Die Beitragssätze steigen, aber Eltern zahlen weniger
Das vom Bundeskabinett jetzt als Entwurf beschlossene Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG) sieht mehr Leistungen für die stationäre und ambulante Pflege vor. Ab dem zweiten Kind sollen Eltern künftig weniger für die Pflegeversicherung zahlen als heute. Die Leistungen in der Pflege sollen dynamisiert und die Pflegekosten in den Heimen gebremst werden, heißt es in dem Entwurf.
Die Bundesregierung reagiere damit auf die stark steigenden Kosten sowohl in der stationären als auch in der ambulanten Pflege, teilt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber beauftragt, bis Mitte des Jahres Eltern mit mehreren Kindern bei der Bemessung der Beiträge im Vergleich zu Kinderlosen stärker zu bevorzugen als heute.
Außerdem müsse die soziale Pflegeversicherung finanziell stabilisiert werden, heißt es weiter. Geplant ist zudem, alle ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen an die Telematikinfrastruktur (TI) bis zum 1. Juli 2024 anzubinden. Dazu soll die Prüfung und Nutzung der Digitalisierung bei der Vermittlung von Plätzen und Angeboten zu ambulanter und stationärer Langzeitpflege und die Erarbeitung von Empfehlungen gehören. Außerdem soll ein Kompetenzzentrum „Digitalisierung und Pflege“ eingerichtet werden, an dem sich die private Pflegeversicherung mit sieben Prozent beteiligen soll. Zur Absicherung bestehender Leistungsansprüche der sozialen Pflegeversicherung wird der allgemeine Beitragssatz zum 1. Juli 2023 „moderat“ um 0,35 Prozentpunkte angehoben, meldet das BMG. Diese Maßnahme sei mit Mehreinnahmen in Höhe von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr verbunden. Die Bundesregierung solle ermächtigt werden, den Beitragssatz künftig per Rechtsverordnung festzusetzen, wenn auf kurzfristig Finanzierungsbedarf besteht.
Regierung darf den Satz per Rechtsverordnung festsetzen
Das Pflegegeld soll zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent erhöht und die ambulanten Sachleistungsbeträge sollen um fünf Prozent angehoben werden. Das Pflegeunterstützungsgeld soll von Angehörigen künftig pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person in Anspruch genommen werden können und ist dann nicht mehr beschränkt auf einmalig insgesamt zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person. Ebenfalls ab kommendem Jahr sollen die Zuschläge erhöht werden, die die Pflegekasse an die Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen zahlt. Zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 sollen die Geld- und Sachleistungen regelhaft in Anlehnung an die Preisentwicklung automatisch dynamisiert werden.
Kinderlose zahlen mehr
Ab dem 1. Juli 2023 soll sich der Beitragssatz zur Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 7. April 2022 nach der Kinderzahl bemessen. Eltern zahlen dann 0,6 Beitragssatzpunkte weniger als Kinderlose. Bei kinderlosen Mitgliedern soll ein Beitragssatz in Höhe von vier Prozent gelten, bei Mitgliedern mit einem Kind nur ein Beitragssatz von 3,4 Prozent. Ab zwei Kindern wird der Beitrag während der Erziehungsphase bis zum 25. Lebensjahr um 0,25 Beitragssatzpunkte je Kind bis zum fünften Kind weiter abgesenkt. Nach der jeweiligen Erziehungsphase soll der Abschlag wieder entfallen. Bei Mitgliedern mit mehreren Kindern gelte nach der Erziehungszeit also wieder der reguläre Beitragssatz in Höhe von 3,4 Prozent.
Der Entwurf stößt auf Kritik: Nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes greift er zwar einige Reformbedarfe der Pflegeversicherung zwar ansatzweise auf, springe aber deutlich zu kurz und verfehle die selbstgesetzten Ziele aus dem Koalitionsvertrag. Die Bundestagsfraktionen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen seien dringend aufgerufen, im nun beginnenden parlamentarischen Verfahren die erheblichen Mängel im Gesetzentwurf der Bundesregierung zu korrigieren, forderte Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Verbandes. Eine nachhaltige Lösung für die Pflege sei mit den Plänen weiter aufgeschoben, unterstrich auch die Vorsitzende des AOK-Bundeverbandes Dr. Carola Reimann. Die geplante Beitragssatzerhöhung schaffe lediglich bis zum Jahr 2025 Ruhe. Schon jetzt sei klar, dass die Pflegeversicherung auf Steuerzuschüsse für versicherungsfremde Leistungen angewiesen sei.
Der Paritätische Gesamtverband bezeichnete den Entwurf als halbherzig und völlig unzureichend, um die sich verschärfenden Probleme in der Pflege zu lösen. Die Finanzierung der Pflegeversicherung sowie die wachsende Armut durch Pflegebedürftigkeit seien die Schlüsselthemen, für die es eine entschlossene Reform brauche. Diese bliebe der Bundesgesundheitsminister weiter schuldig. Eines der Hauptprobleme, das auch durch den vorgelegten Gesetzentwurf nicht gelöst werde, seien die explodierenden Eigenanteile.
Auch aus Sicht der privaten Krankenversicherungen greift der Entwurf zu kurz. Vorgesehen seien Leistungsausweitungen, die nicht gegenfinanziert seien. Die dringend benötigte nachhaltige Finanzierungsstrategie für die alternde Gesellschaft fehle völlig, rügte der Vorsitzende des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV), Thomas Brahm. Auch die Grünen äußerten sich skeptisch. So warf die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Maria Klein-Schmeink, ein, der Entwurf bringe zwar Verbesserungen für die Pflegebedürftigen und die Pflegenden. Kritik übte sie aber daran, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten Mittel zur Steuerfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben nicht bereitgestellt würden.
Denkbar ist künftig auch eine Vollkaskoversicherung
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände Steffen Kampeter sprach von „Murks“. Statt auf Digitalisierung zu setzen, werde neue Zettelwirtschaft vorgeschrieben. Arbeitgeber müssen in vielen Millionen Fällen Geburtsnachweise der Kinder ihrer Beschäftigten einsammeln, um die neue kinderzahlabhängige Gestaltung der Pflegebeiträge umzusetzen. Es brauche eine Stelle, bei der die Kinderzahl digital abgerufen werden könne.
Wie geht es weiter?
Der weitere Zeitplan für das Gesetz ist noch offen. Zunächst ist der Bundesrat gehalten, eine Stellungnahme zum (zustimmungsfreien) Regierungsentwurf abzugeben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte im Zusammenhang mit der Vorstellung des Gesetzesentwurfs, dass sich die Dynamik bei den Ausgaben im bestehenden System auf Dauer nicht durchhalten ließe. Er will eine Kommission aus Vertretern mehrerer Ministerien einrichten, die bis Ende Mai 2024 Empfehlungen zur dauerhaften Finanzierung vorlegen sollen. Denkbar sei dann auch die Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Vollkaskoversicherung. Mit der jetzt geplanten Reform komme man über die laufende Legislaturperiode. Sie beseitige Unterdeckungen und verbessere die Leistungen.