine Auslandsfamulatur machen möchte, kommt am ZAD nicht vorbei. Die Website bietet zahlreiche Tipps zur Vorbereitung und eine Kontaktliste der Ansprechpartner im Ausland. Außerdem ist der ZAD für das Bewerbungsverfahren zum Förderprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes e. V. (DAAD) zuständig."

https://www.zad-online.com/Der-ZAD.html


Rebecca Richter

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