„Den inneren Schweinehund mag ich am liebsten“
Auf ihren ersten Arbeitstag fühlte sich Hanan Faour eigentlich gut vorbereitet. Womit sie nicht gerechnet hatte, waren die deutschen Redewendungen. Ein Gespräch über die kuriosen Feinheiten der deutschen Sprache und das Gefühl, plötzlich nur noch eins zu verstehen: Bahnhof.
Frau Faour, Sie hatten einen interessanten ersten Arbeitstag als Zahnärztin in einer deutschen Praxis. Was haben Sie erlebt?
Hanan Faour: An meinem ersten Tag war ich sehr stolz, unter anderem, weil ich im Rahmen meiner Prüfungen schwierige Tests für Deutsch als Fachsprache und Deutsch als Alltagssprache bestanden hatte. Ich fühlte mich deshalb gut vorbereitet für den Kontakt mit Patientinnen und Patienten und ging zuversichtlich in die erste Behandlung.
Aber dann kam es anders als erwartet?
Oh ja. Meine erste Patientin war eine ältere Dame. Ich stellte mich vor und fragte, welche Beschwerden sie denn habe. Sie antwortete, dass ihr Zahnfleisch blute „wie Sau“. Ich war total irritiert und mein erster erschrockener Gedanke war: Was macht denn ein Schwein im Zahnfleisch?! Ich sah meine Kollegin fragend an und sie erklärte mir, dass die Patientin damit sagen wolle, dass es sehr stark blutet. Ich verstand und fing mit der Behandlung an. Auf einmal signalisierte die Patientin, dass ich unterbrechen soll. Als ich sie fragte, was sie brauche, sagte sie: „Ich habe einen Frosch im Hals!“ Ich war wieder ratlos. Erst das Schwein, dann ein Frosch – ich wusste nicht, was los war. Wieder half mir meine Kollegin und erklärte mir, dass die Patientin etwas zu trinken brauche.
Fühlten Sie sich ein bisschen so, als würde Ihr Team Ihnen am ersten Tag einen Streich spielen wollen mit diesen seltsamen Tierbildern?
Das hätte man in der Tat meinen können, denn es ging noch weiter: Bei derselben Patientin stellte sich die Frage, ob sie an einem Zahn eine neue Füllung braucht. Ich zog eine andere Zahnärztin aus dem Team zurate. Sie schaute sich alles an und sagte dann zu der Frau: „Ich glaube, wir sollten keine schlafenden Hunde wecken!" Schon wieder ein Tier im Mund, mit dem ich nichts anfangen konnte. Die Patientin wollte dann aber doch wissen, wie viel eine Füllung kosten würde. Ich nannte ihr die Kosten und ihre Reaktion war: „Das ist ja schweineteuer!" Ihr Mann, der inzwischen ins Behandlungszimmer gekommen war, antwortete: „Na ja, die Kröte müssen wir dann wohl schlucken.“ Ich war nach der Behandlung ganz durcheinander und notierte mir alle Erklärungen für die gehörten Redewendungen.
Als die Patientin am nächsten Tag wiederkam, um die Behandlung fortzusetzen, versuchte ich mich selbst an einer und sagte: „Und, wie geht es dem Schweine-Zahnfleisch heute?" Das kam nicht so gut an und ich ging nach der Behandlung völlig fertig aus dem Behandlungszimmer raus. Als ich mich gerade wieder ein bisschen gesammelt hatte, sah ich den Namen meines nächsten Patienten – er hieß Kuhfuß. Die Tiere verfolgten mich! (lacht)
Mittlerweile haben Sie sicherlich noch mehr Erfahrungen mit deutschen Redensarten sammeln können. Was fällt Ihnen dabei als Nicht-Muttersprachlerin auf?
Man merkt dass die Deutschen ihre ganz eigene Art haben, Bilder in der Sprache einzusetzen. Mir fällt auf, dass viele davon mit Tieren zu tun haben. Und mit Autos. Bei einer Hospitation erlebte ich einmal, wie der Zahnarzt den Patienten bezüglich der Auswahl eines Implantats fragte: „Möchten Sie einen Porsche, einen Mercedes oder einen VW?" Außerdem bekam ich einmal mit, wie eine ZFA bei der Aufklärung über eine PZR sagte: „Das ist wie bei Ihrem Auto. Das muss regelmäßig zum TÜV und ihre Zähne eben auch." Da merkt man ganz schnell, dass man im Autoland Deutschland ist. Was ich daran spannend fand, war zu sehen, wie sehr diese Bilder in der Kommunikation geholfen haben. Die Patienten verstanden den eigentlich komplexen Sachverhalt sofort. In dieser Hinsicht sind Redensarten und Bilder sehr hilfreiche Mittel.
Was kennzeichnet im Vergleich arabische Redewendungen?
Manches ist ähnlich. So wie man in Deutschland nicht die Katze im Sack kauft, kauft man in Syrien nicht den Fisch im Wasser. Im Arabischen kennt man auch das kribbelnde Ameisengefühl bei einer Betäubung. Insgesamt würde ich sagen, verwenden die Deutschen viel mehr Bilder und Vergleiche in ihrer Sprache. Ich würde sogar sagen, sie verwenden zwischen zwei Redewendungen eine Redewendung. Und, wie gesagt, es wimmelt vor Tieren: Muskelkater, keinen Bock haben, Schmetterlinge im Bauch.
Gibt es beim Vergleich der beiden Sprachen lustige Besonderheiten?
Ja, im Arabischen spricht man zum Beispiel nicht vom VW Käfer, sondern vom VW Schildkröte.
Gab es noch andere sprachliche Stolperfallen für Sie?
Im deutschen Satzbau kommt das Subjekt als erstes und man wartet dann unter Umständen sehr lange auf das Verb. Zum Beispiel der Satz ‚Das Kind hat den roten, leckeren, runden Apfel gegessen‘ wird im Arabischen so aufgebaut: ‚Hat gegessen das Kind den Apfel roten, leckeren, runden.‘ Das Verb steht also am Anfang. Wahrscheinlich vergesse ich daher manchmal, wenn ich Deutsch spreche, das Verb oder Verbteile am Satzende.
Kommen wir zurück auf Ihren ersten Tag im Job: Was war das für ein Gefühl, im Gespräch mit Patientinnen und Patienten etwas nicht zu verstehen?
Es war sehr verunsichernd. Als Zahnärztin möchte man in dieser Gesprächssituation natürlich möglichst den Eindruck vermitteln, alles zu verstehen und zu wissen. Es war mir etwas peinlich, dass ich öfter nachfragen musste und Hilfe brauchte. Zum einen vor der Patientin, aber auch vor dem Team. Am Anfang möchte man sich ja beweisen. Auch im Team habe ich die erste Zeit nicht alles verstanden und versucht, das zu überspielen. Ich habe zum Beispiel einfach mitgelacht, wenn die anderen gelacht haben.
Wie haben Sie sich schließlich in dieser schwierigen Situation geholfen?
Indem ich mir einen Ruck gegeben und sofort nachgefragt habe, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Anders wäre es einfach nicht gegangen.
Sind Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen über Ihre Erfahrungen mit deutschen Redensarten ins Gespräch gekommen?
Wir haben uns darüber unterhalten und sehr über manche Beobachtungen gelacht. Ihnen war gar nicht bewusst, dass Redensarten für jemanden, der Deutsch nicht als Muttersprache gelernt hat, eine Herausforderung sind. Dinge wie ‚Ohne Moos nix los‘, ‚Daumen drücken‘ oder ‚Schwein gehabt‘ sind fest in der Alltagssprache verankert, aber für einen Neuankömmling im Deutschen absolut nicht zu erschließen. Man kennt zwar jedes einzelne Wort, merkt aber, dass die Bedeutung eine andere sein muss.
Hat das Praxisteam daraus gelernt?
Ja, die lustigen Situationen haben dazu geführt, dass alle sensibilisierter dafür waren, dass deutsche Redensarten oft nicht selbsterklärend sind. Im Gespräch mit Nicht-MuttersprachlerInnen haben die Mitarbeitenden dann vermehrt darauf geachtet, nicht ‚in Rätseln zu sprechen‘.
Was empfehlen Sie Kolleginnen und Kollegen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist?
Dass sie einfach mutig nachfragen, wenn sie etwas nicht verstehen. Ich habe mir zum Beispiel angewöhnt zu sagen: „Ist das eine Redensart? Die kenne ich noch nicht. Was bedeutet sie?" Das reicht meistens schon, um die Situation harmonisch aufzulösen. Man braucht sich nicht schlecht zu fühlen, wenn man eine Redensart nicht versteht. ‚Tiere und Autos im Bereich der Mundhöhle' ist schließlich kein Kapitel in der zahnmedizinischen Ausbildung. Mein Fazit lautet: Damit man Deutsch zu 100 Prozent verstehen kann, braucht man die Unterstützung der Deutschen. Und wenn man ein nettes Team hat, ist das kein Problem.
Ihre Lieblings-Redewendung ist ‚den inneren Schweinehund überwinden‘. Warum?
Ja, den inneren Schweinehund mag ich am liebsten. Vielleicht, weil es ewig gedauert hat, bis ich diese Redewendung verstanden habe. Ich habe mich gefragt, was das ist: Ist es ein Hund oder ein Schwein? Wo im Körper soll er sich befinden oder sitzt er auf der Schulter? Ein wirklich kurioses Bild, das mich lange beschäftigt hat.
Das Gespräch führte Susanne Theisen.