Studie zu den Ursachen und zur Vermeidung von Behandlungsfehlern

Zahnärzte sind auch nur Menschen

Heftarchiv Zahnmedizin
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Jedem Menschen unterlaufen täglich rund sieben Fehler. Meist geht es um einfache Dinge: Wir vergessen etwas oder schließen die Tür nicht ab. Im Unterschied dazu können Behandlungsfehler die Patientensicherheit gefährden und weitreichende Folgen haben. Die Ursachen sind meist ähnliche wie bei kleinen Missgeschicken. Eine Studie zeigt, dass schon einfache Maßnahmen dazu beitragen, das Risiko für Behandlungsfehler deutlich zu senken.

Der häufigste Behandlungsfehler in der Zahnmedizin ist die Extraktion eines falschen Zahns, am häufigsten ist hier der erste Molar betroffen, der anstelle des zweiten Milchmolaren gezogen wird [Brennan et al., 2023]. Dicht darauf folgen Verschreibungsfehler. Generell ist die (Oral-) Chirurgie ein Fachbereich, in dem besonders leicht Fehler auftreten können.

Die meisten Fehler werden im Vorfeld „vorbereitet“

Dabei sind die Ursachen für die meisten Fehler oftmals nicht nur in der Behandlungssituation an sich zu finden, sondern werden bereits im Vorfeld „vorbereitet“. Klassisch ist beispielsweise im Falle einer Extraktion eines falschen Zahns ein ohnehin schon übervoller Terminplan, der durch ungeplante SchmerzpatientInnen schlichtweg platzt, sowie eine schlechte Dokumentation oder unklar formulierte Überweisungen. Diese Vorbedingungen bilden „ideale“ Voraussetzungen für Behandlungsfehler.

Die AutorInnen führen hier das „Schweizer Käsemodell“ an: Eine Reihe von „Löchern“ in unterschiedlichen Schichten, die für das Versagen auf verschiedenen Ebenen stehen, können am Ende zu einem Behandlungsfehler führen. Die erste Schicht könnte ein grundsätzlich schlechtes Management einer Praxis oder ein falscher Führungsstil sein. Ein Versagen der zweiten und dritten Schutzebene, die beispielsweise eine schlechte Supervision oder andere schlechte Rahmenbedingungen („Vorbedingung für unsichere Handlungen“) darstellen, machen schließlich den Weg für eine fehlerhafte Handlung des Zahnarztes oder der Zahnärztin frei. Wichtig ist also, die letzte und beeinflussbare Schutzbarriere zu stärken.

Ein Pilot, fliegt die Strecke – ein Kollege landet

Im Fokus der Arbeit um Peter A. Brennan vom Portsmouth Hospitals University NHS Trust und seinen KollegInnen stehen deshalb vor allem die menschlichen Faktoren (human factors), die zu Behandlungsfehlern führen können. Ein großer Faktor, der die Leistung eines jeden einzelnen Teammitglieds negativ beeinflussen kann, ist Müdigkeit, die von Erschöpfung abgegrenzt werden muss. Während Müdigkeit allein durch Schlaf zu beheben ist, kann Erschöpfung auf einer multifaktoriellen Genese basieren und sowohl akut als auch chronisch sein. Dazu beitragen können den AutorInnen zufolge „lange Arbeitstage, endlose Aufgaben, ständiger E-Mail-Verkehr [und] zu wenig Auszeiten von der Arbeit.“

Sie führen einen Vergleich mit der Luftfahrt an: Ein Pilot, der die gesamte Strecke geflogen ist, wird das Flugzeug nicht landen, sondern von seinem Kollegen oder seiner Kollegin abgelöst werden. Auch sind die Arbeitszeiten im Flugverkehr sehr streng reglementiert – was in starkem Gegensatz zum zahnärztliches Praxisalltag steht, wo Überstunden selten zu vermeiden sind.

Was die Leistung eines Menschen erheblich beeinflussen kann, sind zudem die Flüssigkeitszufuhr, die Ernährung sowie Ruhe- und Erholungsphasen. Wer zu wenig trinkt, kann demnach schläfrig werden, Kopfschmerzen bekommen, ungeduldig oder sogar apathisch werden. Die AutorInnen erklären, dass schon ein bis zwei Kilogramm Wasserverlust – zum Beispiel durch Transpirieren in Schutzkleidung – die kognitive Leistungsfähigkeit um bis zu ein Fünftel herabsetzen kann. Auch eine gesunde und regelmäßige Nahrungsaufnahme ist essenziell für die Leistungsfähigkeit. Pausen sollten auch dazu dienen, regelmäßig und ausreichend zu essen und zu trinken. Darüber hinaus erhöhen sie die Konzentrationsfähigkeit und sollten deshalb in den Arbeitsalltag integriert werden.

Auch Stress und negative Emotionen können die Leistung negativ beeinflussen. Auf Teamebene sind das Situationsbewusstsein und die Kommunikation wichtige Faktoren, die das Risiko von Behandlungsfehlern erhöhen können. Ersteres beschreibt die Wahrnehmung dessen, was gerade in der Umgebung passiert, während man einer bestimmten Tätigkeit nachgeht, etwa einer Zahnextraktion. Auch Veränderungen der Situation sollten erkannt und eingeordnet werden können. Ein Verlust des Situationsbewusstseins erhöht die Fehleranfälligkeit. Gleiches gilt für eine insuffiziente Kommunikation. Diese kann insbesondere durch Masken oder weitere Schutzausrüstung erschwert werden, weil neben einer eingeschränkten Akustik auch das Lesen von Gestik und Mimik deutlich erschwert ist. Starke Hierarchien begünstigen zusätzlich Fehler, weil sie dazu führen können, dass Mitarbeitende Bedenken nicht geradeheraus äußern.

Folgende Situationen sind dafür prädestiniert, Behandlungsfehler hervorzurufen:

  • Hohe körperliche oder geistige Arbeitsbelastung

  • Multitasking, insbesondere wenn eine Aufgabe intensive Konzentration erfordert

  • Aufgaben, die eine „untypische“ Reaktion erfordern oder unerwartete Aufgaben

  • Unterbrechungen und Ablenkungen, insbesondere während Konzentrationsphasen

  • Rückkehr zu einer Aufgabe, nachdem man zu etwas Anderem gewechselt hat

  • Veränderungen in der Arbeitsumgebung oder in einem unbekannten Team

Ein positives Betriebsklima und Arbeitsumfeld tragen in hohem Maße dazu bei, die Patientensicherheit zu erhöhen. In einem gut eingespielten, funktionierenden Team können die einzelnen Mitglieder sich gegenseitig unterstützen, beobachten und vor Fehlern bewahren. Deshalb empfehlen die AutorInnen, regelmäßig – am besten täglich – kurze Teambesprechungen zu Beginn und, wenn möglich, auch am Ende eines Arbeitstages. Inhalte könnten die an diesem Tag anstehenden Behandlungen und Abläufe sein. Auch Pausenzeiten könnten in diesem Rahmen schon für den gesamten Tag festgelegt werden, um dem Team ausreichende Regenerationsmöglichkeiten zu schaffen.

Alle Mitarbeitenden sollten in den Meetings dazu angehalten werden, ihre Meinung oder etwaige Probleme zu äußern. Beispielhaft führen die Autor-Innen folgenden Satz an: "Bitte sprechen Sie mich oder ein anderes Teammitglied an, wenn Sie irgendwelche Bedenken bezüglich dessen haben, was sie oder ich tun, oder wenn Ihnen etwas nicht ganz richtig erscheint". Eine Besprechung am Ende des Arbeitstages könnte dazu dienen, Abläufe zu hinterfragen und effektiver zu gestalten, aber auch, Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden zu äußern.

Weitere (kleinere) Maßnahmen können sich positiv auf das Team und dessen Leistungsfähigkeit auswirken, wie das Angebot von gesunden Snacks (wie eine Obstschale), das Einhalten von (vorgeplanten) Pausenzeiten, gegenseitige Rücksichtnahme und das Wiederholen von wichtigen Arbeitsanweisungen, um sicherzustellen, dass diese verstanden und aufgenommen wurden.

„Kurze Pausen, die möglicherweise nur wenige Minuten betragen, können einen Unterschied machen, und insbesondere die Bestätigung klinischer Entscheidungen oder die Infragestellung einer Handlung eines Kollegen ist nicht nur nützlich, sondern kann auch einen Fehler verhindern", betonen die WissenschaftlerInnen. Zusätzlicher Stress durch erhöhten Zeitdruck oder ein unerfahrenes Team sollte indes unbedingt vermieden werden. Auch für das gesamte Team zur Verfügung stehende Checklisten für wiederholte Abläufe können helfen, wichtige Punkte nicht zu vergessen.

CIRS dent

Überall dort, wo Menschen arbeiten, entstehen Fehler – da sind auch Zahnärzte und Zahnärztinnen keine Ausnahme: Abläufe funktionieren nicht immer so, wie es sein sollte, Diagnosen sind manchmal nicht einfach zu stellen, Geräte und Hilfsmittel zeigen Schwächen. Aus „unerwünschten Ereignissen“ kann man jedoch lernen, es künftig besser zu machen. Hilfreich ist dabei auch der Erfahrungsaustausch mit KollegInnen. Über das internetbasierte Berichts- und Lernsystem der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung „CIRS dent – Jeder Zahn zählt!“ (CIRS = Critical Incident Reporting System) können ZahnärztInnen Fallberichte von KollegInnen lesen und auch selbst vollkommen anonym eigene Berichte einstellen. Die eingesandten Berichte werden von einer Fachredaktion geprüft und gegebenenfalls bearbeitet. Daten, die eine Rückverfolgung auf die Praxis oder den Patienten ermöglichen würden, werden entfernt und die Berichte erst danach veröffentlicht.

Originalstudie: Brennan PA, Hardie J, Oeppen RS. Applying human factors to improve patient safety, morale and team working for oral pathology and medicine specialists. J Oral Pathol Med. 2023 Jan 11. doi: 10.1111/jop.13404. Epub ahead of print. PMID: 36629843.

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