Dentalketten in Frankreich

Fini le Bluff

Frankreichs Zahnmedizin galt als Eldorado für Spekulanten: Fast 15 Jahre haben Investoren das System brutalst abgezockt und gesundheitlich wie finanziell ruinierte Patienten zurückgelassen. Jetzt sorgt ein neues Gesetz endlich wieder für Recht und Ordnung.

Am 9. Mai hat der französische Senat den von der Politikerin Fadila Khattabi eingebrachten Gesetzesvorschlag zur stärkeren Kontrolle von Gesundheitszentren angenommen, am 19. Mai wurde er verabschiedet. Das im Journal Officiel veröffentlichte und am 20. Mai in Kraft getretene „Khattabi-Gesetz“ zielt darauf ab, den missbräuchlichen Geschäftspraktiken in der Augen- und in der Zahnheilkunde ein Ende zu bereiten, die Qualität der Versorgung wiederherzustellen und die PatientInnen künftig vor derartigen Auswüchsen zu schützen.

So ist nun für die Gründung solcher Zentren wieder eine behördliche Zulassung erforderlich, vorgelegt werden müssen dafür die Diplome und die Arbeitsverträge aller eingestellten Fachkräfte. Zukünftig soll die Finanzaufsicht bei Missständen härter durchgreifen können: Auflagen, Kontrollen und Sanktionen wurden verschärft und auch das Werbeverbot für Gesundheitszentren wurde ausgeweitet. Darü­ber hinaus ist ein nationales Register geplant, damit die „Agences régionales de santé“ (ARS) – die nationalen Gesundheitsämter – die Vorgeschichte der Betreiber überprüfen können.

„Es wird mehr Transparenz und eine bessere Rückverfolgbarkeit der Behandler geben, denn viele Opfer kennen nicht einmal den Namen des Behandlers, und das ist inakzeptabel“, sagte die Renaissance-Abgeordnete Khattabi: „Gerade in der Zahnchirurgie ging es ja zu wie im Wilden Westen.“

Ein „Gegengewicht zur Macht der Manager“

Konkret werden die Leiter der Zentren dazu verpflichtet, ihre Bücher einem Rechnungsprüfer vorzulegen. Zuvor sind alle Rechnungen vom Manager und den behandelnden Gesundheitsfachkräften abzuzeichnen, außerdem sollen die Namen aller im Zentrum arbeitenden Ärzte und Gesundheitskräfte einsehbar sein. Vorgesehen sind auch – wenn nötig unangekündigte – Kontrollen der ARS. Als „Gegengewicht zur Macht der Manager“ wird ein Ausschuss aus Ärzten, Zahnärzten und Gesundheitsbehörden die Tätigkeit der Zentren zusätzlich überwachen.

Um weiterarbeiten zu können, müssen auch bestehende Zentren eine Genehmigung beantragen. Verstöße können Bußgelder bis zu 500.000 Euro sowie Suspendierungen und Schließungen nach sich ziehen, dazu kommen nach Fristablauf 5.000 Euro pro Tag. Die Chirurgiens-Dentistes de France (CDF) begrüßen das Gesetz: Die Forderungen, die die Zahnärztegewerkschaft seit zwölf Jahren stellt, seien nun endlich gesetzlich verankert.

Das „Khattabi-Gesetz“

  • Das Gesetz schreibt zwingend eine Zulassung durch die Gesundheitsämter ARS vor, unabhängig davon, ob es sich um neue oder bereits bestehende Einrichtungen handelt. Die Zulassung wird nur vorläufig erteilt und erst entfristet, wenn alle Auflagen erfüllt sind.

  • Die Zulassung kann entzogen werden, sobald die geltenden Vorschriften nicht eingehalten werden oder die Qualität und die Sicherheit der Versorgung gefährdet sind.

  • Bei jeder Einstellung von Personal müssen die Arbeitsverträge und die Diplome unverzüglich an die ARS und die Kammer des betreffenden Berufsstands übermittelt werden. Die angestellten Gesundheitsfachkräfte erhalten außerdem eine persönliche Identifikationsnummer.

  • Ein nationales Register zu Suspendierungen und Schließungen wird eingerichtet, damit die ARS die Vorgeschichte der Betreiber überprüfen kann.

  • Bei Verstößen droht eine Verwaltungsstrafe von bis zu 500.000 Euro (vorher 150.000 Euro), zudem kann ein tägliches Zwangsgeld von 5.000 Euro (vorher 1.000 Euro) verhängt werden, das auf den Websites der Gesundheitsbehörden und des Gesundheitszentrums veröffentlicht werden muss.

  • Die Bücher des Gesundheitszentrums müssen von einem Rechnungsprüfer beglaubigt werden; eine vollständige Vorabzahlung für noch nicht erbrachte Leistungen ist verboten.

  • Das Gesetz verpflichtet die Zentren, einen medizinischen Ausschuss einzurichten, in dem alle im Zentrum tätigen Ärzte vertreten sind. Dieser hat die Aufgabe, die Qualität und die Sicherheit der Versorgung zu überwachen und bei Verstößen die ARS zu informieren.

  • Die Leitung darf weder direkt noch indirekt an Privatunternehmen beteiligt sein, die für das Zentrum bezahlte Leistungen erbringen.

Dass sich die Investoren überhaupt dermaßen ungeniert an der Qual und dem Elend von Patienten bereichern konnten, lag an einer Gesetzesänderung vor fast 15 Jahren, die den Gesundheitsmarkt völlig entfesselte: Um die Entwicklung von Gesundheitszentren insbesondere in unterversorgten Gebieten zu fördern, hatte Frankreich im Juli 2009 mit dem sogenannten Bachelot-Gesetz die Verpflichtung, für jede Gründung eine behördliche Genehmigung einzuholen, abgeschafft und durch eine einfache Konformitätserklärung ersetzt.

Doch die Regelung, die den Zugang zur Gesundheitsversorgung eigentlich erleichtern sollte, führte stattdessen zu schwerwiegenden Verwerfungen: Die Betreiber der Zentren stellten völlig überzogene Rechnungen, teils für Behandlungen, die nie stattgefunden hatten; die Versorgung erfolgte nicht selten durch Nichtmediziner, was gravierende Behandlungsfehler zur Folge hatte; die Krankenversicherungen wurden in großem Stil betrogen und den Patienten wurden überteuerte Kredite aufgeschwatzt.

Ausblick

Das am 15. Mai veröffentlichte Gutachten „Verfassungs- und europarechtliche Grenzen verschärfter und neuer Verbote und Beschränkungen betreffend die Träger- und Inhaberstrukturen von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ)" des Bundesverbandes der Betreiber medizinischer Versorgungszentren (BBMV) wird in den zm in einer der kommenden Ausgaben ausführlich von Univ.-Prof. Dr. Helge Sodan kommentiert. Er ist Lehrstuhlinhaber für Staats- und Verwaltungsrecht, Öffentliches Wirtschaftsrecht und Sozialrecht an der Freien Universität Berlin. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer werden in dem Zusammenhang auf Basis von statistischen Zahlen die gesamte Entwicklung am Markt mit Blick auf die Versorgung bewerten.

Der 2015 aufgedeckte „Dentexia-Skandal“ brachte schließlich das Leid von 3.000 Opfern ans Licht, die sich für Implantatversorgungen immens verschuldet hatten, und am Ende ohne Geld, aber mit einer desaströsen Mundgesundheit dastanden. Einige hatten hohe Kredite für die schlecht ausgeführten oder nicht abgeschlossenen Zahnbehandlungen aufgenommen und nun 30.000 Euro Schulden.

Sechs Jahre später, 2021, zeigte die Affäre um das Zahnärztezentrum Proxidentaire nochmals in Reinstform, wie die Akteure skrupellos das System ausschlachteten, um abzusahnen und dafür billigend verstümmelte und finanziell ruinierte Patienten in Kauf nahmen.

Beruf: Chef einer Dentalkette, Qualifikation: Dachdecker

Aber auch die angestellten Zahnärzte mussten erfahren, dass der Gründer sie gnadenlos ausgebeutet und sie dann ihrem Schicksal überlassen hatte: Proxidentaire hatte nämlich unter anderem Zahnärzte in Tunesien an­geworben. Ausgestattet mit einem Diplom der Universität Cluj in Rumänien waren jene berechtigt, in Frankreich zu praktizieren. Der Vertrag stellte ihnen ein Gehalt von 56.000 Euro brutto pro Jahr in Aussicht – ein Vermögen, wenn man bedenkt, dass der Mindestlohn in Tunesien umgerechnet 100 Euro monatlich beträgt.

Einer damals dort angestellten Zahnärztin zufolge sollten sich die tunesischen Zahnärzte jedoch mindestens für fünf Jahre an Proxidentaire binden, andernfalls drohe eine Strafe von 100.000 Euro. Ein Vertrag, der Juristen zufolge eindeutig illegal, weil missbräuchlich ist, und außerdem gegen das Berufsrecht verstößt. Wie die Zahnärztin weiter berichtete – und was von ihren Kollegen einhellig bestätigt wurde – erhielten sie regelmäßig die Anweisung, so viele Kostenpläne wie möglich aufzusetzen und ungeachtet der medizinischen Indikation die teuersten Behandlungen durchzuführen.

So gehen Krankenkassen und Justiz gegen die Gauner-Ketten vor

Auch die assurance maladie, die französische Krankenkasse, geht inzwischen gezielt gegen die betrügerischen Machenschaften der zahnärztlichen und der ophthalmologischen Ketten vor und kontrolliert die Bücher, sobald sie starke Abweichungen bei der Rechnungsstellung bemerkt. Diese Maßnahmen richten sich sowohl gegen neu eröffnete als auch gegen bestehende Zentren.

Aktuell sind 88 Zahngesundheitszentren und 44 Augenkliniken Gegenstand von Kontrollen. Die gemeinsamen Taskforces mit den Justizbehörden und der Polizei haben zum Beispiel die kriminellen Praktiken von zwei Gesundheitszentren in den Departements Yvelines und Seine-Saint-Denis entlarvt. Jenen wird insbesondere vorgeworfen, falsche Rechnungen ausgestellt und fiktive, das heißt nicht durchgeführte Behandlungen in Rechnung gestellt zu haben. Der finanzielle Schaden für die Krankenversicherung beläuft sich allein in diesen beiden Fällen auf fast 1,5 Millionen Euro.

Angesichts der Schwere des Sachverhalts und der Höhe des finanziellen Schadens hat die assurance maladie beschlossen, diese Gesundheitszentren für eine Dauer von fünf Jahren ohne Bewährung von der Versorgung per „déconventionnement“ quasi auszuschließen.

Bei einem „déconventionnement“ können die Ketten zwar weiter Behandlungen anbieten, aber die Krankenversicherung übernimmt die Kosten nur noch auf einer sehr niedrigen Basis, dem sogenannten „Tarif d'autorité“. Beispielsweise erstattet sie für einen Augenarztbesuch statt einem Honorar von 30 Euro nur 1,22 Euro. Die assurance maladie rät ihren Versicherten daher dringend davon ab, diese Zentren aufzusuchen. Sie erinnert daran, dass die Gesundheitszentren verpflichtet sind, ihre Patienten über ihre Tarife sowie über die Bedingungen für die Kostenübernahme und die Befreiung von der Kostenvorschusspflicht zu informieren.

Mittlerweile sind die Gründer von Dentexia verurteilt wegen „bandenmäßigen Betrugs“, „irreführender Geschäftspraktiken“, „schwerer Täuschung“ und „Steuerbetrugs“. Viele ehemalige Patienten von Proxidentaire haben sich in einem Opfer-Kollektiv zusammengeschlossen und klagen zusammen gegen das Zentrum. Dessen Betreiber stehen ebenfalls vor Gericht. Die Vorwürfe reichen von irreführenden Geschäftspraktiken, über Gefährdung der menschlichen Gesundheit, Betrug der Sozialversicherung bis zur illegalen Ausübung des Chirurgenberufs.

Proxidentaire-Geschäftsführer Jean-Christophe Marie, ein gelernter Dachdecker, hatte Proxidentaire übrigens erst 2020 als reines Investitionsobjekt gegründet. Wen es interessiert: Der Mann hat sich inzwischen offenbar nach Dubai abgesetzt.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.